Schweizer Studie empfiehlt Verbot von «Konversions­massnahmen»

Der Bericht von Yv Nay zeigt Lücken in der Forschung auf

Symbolbild: AdobeStock
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Eine Studie der ZHAW kommt zum Schluss, dass die Schweiz ein Verbot von sogenannten «Konversionstherapien» braucht. Wir haben die wichtigsten Punkte aus dem Bericht zusammengefasst.

Am 12. Dezember 2022 stimmte der Nationalrat für ein landesweites Verbot von «Konversionstherapien» (MANNSCHAFT berichtete). Nun geht die Kommissionsmotion in den Ständerat. Damit ist ein erster Schritt getan, doch es ist noch ein langer Weg: Selbst wenn beide Kammern dem Verbot zustimmen würden, könnte von Teilen der Bevölkerung das Referendum ergriffen werden, was – schätzungsweise im Jahr 2024 – zu einer Abstimmung führen würde.

Die Befürworter*innen des Verbots verweisen in ihrer Argumentation jeweils auf einen neuen Forschungsüberblick: Die Studie von Yv E. Nay der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) fordere ein Verbot und betone die Notwendigkeit einer Sensibilisierung von Fachpersonen zu queeren Lebensweisen, um die Gesundheit von LGBTIQ nachhaltig zu stärken. Dieser 2022 erschienene Bericht resultierte aus einem Forschungsauftrag von Pink Cross. Im Folgenden haben wir die wichtigsten Punkte daraus zusammengefasst.

Begrifflichkeit: «Massnahme» statt «Therapie» Zunächst bildet Yv Nay den Diskurs über den korrekten Begriff ab und zeigt dabei, dass es gegen den Ausdruck «Konversionstherapie» kritische Einwände gibt. Er würde implizieren, dass es einen Missstand gibt, der verändert werden soll. Der Begriff steht damit im engen Bezug zur Pathologisierung der gleichgeschlechtlichen Liebe, die im 19. Jahrhundert entstanden ist. Yv Nay und auch Organisationen wie Pink Cross und Network sprechen deshalb von «Konversionsmassnahmen».

In der Forschung setzt sich vermehrt der Begriff «sexual orientation, gender identity and expression change efforts» (SOGIECE) durch. Diese Benennung berücksichtigt auch Massnahmen zur Verhinderung von nicht normkonformen Geschlechtsidentitäten und -ausdrucksformen.

Nachwirkungen der historischen Pathologisierung Bereits seit dem 17. Jahrhundert wurde im medizinischen und psychologischen Kontext versucht, die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Selbstidentifikation zu verändern – mit zum Teil absurden und grausamen Experimenten. Ab dem 19. Jahrhundert wurden beispielsweise die Hoden von sich als heterosexuell beschreibenden Männern in die Körper von gleichgeschlechtlich begehrenden Cis-Männern implantiert. Auch Kastrationen wurden zu diesem Zweck durchgeführt.

Wie Yv Nay aufzeigt, gründen die heute bekannten Formen von Konversionsmassnahmen auf diesen historisch entstandenen Pathologisierungen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Homosexualität zwar mittlerweile schon vor 31 Jahren aus ihrem Diagnoseschlüssel gestrichen. Eine Minderheit von therapierenden und beratenden Personen habe sich dieser Entwicklung jedoch verwehrt.

Drei Settings mit fliessenden Grenzen Konversionsmassnahmen werden in medizinischen, psychotherapeutischen und religiösen (vorwiegend christlichen, aber auch jüdisch-orthodoxen und muslimischen) Settings durchgeführt. Es sind Methoden bekannt, die Hormonverabreichungen oder Nahrungsentzug beinhalten. Auch «Elektroschock-Therapien» mit Elektroden am Schädel, im Genitalbereich oder anderen Körperstellen, «die beim Zeigen von oder beim erzwungenen Masturbieren vor homoerotischen Bildern in Funktion treten», sind dokumentiert.

Die heute am weitesten verbreitete Form von Konversionsmassnahmen habe psychotherapeutischen und beraterischen Charakter. Sie gründet auf psychoanalytischen Theorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Homosexualität als verzögerte psychosexuelle Entwicklung verstehen. Unterstützt werden sie von konservativen Kräften, welche die «Entwicklung zu vermehrter sozialer Akzeptanz und rechtlicher Anerkennung und Absicherung geschlechtlich und sexuell vielfältiger Lebens- und Identifikationsweisen» ablehnen, wie es im Bericht heisst.

