«Interview mit dem Vampir»: Toxische schwule Liebe radikal neu erzählt
Achtung, dieser Artikel enthält Spoiler!
Endlich kann man Staffel 2 der gefeierten AMC-Serie auch bei uns als Stream kaufen.
Im «Sachwörterbuch der Literatur» von Gero von Wilpert – pfurztrockene Pflichtlektüre aus längst vergangenen Studienzeiten – heisst es zum Schlagwort «Vampirromane», dass darin oft «Todesangst mit erotischen Substraten» verknüpft werde – besonders im Vampirbiss als Ersatz für sexuelle Vereinigung.
Dass das auch ein hohes queeres Potenzial hat bzw. oft auch eine starke homoerotische Komponente, hat kaum jemand so deutlich demonstriert wie Anne Rice mit ihrem Debütroman «Interview with the Vampire» von 1976 sowie der Fortsetzung «The Vampire Lestat» 1985 (MANNSCHAFT berichtete). Die Geschichte ist vielfach adaptiert worden. Berühmt (und auch berüchtigt wegen der Cheesyness) ist die Kinofassung von 1994 mit Brad Pitt als Louis de Pont du Lac und Tom Cruise als Lestat de Lioncourt, wo der schwule Subtext in Zeiten der Aids-Krise stark reduziert wurde. Man war damals in Hollywood einfach noch nicht so weit.
Empowerment-Botschaft Dann kam 2022 die neue Serienadaption von Rolin Jones, der die Geschichte von Louis und Lestat (und Claudia) nicht nur mit einem schwulen Subtext erzählt, sondern mit Sam Reid als blondgelocktem Lestat und Louis als Afro-Amerikaner aus den US-Südstaaten als explizite Geschichte von sexueller Anziehung und toxischer Liebe zwischen zwei Männern, die ein Kind «bekommen», um ihre Beziehung zu retten. Dabei wird ebenso explizit verhandelt, wie die Black Community in New Orleans Louis als Homosexuellen aus religiösen Gründen ausstösst, auch seine eigene Mutter und tiefgläubige Schwester, und wie Lestat ihm ein neues selbstbewusst-schwules Dasein als Untoter zeigt, das eine radikale Empowerment-Botschaft enthält. Die aber auf den Kopf gestellt wird, als Claudia zu dieser Regenbogenfamilie dazu kommt – und sich wie ein schwererträglicher 14-jähriger Teenager gar nicht erfreut zeigt, plötzlich zwei Väter zu haben. Die auch noch in einem Sarg schlafen!
Wie bei Rice erzählt Louis die Geschichte rückblickend dem US-Journalisten Daniel (Eric Bogosian). In der Serie geschieht dies in Dubai und im Hier und Heute, was einen spannenden Kontrast zum New Orleans der 1920er- und 30er-Jahre erzeugt. Und man sich auch fragt, wieso Louis mit seinem neuen Lover Armand (Assad Zaman) ausgerechnet in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt, schwerreich und in luxuriöser Umgebung. Vor allem fragt man sich, wo eigentlich Lestat abgelieben ist in dieser schönen neuen Welt.
Fehltritte und Seitensprünge Nachdem Staffel 1 im Oktober 2022 beim US-Sender AMC ausgestrahlt wurde und dann Anfang des Jahres drauf bei Sky Atlantic hierzulade abrufbar war, entdeckte ich selbst die Serie zum Kaufen bei Amazon Prime. Und war hin und weg von dieser so gänzlich «anderen» Darstellung eines schwulen Paares mit Kind. Denn hier wurden Szenen einer kaputten Ehe durchgespielt, wo das «rettende» Wunschkind alles nur noch schlimmer macht. Wo aber – und das ist das Besondere – die tiefe und alles verbindende Liebe der beiden Männer, trotz aller Fehltritte und Seitensprünge, in jedem Moment spürbar bleibt. Ich kann mich nicht erinnern, so etwas in einer anderen Serie oder einem anderen Film zum Thema «Schwule Partnerschaft und Familienplanung» je so gesehen zu haben. Kurz: Ich habe die sieben Folgen von Staffel 1 verschlungen. Fast so durstig, wie Lestat (und Claudia) sich auf seine Opfer stürzt, während Louis hier als «Vegetarier» gezeichnet wird, der keine Menschen töten will, aus ethischen Gründen. Was im Rahmen einer Vampirgeschichte schon recht komisch ist, aber toll.
