LGBTIQ Vielfalt im Unterricht – Es geht noch bunter!

Es liegt immer noch viel am Engagement einzelner Lehrer*innen

Der Februar ist vorbei, in britischen und australischen Schulen wird er schwerpunktmässig als LGBT History Month begangen. In Berlin wurde ein vergleichbares Format entwickelt: Hier findet der Unterrichtsschwerpunkt im Mai statt. Sinnvolle Materialen sind immer noch Mangelware.

«Der Markt für LGBTIQ inklusive Bücher ist ziemlich dünn», sagt Tina Breidenbach gegenüber MANNSCHAFT. Sie arbeitet an der Goethe Uni Frankfurt als Pädagoge Mitarbeitern am Insitit für Soziologie, Schwerpunkt: Frauen- und Geschlechterfoschung, und bildet Lehrkräfte aus. Ausserdem gehört sie der Schulbuch AG, Untergruppe der GEW Gruppe; seit Jahren ist sie Teil des Sprecher*innenteams. «Es liegt immer noch viel am Engagement einzelner Lehrer*innen.» (Die AG Schwule Lehrer kämpft seit über 40 Jahren gegen Diskrimierung – MANNSCHAFT berichtete).

Schwuler Lehrer im katholischen Gymnasium nicht erwünscht

Sie ist mit Kolleg*innen auch international in Kontakt und weiss: «Europaweit sind die Problematiken ähnlich. Aber in Sachen vielfältige Schulbücher steht Deutschland schlechter als beispielsweise Grossbritannien da.» In den Lehrplänen dort stehe einiges an Zielvorgaben zum Thema LGBTIQ drin. Problem aber: «Eltern dürfen ihre Kinder aus dem Untersicht nehmen, wenn es um für sie missliebige Themen wie Transgender geht.»

Breidenbach und ihrer Mitstreiter*innen haben Verlage kontaktiert, haben ihnen Feedback gegeben – was machen sie gut, was ist verbesserungswürdig. «Cornelsen hat sehr positiv reagiert, die haben auch einen eigenen Diversity Beauftragen», sagt Tina. Bei Klett sei man eher abweisend gewesen: «Wir diskriminieren eh niemanden, wir brauchen das nicht», lautete dort die Antwort.

Beim Thema diverse Schulbücher gibt es mehrere Herausforderungen – nicht zuletzt liegt es am Föderalismus: Die Schulbuchvorgaben sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. «Das Thema ist uralt», sagt Tina Breidenbach. «Seit 40 Jahren wird mehr Vielfalt gefordert, um Heteronormativität aufzubrechen.» Um etwas zu verändern, knüpft man Kontakte etwa über Personalrät*innen, versucht Einfluss auf die Kultusministerkonferenz zu nehmen. Aber: «Der Fortschritt ist gering.» Im Bereich geschlechtergerechte Sprache etwa tue sich noch gar nichts.

Was gibt es an guten Beispielen? Für Kinder hat das Projekt «i-Päd – intersektionale Pädagogik» eine Liste mit Büchern heraugegeben. Die ipäd existiert im August seit zehn Jahren. Sie will die Anerkennung der Komplexität von Identitäten in der Pädagogik fördern. In der Liste finden sich bekannte Titel wie «Keine Angst im Andersrum» von Olivia Jones oder «Luzie Libero und der süsse Onkel» von Pija Lindenbaum. Prädikat laut i-Päd: sehr gut und noch dazu humorvoll (hier empfohlen von der Wiener Buchhandlung Löwenherz).

Oder der Titel «Alles Familie» von Alexandra Maxeiner und Anke Kuhl, immerhin aus dem Hause Klett. Die Kritik hier lautet: Die wenigen People of Color, die in den Geschichten auftauchen, sieht man oft in stereotypen Settings und Rollen. Zum Titel: «Unsa Haus» von Ben Böttger und Rita Macedo wird angemerkt, die Geschichten wirkten teilweise etwas konstruiert, trotzdem wird das Buch als «gut, durchweg intersektional» empfohlen.

Marcel Kahl, der bei Instagram das Profil Regenbogenpapi betreibt, empfiehlt weitere Bücher für Kindergärten und Schulen.

Gezielt gesucht wurde für die i-Päd-Liste nach Büchern, die gegen Ausschlüsse, Diskriminierung, Unter- oder Fehlrepräsentationen wirken oder Themen thematisieren, die Kindern gegenüber noch oft verschwiegen oder zu wenig besprochen werden. Bücher, die sich diesen Bereichen zuordnen lassen, gebe es inzwischen einige. Trotzdem musste man mit Bedauern feststellen, dass nicht jede gut gemeinte Publikation auch ihren Zweck erfüllt. So reproduzierten zum Beispiel einige Bücher, die einen Beitrag zu geschlechtlicher Vielfalt leisten wollen, rassistische Stereotype; für die Gleichheit aller Menschen plädierende Literatur blendet die Existenz von behinderten Kindern aus.

