Genderverbot in Bayern: «Da wird richtig Stimmung gemacht»

Ein Berufsschullehrer aus Nürnberg berichtet über die Auswirkungen für den Schulalltag

Ein Protestbanner gegen das Genderverbot an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) (Bild: Foto: Sven Hoppe/dpa).
Ein Protestbanner gegen das Genderverbot an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) (Bild: Foto: Sven Hoppe/dpa).

Roland (40) arbeitet als Berufsschullehrer in Nürnberg. Wir sprachen mit ihm über die Stimmung in den Schulgemeinden, bildungspolitischen Aktivismus und verschiedene Möglichkeiten zum Aufbegehren gegen das Genderverbot in Bayern.

Seit dem 1. April gilt in Bayern ein Genderverbot an Schulen, Hochschulen und in Behörden (MANNSCHAFT berichtete). Damit ist die Verwendung von geschlechtersensibler Sprache von nun an ausdrücklich untersagt. An Schulen betrifft dies den gesamten dienstlichen Schriftverkehr – also auch Schreiben an Eltern, die komplette interne Kommunikation sowie den Unterricht. Die umstrittene Regelung rief zuletzt nicht nur die Bundesschülerkonferenz, sondern auch den Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) auf den Plan. Währenddessen wollen sich einzelne Lehrpersonen nur ungern öffentlich dazu äussern.



Anders jedoch Roland (40), der lediglich nicht mit vollständigem Namen genannt werden möchte. Er arbeitet als Berufsschullehrer in Nürnberg und ist an zwei verschiedenen Schulen unterwegs. Wir sprachen mit ihm über die Stimmung in den Schulgemeinden, bildungspolitischen Aktivismus und verschiedene Möglichkeiten zum Aufbegehren gegen das Genderverbot.

Roland, warum trauen sich Lehrkräfte, die an staatlichen bayerischen Schulen unterrichten, wenn überhaupt, nur anonym zu sagen, was sie denken? Wir sind nicht berechtigt, einfach so öffentlichkeitswirksam mit Aussenstehenden über die Arbeit an Schulen zu sprechen. Man müsste erstmal nachfragen, ob man das machen dürfte. Über die Schulleitung würde die Anfrage dann an die Amtsleitung gehen – also über einige Tische. Das ist der Grund, warum es selten etwas Offizielles von jemandem persönlich zu lesen oder hören gibt. Das machen höchstens Kolleg*innen, die kurz vor der Rente sind und die nichts mehr zu befürchten haben. Für alle anderen können die nächsten Jahre sonst ziemlich anstrengend werden. Man läuft so immer Gefahr, Probleme zu kriegen. Gerade bei so einem brisanten Thema wie dem Gendern ist das heikel. Im schlimmsten Fall drohen dienstrechtliche Konsequenzen.

Der öffentliche Diskurs suggeriert einem, dass das Gendern das dominierende Thema an Schulen sei. Aber wie wurde das Gendern denn bislang gehandhabt? An den beiden Schulen, an denen ich arbeite, gab es bislang keine einheitliche Regelung. An meiner Stammschule orientiert sich die Schulleiterin grundsätzlich an dem, was die Stadt vorgibt. Und die hat eben irgendwann einmal beschlossen, dass ausschliesslich die Schreibweise «/-innen» als offizielle Variante anerkannt ist. Aber in unseren internen Mails wurde dann doch eher selten gegendert. Das wurde auch nie weiter thematisiert und in Sprache und Schrift hauptsächlich das generische Maskulinum verwendet.

Innerhalb des Kollegiums hat es jede*r anders gemacht: Manche sagten Schülerinnen und Schüler, eine Kollegin verwendete das generische Femininum. Aber wirklich gegendert haben die allerwenigsten – geschweige denn sich überhaupt mit der Thematik oder den Lebensrealitäten von trans oder nicht-binären Schüler*innen auseinanderzusetzen. Das fängt bei den meisten erst an, wenn sie jemanden in der Klasse haben, der oder die sich outet. Vorher interessiert sich kaum jemand dafür.

Und wie ist es an der anderen Schule, an der du als Aushilfslehrer arbeitest? Da verwendet die Schulleiterin weder im Sprechen noch im Schreiben geschlechtersensible Sprache. Der Personalrat wiederum hat mit Sternchen im Schreiben gegendert. Dadurch ist es kürzlich zu einem Vorfall gekommen, bei der ein Lehrer auf eine Mail des Personalrats, in der eben gegendert wurde, an alle geantwortet hat, dass er kein «Beamt» sei und so nicht angesprochen werden möchte. Der Personalrat ist da nicht weiter drauf eingegangen, hat sich nicht beirren lassen und einfach weiter gegendert. Das ist dann im Sande verlaufen.

Hast du selbst schon ähnliche Konfliktsituationen erlebt? Ja, erst kürzlich habe ich mich online mit einem Kollegen ausgetauscht, der in der Leitungsebene einer anderen Schule war, und habe eben im Chat gegendert. Er hat mich dann explizit darauf angesprochen. Dann fragte ich ihn, wieso er mir das denn sagen würde, wir würden ja schliesslich nur privat hier unter uns schreiben. Darauf entgegnete er, dass er mich ja nur freundlich darauf hinweisen wollen würde, das sei ja schliesslich ein grosses Thema, bei dem es viel Für und Wider gebe und wir da jetzt auch nicht weiter drüber sprechen bräuchten. In diesen Momenten spürt man sehr deutlich, wie da richtig Stimmung gemacht wird. Und ich habe den Eindruck, dass das auch ein zentrales Ziel der Regierung ist.



