Warum Pazifismus privat eine gute Haltung ist
Unser ganzes queeres Leben hängt an der Voraussetzung der Existenz militärischer Verteidigungsstrukturen, schreibt unser Kommentator
Durch den Krieg in der Ukraine geraten alte Gewissheiten und Überzeugungen ins Wanken. Warum unser Autor Aversionen gegen Soldatinn*en politisch nicht teilt, schreibt er in diesem Kommentar*.
Ein schwuler Facebook-Freund postete neulich eine seltsame Nachricht, eine Art Befindlichkeit in eigener Sache. Der Krieg des Putinregimes hatte gerade am Tag zuvor begonnen, aber dieser Autor gab seinem Unbehagen Ausdruck, wenn er in einem ICE-Waggon auf Reisen ist und dort auch Bundeswehrsoldaten Platz genommen haben. Ja, er klagte: Bei Uniformen, da sei ihm immer ganz schwummerig … Und so weiter, in diesem Stil ging es weiter in seinem Textchen voller Verdruss. Ich nenne hier seinen Namen nicht, denn um ihn persönlich geht es mir nicht – aber was er in den grossen Facebookstrom als seine Gefühligkeit eintrug, ist ja verbreitet unter schwulen (obendrein sich queer verstehenden) Männern: Uniformen militärischer allenfalls im sexfetischhaften Kontext, nicht im wirklichen Leben.
Vielleicht hätte ich vor Jahren nicht diesen geschmäcklerischen, selbstbezüglichen, ja, egozentrierten, absolut unnachdenklichen Ton gewählt, um meine Aversion gegen die Bundeswehr und seine Soldaten öffentlich zu stellen. Aber selbstverständlich hätte ich aufrichtig gesagt, dass ich 1975 den Wehrdienst bei der Bundeswehr verweigerte. Und zwar nicht, weil ich pazifistischen Gemüts war, sondern weil ich sehr konkret Angst vor homophoben Attacken bei der Bundeswehr, in den Kasernen, auf den Übungsgeländen, an den militärischen Geräten hatte. Pure Furcht vor versoffenen Rekruten, die womöglich auch wegen meines Schwulseins – ich war gerade im Coming-out – gewalttätig geworden wären. Es gibt viele, sehr viele Berichte von Soldaten, die genau dies schilderten, wie sie gequält wurden, als sie als wenig machohafte Macker erkennbar wurden.
Die Stimmung in der militärischen Gesamtorganisation hat sich nicht ins Paradiesische gewendet über die Jahrzehnte, aber sie ist besser, viel besser geworden. Die Bundeswehr hatte als erste gesellschaftliche Grossorganisation Antidiskriminierungsbestimmungen, die schwule und lesbische Angehörige schützen sollen, auch trans Soldat*innen betreffen sie inzwischen. Insofern: Ich kann gewisse Aversionen gegen die Bundeswehr verstehen, politisch teile ich sie inzwischen nicht mehr.
Was mein schwuler Facebook-Freund mit seinem Post artikulierte hatte auch eine gewisse Herablassung gegen Menschen zur Voraussetzung, die noch von gleicher kultureller Delikatesse sind: Eine Verachtung für Männer, die lieber Pro7 als Arte gucken und nicht besonders woke sind. Man könnte sagen: In der Distanz zur Bundeswehr lag auch eine Haltung der Arroganz gegen die konkret kämpfenden Teile der Gesellschaft, auf Männer, die mit Waffen können und, wenigstens in der Phantasie, mit Fäusten umgehen können, ohne vorher einen sanften Stuhlkreis voller Sensibilitätsanmutung einzurichten.
Zur Sache nämlich: Diese Bundeswehr, im Verbund mit der Nato, steht faktisch für die Freiheit ein, die gerade – aus berechtigter Furcht vor dem Einsatz von Atomwaffen durch das Putinregime in Moskau – in der Ukraine wahrlich bombastisch und mörderisch zerschossen wird. Unser ganzes schwules, lesbisches und trans Leben voller oft ja nicht so zartfühlender Debatten um Queerness lebt von der Voraussetzung der Existenz der Bundeswehr, der militärischen Verteidigungsstrukturen.
Wer wissen will, was Putin an der Ukraine hasst, dass er sie auszulöschen trachet, wer erfahren möchte, was Putin und seine Freund*innen am Westen hassen, lese Putins kulturhistorische Erklärung vom Sommer vorigen Jahres. Mein Freund und Kollege Deniz Yücel, Autor der Welt und Vorsitzender des Schriftstellerverbandes PEN, hat dazu einen klugen Text (bezahlpflichtig) geschrieben, darin mit der Passage: «’Zersetzung‘, ‚Entartung‘, ‚gegen die menschliche Natur‘ – so klingt nämlich das Vokabular, mit dem der russische Autokrat seit Jahren gegen schwul-lesbische und queere Lebensstile und gegen die LGBT-Bewegung hetzt. Doch dass er, seine homophoben Ressentiments noch in seiner Kriegsrede aufgriff und diese, natürlich neben weiteren Gründen, zur Begründung des Angriffs auf die Ukraine heranzog, ist bemerkenswert. Kriegsgrund Schwulenhass, ein weltgeschichtliches Novum.»
Schwule und Lesben aus der Ukraine greifen zu den Waffen (MANNSCHAFT berichtete), sie kämpfen um ihr Land, damit um unsere Idee von Europa, um die Möglichkeit von Queerness und um ein gutes Leben. Sie wären froh, könnten sie in einem ICE-Waggon sitzen, friedlich – und hätten Männer und Frauen ihrer Militärs irgendwo in ihrer Nähe.
Pazifismus ist privat eine gute Haltung. Politisch aber nichts als Fahrlässigkeit. Just sayin‘ …
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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