Da Staffel 1 mit einem Knall endete – Louis und Claudia beschliessen bekanntlich Lestat zu töten und alleine «weiterzuleben» in Europa; allerdings sieht man in der letzten Einstellung, dass Louis es nicht über sich gebracht hat, seinen Lover umzubringen und ihn heimlich gerettet hat –, sah ich, dass AMC schon vor Veröffentlichung der ersten Staffel bekanntgegeben hatte, dass die Serie verlängert werde. Um die komplette Geschichte von Anne Rices Buch zu erzählen. Also dachte ich, ich könnte sofort Staffel 2 bei Amazon kaufen. Und weiterschauen. Doch das war nicht der Fall, denn durch den Streik der Hollywood-Drehbuchautor*innen (MANNSCHAFT berichtete) hatten sich die Dreharbeiten verzögert. Massiv.
Von Rumänien nach Paris Es dauerte bis zum Frühsommer 2024, bis die acht Folgen von Staffel 2 endlich in den USA im Wochenrhythmus herauskamen, was die vielen Fans der Serie auf Instagram & Co. mit wöchentlichen Updates kommentierten. Dann dauerte es, bis die Serie im Anschluss an die amerikanische Erstausstrahlung bei uns bei Margenta TV (statt Sky Atlantic) zu sehen war. Und erst als da auch alle Folgen durch waren, konnte man die komplette zweite Staffel ohne Abo bei Amazon Prime als Stream kaufen. Das war gerade jetzt erst.
Das lange Warten hat sich gelohnt. Denn es geht genauso explizit schwul (und diesmal auch lesbisch) weiter, wie Staffel 1 aufgehört hat. Nur dass Louis und Claudia via Rumänien nun in Paris landen, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Und dort in einem historischen Coven, der das Théâtre des Vampires leitet. Wo – grosse Überraschung – einst auch Lestat Mitglied war und wo Louis Armand kennenlernt, der Zuschauenden ja bereits aus Staffel 1 als sein späterer Partner in Dubai bekannt ist. Es ist einerseits nur eine Frage der Zeit, bis Lestat irgendwie wieder auftaucht. Was wird dann mit der neuen Liebe zwischen Louis und Armand? Und es ist ebenfalls nur eine Frage der Zeit, bis im sehr traditionell aufgestellten Coven jemand fragt, wieso Lestat eigentlich verschwunden ist und sich nicht mehr zurückmeldet? Auf das Töten eines Vampirs durch einen anderen Vampir steht – laut uralten Vampirgesetzen – die Todesstrafe in Form von endgültiger Auslöschung.
Assimilieren oder rebellieren? Aus diesem Gemisch entspinnt sich ein sehr anderes Narrativ als in Staffel 1, wo die Paarbeziehung und Familiendynamkik im Fokus stand. Hier geht es mehr um Community. Und das kann man, wenn man will, auch als ironische Abrechnung mit der LGBTIQ-Community interpretieren, die strikte Erwartungshaltungen an ihre Mitglieder hat, keine abweichenden Meinungen toleriert und sich auf eine einzige Erzählweise der eigenen Historie beruft, neben der es keine anderen Erzählweisen geben darf. Was Louis und Claudia vor die Wahl stellt sich zu «assimilieren» – oder zu rebellieren. Und zu testen, ob die neuen Lieben, die sie finden, stärker sind als die immer noch vorhandenen Bindungen an die alte Liebe.
Auch hier werden Beziehungsdynamiken eines erwachsenen schwulen Paares nuanciert ausgeleuchtet, weit entfernt von der Niedlichkeit und Kindlichkeit, die man bei «Heartstopper» oder «Young Royals» bestaunen darf. So dass ich «Interview with the Vampire» insgesamt als bahnbrechend für die Repräsentation von Regenbogenfamilien und LGBTIQ-Beziehungen einstufen würde.
Noch vorm Finale von Staffel 2 – mit einem tief bewegenden Plot-Twist der Sonderklasse – wurde bekannt, dass die Serie um eine dritte Staffel verlängert würde. Basierend auf Rices Nachfolgeroman «The Vampire Lestat». Man sieht ganz zum Schluss von Folge 8 auch, als eine Art Preview, wo es ungefähr hingeht. Und darf sich freuen, dass zwischen Staffel 2 und 3 nicht wieder so eine endlos lange Zeit verstreichen wird wie zwischen Staffel 1 und 2.
Das ist wunderbar, denn für mich ist dieser Serie – eingehüllt in die typischen Elemente einer Vampirgeschichte – das Radikalste, weil Erwachsenste, was ich im Bereich von LGBTIQ-Serien bisher gesehen habe. Und es ist die ehrlichste (und bewegendste) Darstellung einer Liebe zwischen zwei Männern, die nicht funktioniert und dennoch nicht aufhört, als schon alles kaputt ist. Also bitte her mit Staffel 3, so schnell wie möglich.
Nachdem Jacob Elordi in «Saltburn» der von Barry Keoghan gespielten Figur den Kopf verdrehte und diese sogar dazu brachte, sein vollgewichstes Badewasser zu trinken, spielt er in «On Swift Horses» in einer schwulen Liebesgeschichte mit (MANNSCHAFT berichtete).
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