Queere Zeitgeist-Serie «Euphoria»: Ist nach Staffel 3 Schluss?
Nach dem gefeierten Finale der zweiten Staffel stehen die Macher*innen der HBO-Serie vor einem Problem
Selten habe eine Serie so sehr den «Zeitgeist» getroffen wie «Euphoria», meint PinkNews – ein Zeitgeist, der selbstbewusst und selbstverständlich queer ist und das Beziehungschaos von Teenager*innen zeigt, die auf der Suche nach Glückszuständen bzw. Euphorie sind. Gerade war das Finale der lang verschobenen zweiten Staffel zu sehen.
Im Zentrum der Geschichte steht die Beziehung der 17-jährigen Rue (gespielt von Zendaya) und ihrer gleichaltrigen Mitschülerin Jules (Hunter Schafer), die trans ist und noch keine geschlechtsangleichende OP hatte, wie wir in Staffel 2 erfahren.
Während Rue mit ihrer Drogensucht und Depressionen kämpft und ihren Schmerz übers Leben (und den Krebstod ihres Vaters) immer wieder mit Rauschmitteln betäubt, muss sie gleichzeitig damit klarkommen, dass ihrer scheinbar exklusiven Beziehung mit Jules deren Vergangenheit gegenübersteht, in der diese sich von «Horden von Männern» hat durchvögeln lassen.
Das erzählt Jules in Staffel 2 der neuen Figur des Elliot (gespielt von Dominic Fike), der sagt, er finde es toll, dass Jules so selbstbewusst «schlampig» und «sexuell aggressiv» sei und sich gleichzeitig eine «Unschuld» bewahrt habe, die «verwirrend» sei. Elliot fragt Jules auch, wie sie damit umgehe, dass Rue fast «asexuell» wirke, während sie selbst das genaue Gegenteil sei.
Es sind diese Art von Gesprächen, die sich immer wieder in der Serie und in Staffel 2 finden, die «Euphoria» zum Zeitgeist-Phänomen machen. Denn es sind ganz offensichtlich Themen, die viele Teenager beschäftigen. Und selbstredend auf unendlich viele Menschen ausserhalb dieser Altersgruppe.
Männlichkeitskrise und Vater-Sohn-Konflikt Zu den Personen, die Jules «durchgevögelt» haben, zählt der Vater ihres Mitschülers Nate, der sich seinerseits in Jules verliebt – sich aber nicht eingestehen will, dass er ein präoperatives trans Mädchen begehrt. Und dadurch in eine Männlichkeitskrise gestürzt wird (MANNSCHAFT berichtete).
Nate (gespielt von Jacob Elordi) lässt seine unterdrückten Gefühle an anderen cis Mädchen der Schule ab, die er reihenweise ins Unglück stürzt, weil sie das Verhalten dieses düsteren «Herzensbrecher» nicht verstehen. Dazu kommt seine toxische Beziehung zu Jules selbst. Und zu seinem Vater (gespielt von Eric Dane), nachdem er dessen homoerotische Vergangenheit entdeckt, die dieser als High-School-Jock einstmals nicht ausleben konnte wegen der gesellschaftlichen Zwänge.
Ausserdem findet Nate die Pornosammlung seines Vaters, inklusive eines Self-Made-Films mit Jules: Dieser Film, der Sex mit einer Minderjährigen zeigt, ist ein zentraler Handlungsstrang von Staffel 2. Denn Vater Cal will unbedingt verhindern, dass irgendjemand diesen Film sieht.
Das ist insgesamt starker Tobak, den Sam Levinson als Entwickler der Serie serviert, gemischt mit einer ebenso starken Dosis Melancholie und dunklem sexuellem Magnetismus. Der aus etlichen der Darsteller*innen im Laufe von zwei Staffeln Stars gemacht hat – allen voran aus Zendaya, die inzwischen zum Hollywood-Liebling aufgestiegen ist mit «Spider-Man: No Way Home» und «Dune».
Penisprothesen und frontale Nacktheit Der hünenhafte Superjock Jacob Elordi hat mit der Rolle des psychopatischen Nate seine «Kissing Booth»-Aura hinter sich gelassen und sich als ernstzunehmender Charakterdarsteller profiliert. Und Hunter Schafer ist durch Jules zu einem der interessantesten neuen Gesichter im Serien-Universum geworden. (MANNSCHAFT berichtete über die Emmy-Nominierungen von «Euphoria».)
Die Zeitschrift TV Spielfilm meint: «Die mehrfach ausgezeichnete Serie ist ein Phänomen. Kritiker und Zuschauer sind gleichermassen begeistert: Die Drehbücher, der Soundtrack, die Regie und vor allem die Darstellerinnen und Darsteller werden hoch gelobt.»
