«Will nicht mehr versteckt leben» – Schwuler Geflüchteter gegen BAMF

In Frankfurt am Main lebt er in einer geschützten Unterkunft

Abdelkarim Bendjeriou Sedjerari vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Foto: Boris Roessler/dpa)
Abdelkarim Bendjeriou Sedjerari vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Foto: Boris Roessler/dpa)

Seit er in Deutschland lebt, kann Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari seine Homosexualität offen leben, ist in der Community aktiv. In seiner Heimat Algerien wäre das nicht möglich. Das Bundesamt für Flüchtlinge verweigert ihm jedoch die Anerkennung. Dagegen klagt er.

Von Eva Krafczyk, dpa

Vor dem Frankfurter Verwaltungsgericht erhält Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari am Dienstagmorgen Umarmungen von Freunden, Aufmunterung und Schulterklopfen. Dennoch ist der 35-jährige Algerier nervös, als er im Korridor auf den Beginn seiner Verhandlung wartet. Die Hände locker auf den Knien, blickt er hinab auf seine Füsse, die in weissen Sneakern mit den Regenbogenstreifen stecken, dem Symbol für Toleranz und für die queere Community. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat auch seinen Folgeantrag als Flüchtling abgelehnt. Dagegen klagt er nun (MANNSCHAFT berichtete).

Dass er schwul ist, war dem Mann mit dem gepflegten Kurzbart schon vor Jahren klar, lange bevor er 2016 über die Balkanroute nach Deutschland kam und seinen Asylantrag stellte. In Algerien, wo Homosexualität strafrechtlich verfolgt wird, waren ihm nur Heimlichkeiten und ein Versteckspiel selbst mit der eigenen Familie möglich, immer neue Ausreden, warum er denn noch nicht verlobt oder verheiratet sei.

Ganz anders sein Leben in Frankfurt, wo er in einer geschützten Unterkunft für queere Flüchtlinge lebt, der einzigen Einrichtung dieser Art in Hessen. Für Bendjeriou-Sedjerari bedeutet es eine nie gekannte Freiheit. Er hat beim Christopher Street Day in Frankfurt und Hamburg auf der Bühne gestanden und über die Verfolgung Homosexueller in seiner nordafrikanischen Heimat berichtet, hat an einer Podiumsdiskussion mit nordamerikanischen Diplomaten teilgenommen. Da seine Familie bereits in den 90er Jahren in Deutschland vergeblich Asyl suchte, spricht er fliessend Deutsch, hilft anderen Geflüchteten bei Behördengängen und macht derzeit eine Ausbildung als Elektriker.

In der Verhandlung im Gericht sitzt ihm der Richter gegenüber, der bereits 2020 die erste Klage abgewiesen hat. Er will wissen, was sich in diesen zweieinhalb Jahren für Bendjeriou-Sedjerari verändert hat. «Ich lebe meine Homosexualität frei, ohne Angst zu haben», sagt dieser mit leiser, aber fester Stimme. «Ich will nicht mehr versteckt leben müssen.»

BAMF
BAMF

Vor zweieinhalb Jahren habe sein Mandant den Rat erhalten, er könne doch in Algerien seine Sexualität diskret und heimlich ausleben, so wie vor seiner Flucht, sagt der Rechtsanwalt Jonathan Leuschner. Doch mit den öffentlichen Auftritten beim CSD und in den Medien sei Bendjeriou-Sedjerari sichtbar und präsent geworden. Völlig unberücksichtigt bliebe in der Haltung des BAMF zudem, dass es seit dem Sommer 2020 in Algerien mehrere Verhaftungswellen gegeben habe und etwa 80 Homosexuelle festgenommen worden seien. Der Rechtsanwalt sieht die Gefahr von Verfolgung und Gewalt für seinen Mandanten, falls dieser nach Algerien zurückkehren müsste.

«Wir führen dieses Verfahren, weil der Kläger asylrechtlichen Schutz braucht, weil das die richtige Entscheidung ist», sagt Leuschner, der in der Verhandlung auch den Richter und das BAMF kritisch angeht. «Bodenlos» sei es, wie die Behörde sich in diesem Fall verhalte.



Für Bendjeriou-Sedjerari ist klar: Ein heimliches Leben will er nie mehr führen. «Ich bin doch auch ein Mensch», sagt er im Gerichtsflur. Und die Träume für sein Leben ähneln denen vieler Heterosexueller: «Eine gute Beziehung, eine Familie. Ich hätte gerne Kinder.»

Wie es für ihn weitergeht, weiss er noch nicht. Die Entscheidung des Gerichts wird in etwa zwei Wochen erwartet.

Der Fall des 35-jährigen Algeriers stehe stellvertretend für eine Praxis, mit der das Bundesamt seit Jahren ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2013 unterläuft, heisst es in einer Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD. «Dem Urteil des höchsten EU-Gerichts zufolge können die zuständigen Behörden ,vernünftigerweise nicht erwarten, dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden‘.»

«Mir und dem Team in der Unterkunft ist es unerklärlich, warum einer so offen homosexuell lebenden Person wie Abdelkarim zugemutet werden soll, diesen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit wieder zu verbergen, um Verfolgung im Herkunftsland zu entgehen», betont auch Knud Wechterstein, Koordinator der Frankfurter Aidshilfe für queere Geflüchtete.

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