In der Kinderbuch-AG, die sich bei der i-Päd gegründet hat, wurde zudem festgestellt, dass es zu einigen Themen noch immer keine bzw. sehr wenige Kinderbücher gibt – etwa solche mit trans oder inter Kindern als Hauptfigur oder solche, die lesbische Beziehungen thematisieren.

Vor zehn Jahren gab es eine grosse Schulbuchanalyse von Melanie Bittner, Beraterin für Gender, Diversity und Antidiskriminierungskultur. Ihr Fazit: Schulbücher thematisieren die Vielfalt sexueller Orientierungen und Identitäten noch zu selten. So kämen beispielsweise in den Lehrbüchern für Englisch weder lesbische noch schwule oder bisexuelle Menschen vor. In vielen Biologiebüchern werde Heterosexualität als Norm dargestellt. Aber auch im Lese-, Schreib- und Rechenunterricht werde implizit das Bild der Vater-Mutter-Kind-Familie vermittelt.

Es gibt sie aber, die guten Beispiele – wenn auch zu wenige. Frauke Gützkow stellte sie diesem Artikel für die GEW vor. Das Schulbuch «Politik entdecken 7/8» für den Gemeinschaftskundeunterricht in Baden‐Württemberg aus dem Cornelsen Verlag etwa. Es zeigt Familien verschiedener geschlechtlicher Konstellationen. Nicht alle Personen sind eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Auch in der niedersächsischen Ausgabe von «Biologie heute 9/10» (Schroedel‐Verlag) würden LGBTIQ-Personen sowie gleichgeschlechtliche Paare selbstverständlich behandelt, nicht als von der Norm abweichendes Zusatzthema.

Auf Anfrage der GEW-Vorsitzenden Doro Moritz im Jahr 2018 schickten viele Schulbuchverlage Beispiele aus der neuesten Generation ihrer Schulbücher. Davon berichtet Ruth Schwabe aus dem GEW-Arbeitskreis Lesbenpolitik in diesem Beitrag von September 2019: Einige Beispiele zeigen, wie Vielfalt in Familienformen, Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierung gelungen thematisiert wird. Darunter der Oldenbourg Verlag: «Erlebniswelt 1/2» (Bayern, 2014, S. 20-21)

Um die Vielfalt von Familien zu illustrieren, werden Personen verschiedenen Alters, Hautfarbe und Geschlechts gezeigt. Es gibt eindeutig männlich und weiblich aussehende Menschen, aber auch Kinder und Erwachsene, deren Geschlecht offenbleibt.

Es gibt sie also: Best‐Practice‐Beispiele für Schulbücher und Unterrichtsmaterialien, die Vielfalt, Antidiskriminierung und Gleichstellung abbilden und Toleranz fördern. Der Normalfall sind sie aber noch lange nicht. Dabei sind die Einflussmöglichkeiten von Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien von enormer Bedeutung, da sie den Grossteil des zu vermittelnden Fachwissens transportieren. «Allerdings stellen Lehrkräfte im Schulalltag immer wieder fest, dass sich statt der Abbildung gesellschaftlicher Vielfalt durch verschiedene Identitäten und Lebensformen oft stereotype, diskriminierende Darstellungen in Lehrmaterialien finden», so Gützkow.

Es gibt weniger Diskriminierung an Schulen, wenn gleichgeschlechtliche Lebensweisen im Unterricht wertschätzend thematisiert werden

Das ist bedauerlich. «Untersuchungen haben gezeigt, dass es weniger Diskriminierung an Schulen gibt, wenn gleichgeschlechtliche Lebensweisen und die Abweichung von Geschlechterrollenstereotypen im Unterricht wertschätzend thematisiert werden und Mobbing an Schulen geächtet wird», heisst es in der vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) herausgegebenen „«Handreichung für das übergreifende Thema Bildung zur Akzeptanz von Vielfalt». Zumal mal man die Diskriminierung von LGBTIQ als direkte Konsequenz von Heteronormativität und Sexismus sieht.

Ab und zu tut sich was: Gerade gab der Querverlag bekannt, dass es zu Lutz van Dijks Jugendroman «Kampala-Hamburg» (zur MANNSCHAFT-Besprechung) auf wiederholte Nachfragen von Lehrer*innen jetzt Unterrichtsanregungen gibt. Sie stammen von Petra Reichel, Lehrerin aus Hannover (für die Sek. I + II aller Schularten), die auf der Seite des Querverlags kostenlos heruntergeladen werden können. Da findet sich u.a. diese Aufgabe, bezogen auf die Liebesgeschichte von Martin und Chris: Stelle dir vor, du sollst die beiden für eure Schulzeitung interviewen. Die Informationen über sie findest du in verschiedenen Textstellen des Buches, aber du kannst dir auch Fragen und dazu passende Antworten selber überlegen.

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