Englischsprachige LGBTIQ-Portale feierten die zweite Staffel im Wochenrhythmus mit grossen Artikeln zu jeder Einzelfolge – u. a. zu der, in der die Beziehung von Nates Vater zu einem Mitschüler Derek (gespielt von Henry Eikenberry) in der Oberschule gezeigt wird, die abrupt abbricht, als Cals Alibifreundin schwanger wird und er plötzlich den Familienvater «spielen» muss, statt mit seinem besten Freund unterwegs zu sein, den er immer wieder mit begehrenden Blicken anschaut.
Den jungen Cal spielt übrigens Elias Kakavas, der ebenfalls einen Splash auf den Bildschirmen auslöste und als Name seither intensiv gehandelt wird von Besetzungsagenten. Diese einstige Beziehung zwischen Cal und Derek dominiert auch das Finale von Staffel 2, das sich rund um eine Theateraufführung in der High-School abspielt.
Pink News spricht vom diesem Finale als «herzergreifend», weil im Chaos der Gefühle und Handlungsstränge so unendlich viel passiert, auch mit den diversen (neuen) Nebencharakteren. Doch obwohl dieses Finale ein ziemliches Tohuwabohu war, schreibt Pink News: «Es hätte schlimmer sein können. Es hätte langweilig sein können.» Und langweilig war es nie, auch nicht die sieben knapp einstündigen Folgen davor von Staffel 2, in denen viele Penisprothesen zu sehen waren und viel vollständige frontale Nacktheit. Schliesslich ist es eine HBO-Serie und nicht Disney.
Wird Zendaya aus der Serie rausgenommen? Aber was kommt nun? TV Spielfilm schreibt, dass gerade das Alter der Figuren ein potentielles Problem sei, wie HBO-Chef Casey Bloys bestätigte: «Ich will nicht, dass 30-Jährige Teenager spielen.» Zendaya beispielsweise sei gerade 25, Elordi 24, Schafer 23. Muss also nach Staffel 3 Schluss sein, um die Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren? Oder wird Zendaya aus der Serie rausgenommen, weil zu alt? (MANNSCHAFT berichtete über den Drehstart von Staffel 2 der Teenagerserie «Young Royals», bei der die Darsteller*innen tatsächlich so alt sind wie ihre Charaktere.)
Bloys dazu: «Ich werde Sam Levinson und Zendaya darüber sprechen lassen. Ich freue mich sehr auf das, was sie für Staffel 3 geplant haben, also überlasse ich das ganz ihnen.» Auf die Frage, ob er das Ganze auch ohne Zendaya machen würde, antwortete er: «Es ist schwer, sich die Serie ohne sie vorzustellen.» (Zur Erinnerung: Zendaya ist Co-Produzentin der Serie, die ihren schauspielerischen Fähigkeiten eine Plattform bietet, die weit über «Spider-Man» und «Dune» hinausgehen.)
Während der Corona-Lockdowns, die auch die Dreharbeiten zu Staffel 2 massiv verschoben haben, wurden zur Überbrückung zwei Sonderepisoden gedreht, in denen jeweils Rue und Jules einzeln auf dem Psychiater-Sofa sitzen und ihre Beziehung zueinander analysieren. Dabei spricht Jules u. a. darüber, dass sie ihren Plan einer Transition abbrechen wolle, um für Rue «mehr Mann» sein zu können. Sie erwähnt, dass sie dafür ihre Pubertätsblocker absetzen wolle, um eine Destransition einzuleiten. Aus Liebe. (MANNSCHAFT berichtete übers Thema Detransition.)
Freiheit und Navigationshilfe Das ist ein grosses Thema, über das im Kontext der trans Debatten nicht oft gesprochen wird, weil sich dadurch viele Fragezeichen auftun. Fragezeichen, die «Euphoria» offen anspricht. Die Serie zeigt die Gruppenzwänge an einer High-School, sie zeigt, wie die sexuell umtriebigen Teenager oft nicht wissen, wer sie sind und was sie sein wollen. Teenager, die dann ihre Orientierungslosigkeit in Drogen, Party und noch mehr Sex begraben.
Die Serie demonstriert, welch selbstzerstörerische Mischung sich daraus ergeben kann und wie kompliziert die vermeintlich totale Freiheit einer jungen queeren Generation ist, wenn es kaum Vorbilder gibt, die als Navigationshilfe dienen. In gewisser Weise ist «Euphoria» eine solche Navigationshilfe, auch in Bezug auf LGBTIQ.
Auf alle Fälle war die Serie auch in der zweiten Staffel so erfolgreich beim Publikum, dass HBO noch vorm Finale verkündete, dass es eine dritte Staffel geben werde. Bei uns kann man die beiden Staffeln und Sonderfolgen bei Sky Ticket streamen. (MANNSCHAFT stellte weitere queere Serien als Geheimtipps vor.)
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