In diesem Zusammenhang wird auch gerne der Mythos des angeblichen Punktabzugs wegen Nicht-Genderns verbreitet. Ist da was dran? Das kann ich als Berufsschullehrer nicht beurteilen, das kommt eher aus dem universitären bzw. Hochschulbereich. Im Deutschunterricht habe ich davon jedenfalls noch nichts gehört. Aber das ist ja im Grunde genommen das gleiche wie mit dem angeblichen «Trans-Trend», den Saunen und den Frauentoiletten: Das sind Mythen, die sich gut anhören und über die sich gut aufregen lässt. Und leider bleibt sowas dann halt in vielen Köpfen hängen.

Wie seid ihr über das Genderverbot informiert worden? Es gab an beiden Schulen, an denen ich arbeite, eine Mail mit einer Dienstanweisung. Bei meiner Stammschule habe ich dann mal gefragt, was eigentlich passiert, wenn man es trotzdem macht. Die Schulleitung wusste es nicht. Sie hätte die Dienstanweisung nur weitergegeben und keine Information über Sanktionsmöglichkeiten erhalten. Interessanterweise wird in dem Schreiben für das Genderverbot damit argumentiert, dass auf blinde und sehbehinderte Menschen Rücksicht genommen werden müsse. Das war vorher nie ein Thema, aber plötzlich werden die mit einbezogen und so marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt. Ganz klar ein Feigenblatt.

Und wie ist die Stimmung innerhalb des Kollegiums? Verhaltener als man als Aussenstehende*r vielleicht glauben mag: Ich erlebe die Schule als einen sehr unpolitischen Raum. Im Lehrerzimmer wird extrem wenig über Politik – insbesondere Tagespolitik – gesprochen. Die Polarisierung zeigt sich eher in Einzelgesprächen auf dem Flur oder in Chats. Plötzlich melden sich Kolleg*innen zu Wort, die sich vorher nie zu dem Thema geäussert haben. Aber jetzt betrifft es mit dem Verbot eben alle und so fühlen sich viele, die was dagegen haben, eingeladen, ihre Meinung auch offen kundzutun. Vorher hat es eigentlich nur trans und nicht-binäre Schüler*innen betroffen, da hat halt niemand was gesagt.

Das ist so ein bisschen wie mit den Demos gegen Rechts und den Demos gegen Rassismus. In Nürnberg waren bei den Demos gegen Rechts wahnsinnig viele Leute anwesend, bei den Demos gegen Rassismus war hingegen kaum was los. Und warum war das so? Weil die Demos gegen Rechts halt alle betreffen, aber die Demos gegen Rassismus eben nicht. So ist das jetzt auch mit dem Gendern. Man könnte fast sagen, dass durch das Genderverbot manche doch politisiert werden, weil sie nicht gegängelt werden wollen. Aber vorher hat sich niemand wirklich darum gekümmert, dass queere Menschen sprachlich inkludiert werden.

Welche Konsequenzen hat das jetzt für euren Alltag als Lehrkräfte? Es verstärkt auf jeden Fall das Risiko von Denunziationen. Jetzt werden rechte Eltern unsere Elternbriefe viel genauer durchlesen und checken, ob auch ja nicht gegendert wird. Und wenn doch, dann wird das sicher gemeldet werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass das mit dem Genderverbot ganz bewusst provoziert werden soll.



Ist es trotz des Genderverbots möglich, geschlechtersensible Sprache zu verwenden? Ja, aber wie kompliziert das ist, habe ich erst gestern zu spüren bekommen: Ich musste einen neuen Elternbrief zu einem Thema schreiben, zu dem ich schon mal einen versendet habe, wo ich noch gegendert hatte. Nun musste ich neutralere Formulierungen verwenden, um genau dem Folge zu leisten, was von mir gefordert wird. Man könnte es voreiligen Gehorsam nennen, aber ich habe es jetzt erstmal so gemacht. Dafür muss man schon einige gedankliche Verrenkungen in Kauf nehmen, wenn man trotz des Verbots weiterhin geschlechtersensible Sprache verwenden will.

Welche Möglichkeiten gibt es jetzt noch, gegen das Verbot aufzubegehren? Das kommt darauf an, ob man im Kleinen oder im Grossen wirken will. Einfach machen, einfach gendern, ist sicher eine Option. Wenn auch heikel. Eine andere ist, Petitionen zu unterschreiben: Einige Kolleg*innen haben solche schon geteilt. Ansonsten könnte man noch seinem Landtagsabgeordneten schreiben und um Unterstützung bitten. Oder sich an den Demonstrationen beteiligen.

«Servus Söder*in!» – Es gibt Widerstand gegen Bayerns Genderverbot, u.a. in Coburg (MANNSCHAFT berichtete).

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