Unser aller Selbsthass – Der Fall Malte C.

Gedenken an Malte C. (Foto: David Inderlied/dpa)
Gedenken an Malte C. (Foto: David Inderlied/dpa)

Kommende Woche soll im Fall Malte C. am Landgericht Münster das Urteil gegen den Angeklagten Nuradi A. fallen. Der hat bereits gestanden, den trans Mann niedergeschlagen zu haben. Zur mutmasslichen Homosexualität des Täters: unser Samstagskommentar*.

Am 21. August vorigen Jahres wurde auf dem CSD in Münster der trans Mann Malte C. getötet, mutmasslich durch einen als Schläger bekannten Asylbewerber aus dem russischen Kaukasus (MANNSCHAFT berichtete). Als vor gut einem halben Jahr der Fall bekannt wurde, war die Betroffenheit gross. Auch bei mir: Ich kenne aus meinen jungerwachsenen Jahren, als ich etwa den ersten CSD-Umzug in Hamburg – das war 1980 – mitorganisierte diese Stimmung an den Strassenrändern. Man erkannte nicht nur neugierig gestimmte Schaulust, die unsere (durchaus noch) kleine Parade traf, man sah aber auch blanken Ekel, der sich an uns entzündete, vor allem in den Mimiken nicht so smart gekleideter Männer am Strassenrand.

Nähere, wenn auch viel zu grobe Angaben zum Totschläger von Malte C. voriges Jahr vermeldeten, der Mann sei ein polizeibekannter Gewalttäter. Und wir dachten, so unterstelle ich mal, wir dachten alle: Na, typisch, homophober Hass der Unterschichten. Rasch wurde auch bekundet, dass Rassismus ganz fehl am Platze sei, denn in den sozialen Netzwerken wurde ziemlich schnell geäussert, na, das komme davon, wenn Asylbewerber nicht abgeschoben wurden.

In Wahrheit könnte dieser Fall viel komplexer sein, er verdient Beachtung über das Moment der Empörung und der Trauer um einen tödlichen Fall von Queerphobie hinaus. Vor Gericht, so legen es verschiedene Medienberichte nahe, wurde nämlich bekannt, dass der mutmassliche Täter selbst schwul ist. Er sich also, und das ist mehr als Küchenpsychologie, einen Muskelpanzer und eine Aggression gegen andere, für schwul gehaltene Männer zulegte, um als Mann unter seinesgleichen überleben zu können. Ein Freund von mir, der dies jüngst las, sagte nur: Das ist ja widersinnig – wie kann einer, der selbst als Mann andere Männer begehrt, einen aggressivst angehen, dass er zu Tode kommt? Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Ampelregierung in Berlin, liess sich ebenfalls in diesem Sinne vernehmen: Wie könne jemand eine queere Person so – am Ende ja tragischerweise: tödlich – attackieren?



Und ich frage mich: Wäre ein wenig Nachdenken, in eigener Sache beispielsweise, also persönlich, nicht angeraten? Ist der Prozess des Coming-outs nicht deshalb in 99,9 Prozent aller Fälle deshalb so quälend, weil man das nicht will – schwul sein oder lesbisch? Müssten wir nicht mehr die Zahlen zur Kenntnis nehmen, die bei Umfragen auf Schulhöfen herauskommen, dass nämlich „schwul“ oder „lesbisch“ die schlimmsten Schmähworte sind, die einer ernten kann bzw. jemand gegen einen anderen demütigend ausbringen kann? Und haben wir vergessen, was Psycholog*innen, die sich um Jugendliche im Coming-out kümmern, sagen, wenn sie von ihren Klient*innen sprechen? Dass nämlich Selbstablehnung, ja Selbsthass zu den ausgeprägten Merkmalen einer Coming-out-Phase gehören?

Wir wissen es doch alle: Alles mögliche wollten wir im Leben werden, alles hätte sein können, so phantasierten wir in unserer Kinder- und Pubertätszeit. Aber bloss nicht schwul, bloss nicht lesbisch. Schwul- oder Lesbischwerdung ist wesentlich für ein Coming-out, ein Leben in Wertschätzung für das, was man ist. Gleichgeschlechtlich begehrend, liebend, gleichgeschlechtlich angenommen und geliebt. Dabei handelt es sich um einen lebenslangen Prozess, ein Coming-out, das haben Sexualwissenschaftler wie Martin Dannecker schon vor Jahrzehnten gewusst, ist ein unabschliessbarer Prozess. Es braucht viel Zeit und eine respektierende Umgebung, um mit dem Faktum klar zu kommen, schwul (bzw. lesbisch) zu sein.

Der angeklagte Täter, der Malte C. in Münster um gutes Leben brachte, bleibt ein Täter. Zu bedenken bleibt, dass er in seiner kaukasischen Heteroterror-Umwelt keine Chance hatte, sein Schwules liebend zu leben. Dass er sich diese fürchterliche Panzerung zuzulegen hatte, um selbst nicht umgebracht zu werden. Ein queeres Leben, wie wir es in den einschlägigen Vierteln unserer Städte so locker hinkriegen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit in den Weiten der kriegsverwüsteten Landschaften in den Stammesgesellschaften des Kaukasus, gerade dort nicht, wo Homosexualität als prinzipiell als todeswürdig gilt.

Hüten wir uns davor, unsere errungenen Nischen, in denen queere Leben gut möglich sind, für allgültig zu halten. Unser aller Selbsthass – wir kennen ihn, wir packen ihn weg. Malte C. ist ein Opfer dieser Verhältnisse. Er ruhe in Frieden, er wurde Opfer eines Mannes, der in Queerem kein Leben erkennen konnte.



*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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