Erste trans Bürgermeisterin von Zwiesel? Gloria Gray kandidiert
Im Kreistag sitzt sie schon
Gloria Gray hat ihre Heimatstadt Zwiesel im Bayerischen Wald einst als Junge verlassen. 30 Jahre später kehrte sie als Frau zurück. Nun will sie in Zwiesel Bürgermeisterin werden. Eine Geschichte mit «Happy End» – auch falls sie nicht gewählt wird.
Entertainerin Gloria Gray ist im Stress. Ihr Terminkalender ist minuziös durchgetaktet, denn am Sonntag ist Stichwahl im Rennen um das Bürgermeisteramt von Zwiesel. Vor knapp zwei Wochen hatte die parteilose 56-Jährige bei der Kommunalwahl knapp 32 Prozent der Stimmen geholt, mehr als ihre Gegenkandidaten. Nun ist Endspurt im Wahlkampf. Dass Gray ausgerechnet in ihrer Heimatstadt Bürgermeisterin werden könnte, bezeichnet sie selbst als «Happy End». Schliesslich hatte sie Zwiesel, wo sie als Junge geboren wurde, einst fluchtartig verlassen.
Für das Gespräch hat Gloria Gray eine Stunde Zeit, sie sitzt entspannt beim Tee in einem Café. An ihrem Handy hat sie den Wecker gestellt, um den nächsten Termin nicht zu versäumen. Mit dem Wahlergebnis habe sie nicht gerechnet, sagt sie. Es ist das dritte Mal nach 2011 und 2016, dass sie antritt. Den Zuspruch der Bürger*innen empfindet sie als Auftrag: «Sie wollen, dass ich Zwiesel in eine neue Zeit führe.» Sie fühle sich für den Posten berufen. «Ich traue mir zu, dass ich das kann.»
Ich habe Kraft und Energie, ich kann Menschen begeistern und mitnehmen. Das kann man nicht bei eBay kaufen.
Erste kommunalpolitische Erfahrung hat sie gesammelt, denn seit 2020 sitzt Gloria Gray im Kreistag. Dennoch, das Bürgermeisteramt wäre ein Sprung ins kalte Wasser. «Bürgermeister kann man nicht lernen, das kann man nicht studieren.» Sie würde Seminare zum Thema Kommunalverwaltung absolvieren und ausserdem wäre sie ja nicht alleine, sondern hätte im Rathaus viele Mitarbeiter*innen an ihrer Seite.
Ihr Ziel für Zwiesel? Die Stadt kulturell, wirtschaftlich und touristisch beleben. Das gehe nicht von heute auf morgen. «Ich kann nicht zaubern und habe auch keine Wahlversprechen abgegeben.» Was Zwiesel am meisten brauche, sei ohnehin eine Aufbruchsstimmung, findet die Entertainerin, und da ist sie in ihrem Element. «Ich habe Kraft und Energie, ich kann Menschen begeistern und mitnehmen. Das kann man nicht bei eBay kaufen.» Wenn sie gewählt würde, könnte das alleine schon viel bewirken.
Wahlplakate hat Gray in der 10’000-Einwohner-Stadt nicht aufgehängt. Das sei weder nachhaltig noch zeitgemäss. Zudem kenne in Zwiesel ohnehin jeder jeden. Seit 2010 ist sie zurück, hat drei Jahre lang ein Café geführt, Faschingsfeiern, Konzerte und «Puff-Partys» organisiert. Da seien auch die gekommen, die skeptisch gewesen seien, und die, die gesagt hätten, sie soll «droben in Minga» (für Nicht-Bayern: in München) bleiben. Aber das ist lange her. Gloria Gray hat ihren Frieden mit Zwiesel gemacht, und mit sich selbst.
In der Schule sei sie beschimpft worden. Schon als Kind habe sie sich als Mädchen gefühlt und Perücken getragen. Anvertraut habe sie sich aber niemandem, sondern gewartet, bis sie volljährig war. Dann zog sie los: In München und den USA suchte sie ihren Weg. Seit sie Mitte 20 ist, ist Gloria Gray auch körperlich eine Frau. Mit ihren Eltern habe sie lange keinen Kontakt gehabt. Deren Reaktion, als sie ihnen eines Tages von den USA aus am Telefon ihre Geschichte offenbarte, sei aber «wundervoll» gewesen und besser, als sie es sich gewünscht hätte. «Egal was ist, Du bist unser Kind», habe die Mama gesagt.
2010, als es den Eltern im Alter schlechter ging, sei sie nach Zwiesel zurückgekehrt – und geblieben. «Hier sind meine Wurzeln, das ist meine Sprache, und Zwiesel hat eine geile Lebensqualität.»
Dass sie immer wieder auf ihre persönliche Geschichte angesprochen werde, könne sie verstehen. Und doch nervt es sie. Wenn sie als vielleicht erste trans Bürgermeisterin oder als trans Frau bezeichnet wird, empfinde sie das als beleidigend. «Ich bin eine Frau. Und ich habe eine trans-identitäre Vergangenheit.» Das sei Teil ihres Lebens, sie stehe dazu und könne damit leben. «Aber man ist ja auch froh, wenn man es hinter sich hat.» Bei ihr sei das mehr als 30 Jahre her. Auf ihre trans Identität wolle sie nicht reduziert werden. «Oder steht irgendwo ‹der Hetero-Kanzler›?», fragt sie.
In ihrer Jugend habe es Begriffe wie Outing oder Transgender nicht gegeben. Das Thema sei ein Tabu gewesen. Sich zu offenbaren wäre ihr für sich selbst wie ein Todesurteil vorgekommen. Sie hätte auch Sorge gehabt, dass sich ihre Mutter vor Scham und Schmach das Leben nehmen könnte. Umso mehr freut sie sich über das «Happy End». «Ich bin mit 18 geflüchtet und 30 Jahre später zurückgekommen. Hier schliesst sich der Kreis», sagt sie und eilt zum nächsten Termin.
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