Nimmt Appenzell Schutz für LGBTIQ in die Verfassung auf?

Kantonsrat Matthias Tischhauser kämpft für historische Reform

Appenzeller Idylle unterm Regenbogen (Bild: PD / Senntumsmalerei von Johannes Müller; Regenbogen digital eingefügt)
Appenzeller Idylle unterm Regenbogen (Bild: PD / Senntumsmalerei von Johannes Müller; Regenbogen digital eingefügt)

Appenzell Ausserrhoden feilt an einer neuen Kantonsverfassung. Kantonsrat Matthias Tischhauser hat sich in der Verfassungskommission erfolgreich für den Schutz für LGBTIQ eingesetzt – doch jetzt gibt es Gegenwind aus dem Regierungsrat.

Es wäre eine kleine Sensation: Appenzell Ausserrhoden könnte bald das Diskriminierungsverbot der Kantonsverfassung unter anderem mit den Begriffen «sexuelle Orientierung», «Geschlechtsidentität», «Geschlechtsmerkmale» und «Geschlechtsausdruck» ergänzen. Die Verfassungskommission hatte ihren Entwurf in dieser Form einstimmig gutgeheissen. Massgeblich daran beteiligt war der schwule FDP-Kantonsrat Matthias Tischhauser. Schutz für LGBTIQ? Es kommt Gegenwind aus dem Regierungsrat.

Ein starkes Zeichen «Die Nennung dieser Begriffe kostet nichts», sagt Tischhauser gegenüber MANNSCHAFT. Aber sie wäre ein starkes Zeichen – gerade in einer Zeit, wo LGBTIQ-Feindlichkeit wieder auf dem Vormarsch sei.

Nichts weniger als «schweizweit einen neuen Standard» setzen möchte Tischhauser mit der revidierten Kantonsverfassung. Tatsächlich wäre der flächenmässig viertkleinste Kanton der erste, der diesen Schritt machen würde.

Nachdem Matthias Tischhauser seine Kolleg*innen in der Kommission überzeugen konnte, droht der Regierungsrat einen Strich durch die Rechnung zu machen. Dort bevorzugt man offenbar doch die allgemeinere und kürzere Formel «Jegliche Diskriminierung ist verboten».

«Lebensform» reicht nicht Matthias Tischhauser lehnt dies ab. «Weil ein nur ganz kurz formuliertes Diskriminierungsverbot schlicht und einfach nicht genügt. Es geht darum, der Vielfalt Sichtbarkeit zu verleihen.» Diskriminierungsschutz, Prävention und Öffentlichkeitsarbeit fingen damit an, dass man die Sache beim Namen nenne, so der FDP-Kantonsrat weiter.

Matthias Tischhauser
Matthias Tischhauser

Dass der heute in Kantons- und Bundesverfassung verwendete Begriff «Lebensform» etwa Homosexuelle bereits berücksichtige, lässt er nicht gelten. «Das ist gefährlich, weil es in 20 Jahren vielleicht anders interpretiert wird. Wenn man die sexuelle Orientierung meint und nichts dagegen hat, dann soll man dies auch explizit nennen.» Trans Menschen und inter Menschen seien mit «Lebensform» noch weniger abgedeckt.

Ein anderer Einwand ist, dass die Formulierung in 20 Jahren bereits wieder überholt sein könnte. Stimmt es, dass die Verfassung möglichst «zeitlos» klingen muss? «Stimmt nicht», sagt Matthias Tischhauser. «Denn wir haben ja in der Verfassung verankert, dass jede Generation die Möglichkeit auf eine Totalrevision haben soll.»

Ein langer Weg Tischhauser ist sehr enttäuscht vom Regierungsrat. Dieser hatte am gesamten Entwurf nur ganz wenige Änderungsvorschläge vorgenommen – darunter war ausgerechnet der für ihn so wichtige Artikel mit dem Diskriminierungsverbot.

Es ist daher noch ein langer Weg. Nach abgeschlossener Vernehmlassung wird der Regierungsrat eine Auswertung machen und gegebenenfalls nochmals Änderungen vornehmen. Dann überweist der Regierungsrat das Geschäft dem Kantonsrat beziehungsweise einer besonderen, parlamentarischen Kommission, in die Tischhauser vergangenen Woche gewählt wurde. Diese wird das Geschäft mit einem Bericht und einem Antrag für den Kantonsrat vorbereiten. Der Kantonsrat wiederum wird die Vorlage dann in zwei Lesungen behandeln. Schliesslich muss das Stimmvolk auch noch seinen Segen geben – frühestens im nächsten Jahr allerdings.

Die Vernehmlassung sieht Matthias Tischhauser kritisch, wie er gegenüber MANNSCHAFT sagt. Wegen Corona hätten nur ganz wenige physische Debatten und Diskussionen in den Parteien, Verbänden und Vereinen stattgefunden. Vieles habe man online durchgeführt und in diesem «Setting», ohne direkten Kontakt und ausführlicher Diskussion, könnten viele die Kurzversion des Artikels bevorzugen. Für die Abstimmung im Kantonsrat ist er optimistischer. «Denn dort können wir darüber debattieren und einen Diskurs führen.»

Pink Cross meldet sich zu Wort Pink Cross hat vergangene Woche eine Stellungnahme zur Totalrevision der Kantonsverfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden eingereicht. Im Schreiben, das MANNSCHAFT vorliegt, macht Pink Cross auf die weiterhin schwierige Situation für LGBTIQ in der Schweiz aufmerksam. Dabei verweist der Dachverband unter anderem auf den schlechten 22. Platz im ILGA-Ranking.

«Pink Cross begrüsst und unterstützt die von der Verfassungskommission vorgeschlagene Variante Art. 8a, welche die besonders gefährdeten Gruppen explizit aufführt», heisst es im Brief. «Die Begriffe Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck, Geschlechtsmerkmale und sexuelle Orientierung entsprechen den Yogyakarta-Prinzipien und sind international anerkannte, etablierte rechtliche Begriffe.»

Die allgemeine Formulierung, wie sie der Regierungsrat vorschlage, schliesse selbstverständlich LGBTI-Personen ebenfalls mit ein. «Jedoch ist die explizite Nennung sehr wichtig, denn sie gibt den von diesen Diskriminierungen betroffenen Menschen die Sicherheit, dass sie tatsächlich mit eingeschlossen sind und sie sich auf den Diskriminierungsschutz berufen können.»

«Unmissverständlicher Schutz» Ein weiterer Vernehmlassungsbeitrag liegt MANNSCHAFT vom Transgender Network Switzerland (TGNS) vor. Angesichts der schwierigen Situation von trans Menschen in der Schweiz wäre die ausführliche Variante ein «unmissverständlicher Schutz vor Diskriminierung». Ein Verzicht auf jede Nennung von Anknüpfungsmerkmalen, wie es in Variante B vorgeschlagen werde, wäre ein neues Konzept für das Schweizer Diskriminierungsschutzrecht. Eines, das mehr Fragen aufwerfe als die Materialien beantworten.

Die klare Botschaft von Variante A (Tischhausers Variante) laute, dass LGBTI-Menschen gleichwertige Menschen seien, deren ungerechtfertigte Schlechterstellung sozial geächtet werde. «Variante A sendet damit eine Botschaft des sozialen Zusammenhalts und eine Positionierung gegen soziale Spaltung», heisst es in dem dreiseitigen Schreiben, das an die Kantonskanzlei in Herisau adressiert ist.

Auch in den Niederlanden soll die sexuelle Identität per Verfassung geschützt werden (MANNSCHAFT berichtete).

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