«Viele Queers wissen, wie ein Lockdown Probleme verstärkt»

Ein Gespräch mit der psychosozialen Fachstelle für LGBTIQ im SUB München

Leipzig: Eine Kette hängt im Eingang eines Schmuckgeschäftes (Foto: Sebastian Willnow/dpa)
Leipzig: Eine Kette hängt im Eingang eines Schmuckgeschäftes (Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Angesichts der weiter steigenden Corona-Zahlen hat das bayerische Kabinett am Dienstag harte Gegenmassnahmen beschlossen. Sie traten nach Zustimmung des Landtags in der Nacht in Kraft.

Bayern führt mit Ausnahme des Handels überall die 2G-Regel ein, in vielen Kultur- und Freizeiteinrichtungen gilt 2G plus. Ungeimpfte dürfen sich nur noch mit wenigen anderen Personen treffen. Clubs und Bars müssen schliessen, Restaurants dürfen nur bis 22.00 Uhr offen bleiben. Weihnachtsmärkte fallen aus. In Kultur und Sport gilt eine Auslastung von maximal 25 Prozent an Zuschauern. In Hotspots mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 1000 müssen Gastronomie, Hotels, Sport- und Kulturstätten dicht machen.

Betroffen von den neuen Massnahmen ist auch das SUB in München, aber nur insoweit, als Veranstaltungen und das Café um 22 Uhr enden bzw. schliessen müssen. Im SUB sitzt auch die  psychosoziale Fachstelle für LGBTIQ.

Die Beratungen laufen normal weiter. Ein Viertel der Gespräche finden per Video statt, was weniger mit Corona oder Vorsichtsmassnahmen zu tun hat, sondern damit, dass viele Klienten einfach weiter entfernt wohnen, sagt der Diplom-Psychologe Christopher Knoll, der auch die fachliche Leitung der Beratungsstelle hat. Diese ist einzige psychosoziale Fachstelle in Bayern, die sich um schwule, bisexuelle und trans Männer kümmert sowie um deren Freund*innen und Angehörige.

Zweimal gab es im Jahr 2020 einen Lockdown, dieser nun fällt (noch) relativ mild aus. Diesmal spürt Knoll weniger die Angst vor einer eigenen Erkrankung, denn die meisten sind geimpft. Aktuell nimmt er wieder eine grosse Besorgnis bei seinen Klienten wahr. Nicht wegen eines Lockdowns, wie streng auch immer er diesmal ausfallen wird. «Aber die Leute wissen noch gut, dass der letzte Lockdown vorhandene Probleme verstärkt hat», so Knoll gegenüber MANNSCHAFT.

Schon letztes Jahr warnte die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, dass die Corona-Krise die LGBTIQ-Community besonders hart treffe. Auch SPD-Vize Kevin Kühnert wies Anfang 2021 darauf hin (MANNSCHAFT berichtete), und auch US-Umfragen belegen dies (MANNSCHAFT berichtete). So seien von den reduzierten medizinischen Versorgungsleistungen überproportional negativ betroffen. Dazu zählten fehlende Behandlungen chronischer Infektionserkrankungen, aufgeschobene Operationen und Hormonbehandlungen und eine fehlende psychotherapeutische Versorgung.

Oft wird der Lockdown auch für Paare zum Problem. Das Thema Alkohol und andere Drogen spielen dann eine Rolle und belasten die Beziehung. Andere Süchte kommen laut Knoll dazu: vermehrter Chemsex, suchthaftes Onlineverhalten, das stundenlange Verbringen auf Dating-Apps, Pornosucht oder der Konsum anderer Substanzen.

Dahinter stehe oft das Verlangen: Die Lage ist bitter, ich muss mir was gönnen. «Aber das sind Entwicklungen, die nicht so schnell zurückzunehmen sind», sagt Knoll.

Da überdurchschnittliche viele Lesben und Schwule in Pflegeberufen arbeiten, sind viele von ihnen derzeit am Rande einer Erschöpfungsdepression.

Auch im Job haben viele derzeit zu leiden, gerade im Gesundheitsbereich. «Da überdurchschnittliche viele Lesben und Schwule in Pflegeberufen arbeiten, sind viele von ihnen derzeit am Rande einer Erschöpfungsdepression», sagt Knoll.

Für einen seiner Klienten, der im Krankenhaus arbeitet, sei es ohnehin schon schwer, Termine für eine Beratung auszumachen. Wenn er dann frei hat und etwas vereinbart, kommt es oft genug vor, dass er dann doch wieder arbeiten muss, etwa, um für Kolleg*innen einzuspringen.

Schwierig sei die Situation auch für Menschen, die ohnehin schon mit Depressionen oder Zwangsstörungen zu kämpfen haben. Knoll erzählt von einem Klienten, der unter einem Schliesszwang leidet, bei ihm sei zusätzlich noch ein Hygienezwang dazugekommen. Nicht wenige treibt die Angst um Angehörige und Freunde um.

Es gibt aber auch Menschen, denen es gelingt, positiv mit der Pandemie zumzugehen. «Im Rückblick auf den letzten Lockdown können sie sagen: Ich hatte Glück. Es ist nichts Schlimmes passiert, der Job ist nicht weggebrochen. Ich fühle mich weniger getrieben», erzählt Knoll. Auch gebe es vereinzelt Menschen mit autistischen Tendenzen, die die Zwangsruhe des Lockdowns geniessen konnten.

Natürlich werden auch Freundschaften etwa durch die Impfdiskussion belastet, wenn zwei gegensätzliche Ansichten aufeinanderstossen – bei Befürworter*innen und Gegner*innen des Impfens etwa. Auch das hört Knoll verschiedentlich. Aber: «Wenn man sich von diesem Thema abgesehen gut versteht und mag, haben beide das Interesse, es auszuklammern. Die Lust, diese Diskussionen immer wieder zu wiederholen, wird geringer.»

Und wo lasse die Berater*innen den Druck, den die Klienten bei ihnen lassen? Zehn Leute arbeiten fest in der Beratung im SUB, ein gutes Dutzend Ehrenamtler*innen kommt dazu, die im Bereich sexuelle Gesundheit oder für Geflüchtete Beratungen durchführen.

«Wir haben regelmässige Supervisionen, auch die Ehrenamtlichen», sagt Knoll. Einmal die Woche werden die besonders herausfordernden Fälle miteinander besprochen.

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