Homohass in Polen – «Europa verliert jeden Tag ein Stück Glaubwürdigkeit»
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth fordert Bundesregierung und EU zu klaren Worten auf
Am Sonntag wird in Polen ein neuer Präsident gewählt. Der Amtsinhaber Andrzej Duda hetzt im Wahlkampf unverholen gegen LGBTIQ. Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) schaut mit Sorge auf das Nachbarland und fordert Konsequenzen.
Der nationalkonservative Amtsinhaber Andrzej Duda, der offen auch homofeindliche Vorbehalte bedient, will im Amt bestätigt werden, aber sein liberaler Konkurrent, der LGBTIQ-freundliche Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski, könnte ihm in der Stichwahl gefährlich werden. Duda setzt in seinem Wahlkampf auf die Bedrohung durch eine «LGBT-Ideologie» und spielt sich als Retter auf – für die polnischen Familien und die Tradition: Auf einer Wahlkampfveranstaltung wetterte er unverholen gegen queere Menschen: «Man versucht, uns einzureden, das seien Menschen – aber das ist ganz einfach eine Ideologie!»
Andrzej Duda will Polens Präsident nur für Heteros bleiben
Die Wirkung gerade auf junge queere Menschen ist verheerend. Kürzlich wurde bekannt, dass sich ein schwules Model das Leben genommen hat: Michal ertrug den Hass und die Anfeindungen nicht mehr (MANNSCHAFT berichtete).
Kann Deutschland, kann die Europäische Union weiter zuschauen, was in Polen passiert? Das haben wir die Bundestagsvizepräsidentin und ehemalige Menschenrechtsbeauftragte des Bundesregierung Claudia Roth (im Kabinett Schröder II) gefragt.
Frau Roth, wie schauen Sie auf unser Nachbarland? Sie haben ja u.a. in Warschau schon für die LGBTIQ-Community demonstriert. Ja, ich war mehrere Mal dort. Der erste CSD in Warschau, die Gleichheitsparade, war eine mutige Aktion mitten in einem furchtbaren Umfeld. An den Strassenrändern standen Leute mit Prügeln, Eiern, mit Bildern von Tieren – Eseln – um zu zeigen: Alle in dieser Community sind Tiere. Einige sind blutig geschlagen worden. Damals war Lech Kaczyński Bürgermeister von Warschau (der Bruder des heutigen PiS-Parteichefs, Anm d Red), auch die katholische Kirche hat schon damals die homofeindliche Stimmung angeheizt. Die CSD-Gegner traten martialisch auf, ermutigt durch die Haltung des Oberbürgermeisters.
Die späteren Prides wurden von Jahr zu Jahr besser und offener. Da war Kaczyński nicht mehr Bürgermeister. Auch mit den Aktivisten der Szene in Krakau haben wir zusammengearbeitet, ich war selber mehrfach da. Damals ist plötzlich etwas aufgebrochen in Polen. (Im Sommer 2019 eskalierte die Gewalt bei der ersten Pride in Białystok (MANNSCHAFT berichtete).
Über 100 Gemeinden und Kreise haben sich in Polen zu «LGBT-freien Zonen» erklärt. Wie soll man damit umgehen? Es gibt beispielsweise Debatten, ob man Städtepartnerschaften aufkündigen sollte (MANNSCHAFT berichtete). Ich glaube, das sollte man nicht tun, sondern im Gegenteil. Versuchen, hinzugehen und den Brüdern und Schwestern, den Freundinnen, Freunden und den Betroffenen zeigen: Ihr seid nicht allein! Wenn man die Partnerschaft aufkündigt, dann freuen sich doch nur die anderen. Wir haben auch bereits Solidaritätsaktionen über die Städtepartnerschaften in der Vergangenheit gemacht, beim Kölner CSD etwa: Wir zeigten Solidarität mit der Community in Istanbul.
In eigener Sache: Wir stärken uns für die Zukunft
Wie sollte sich Europa zu Polen verhalten? Es ist unfassbar, dass der Präsident eines Landes in der Europäischen Union, Andrzej Duda, LGBTIQ-feindliche Aufrufe mitträgt und damit Wahlkampf macht. Das ist nicht mit den Grundsätzen der Europäischen Union vereinbar. Und ich wünsche mir sehr, dass das laut und deutlich von Regierungsseite thematisiert wird. Solche menschenrechtsfeindliche Haltungen dürfen wir in der EU nicht hinnehmen.
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