Rhetorische Wende Nicht nur die Forschung und die Befürworter*innen eines Verbotes von Konversionsmassnahmen achten auf die Wortwahl: Auch die Anbieter*innen selbst bedienen sich zunehmend eines menschenrechtlichen Vokabulars, welches das Recht auf freie Wahl und Entscheidung für eine Therapie betont. Wie Yv Nay schreibt, wird neuerdings nicht mehr offenkundig von «Konversion» gesprochen. Vielmehr werden die weiterhin bestehenden Methoden «als Unterstützung im vermeintlichen Ringen mit der eigenen Sexualität und Geschlechtlichkeit und in der Erlangung sozialer Akzeptanz» bezeichnet.

Schädliche Folgen Der wohl wichtigste Punkt in der Studie ist die Feststellung, dass Konversionsmassnahmen keinerlei positive, sondern ausschliesslich ineffiziente oder gar schädigende Wirkungen haben. Die Forschung berichte unter anderem von sexuellen Übergriffen, Zwangssterilisierungen, Operationen ohne Zustimmung, erhöhtes Risiko für sexuell übertragbare Infektionen, stress- und traumabedingte Depressionen und Ängste mit einem erhöhten Risiko für Suizid, Drogen- und Substanzmittelabhängigkeiten.

Forschungs- und Gesetzeslücken in der Schweiz In der Schweiz ist Forschung zu Konversionsmassnahmen – im Gegensatz etwa zu Nordamerika, Grossbritannien oder Australien – nur spärlich vorhanden. Vor allem zwei neuere Arbeiten aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die in Yv Nays Bericht Erwähnung finden, scheinen in diesem Zusammenhang relevant zu sein. Einerseits hat der Religionswissenschaftler und Germanist Adriano Montefusco unter anderem deutlich gemacht, dass die Dachorganisation Schweizerische Evangelische Allianz ein Arbeitspapier zum Thema veröffentlicht hat, das gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung als Identitätsstörung pathologisiert und mit Pädophilie verknüpft. Dieses Arbeitspapier dient als Leitlinie für die «Therapeut*innen».

In einer rechtswissenschaftlichen Forschungsarbeit aus dem Jahr 2022 folgert andererseits Davide Gioiello, dass hoheitliche Schutzmassnahmen gegenüber der Verletzung der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung sowie der Freiheitssphäre für eine rechtliche Regulierung von Konversionsmassnahmen sprechen.

Handlungsempfehlungen Die wichtigste und aus wissenschaftlicher Sicht einzig richtige Schlussfolgerung, die Yv Nay in der Studie zieht, lautet: Konversionsmassnahmen sollen in der Schweiz möglichst umfassend (unter anderem im Gesundheitswesen, im Erziehungswesen und in religiösen Institutionen) rechtlich geregelt und durch Sanktionen unterbunden werden. Nationale medizinische, psychiatrische und psychologische Vereinigungen sollen zudem proaktiv die Ausbildung zu Themen der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt entwickeln und fördern und über die schädigende Wirkung von Konversionsmassnahmen aufklären.

Internationaler Vergleich In vielen Ländern ist man bereits weiter als in der Schweiz: Vollständig verboten sind «Konversionstherapien» in Europa bisher laut LGBTIQ-Organisation ILGA-Europe in Frankreich und Malta (MANNSCHAFT berichtete). In Deutschland, Griechenland sowie einigen spanischen Regionen dürfen diese Massnahmen nicht an Minderjährigen ausgeführt werden (MANNSCHAFT berichtete). Gemäss Yv Nay umfassen die Sanktionen Geldstrafen im Bereich von einigen Tausend bis mehreren 100‘000 Euro und Gefängnisstrafen zwischen einigen Monaten bis hin zu mehreren Jahrzehnten. In Belgien, Irland (MANNSCHAFT berichtete), den Niederlanden, Polen, Portugal und in Spanien sind nationale Gesetzesentwürfe diesbezüglich in Erarbeitung.

Die Verbote führen dazu, dass sich Anbietende von Konversionsmassnahmen in benachbarte Staaten zurückziehen. Ein Bericht von 2022 über die Situation in Europa von David De Groot nennt dabei ausdrücklich die Schweiz als Zufluchtsort für die berüchtigten «Homoheiler». 2020 berichteten wir darüber, wie der Nachfolgeverein von Wüstenstrom vor dem deutschlandweiten Verbot in die Schweiz «flüchtete».

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