Opposition in Polen glaubt an Wahlsieg: «Zurück nach Europa!»

Nach Parlamentswahl: Historische Verschiebungen und der Kampf um die Macht

Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
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Die Opposition liegt laut Prognose bei der polnischen Parlamentswahl hinter der regierenden LGBTIQ-feindlichen PiS-Partei. Doch Oppositionsführer Donald Tusk ist überzeugt: Jetzt kommt der Machtwechsel.

Von: Doris Heimann und Eva Krafczyk, dpa

Selten ist ein zweiter Platz so bejubelt worden. «Ich bin heute der glücklichste Mensch auf der Welt», sagt Polens Oppositionsführer Donald Tusk am Wahlabend in Warschau. «Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen. Das ist das Ende der PiS-Regierung.»

Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen. Das ist das Ende der PiS-Regierung

Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat Polen seit acht Jahren regiert. Nach der Parlamentswahl vom Sonntag sind nun drei proeuropäische Oppositionsparteien zuversichtlich, dass sie eine Regierungsmehrheit zusammenbekommen und die PiS-Regierung bald Vergangenheit ist. «Am 15. Oktober kommt Polen nach Europa zurück», jubelt auch Robert Biedron vom Linksbündnis Lewica bei der Wahlparty.

Nach ersten Prognosen landet Tusks liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) mit 31,6 Prozent auf dem zweiten Platz. Das ergäbe 163 Abgeordnetenmandate. Somit könnte die Bürgerkoalition mit dem christlich-konservativen Dritten Weg (13 Prozent) und Lewica (8,6 Prozent) als Juniorpartnern eine Koalition bilden.

Wir warten jetzt auf das offizielle Ergebnis, setzen uns hin, reden und werden uns bestimmt einig

Das Dreierbündnis käme zusammen auf 248 der insgesamt 460 Sitze und hätte damit eine Mehrheit im Parlament. «Wir warten jetzt auf das offizielle Ergebnis, setzen uns hin, reden und werden uns bestimmt einig», sagt ein optimistischer Tusk dem Sender TVN24.

Mateusz Morawiecki und Donald Tusk
Mateusz Morawiecki und Donald Tusk

Bleierne Gesichter unterdessen in der Parteizentrale der PiS. Mit eingefrorener Mimik und verkrampftem Lächeln verfolgen Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak und andere die Rede des Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. Die PiS wird zwar laut Prognosen mit 36,8 Prozent die stärkste politische Kraft, aber sie verfehlt die absolute Mehrheit und wird 200 Abgeordnete stellen. Und mit einem Koalitionspartner wird es auch schwierig.

Ungerührt von der Katerstimmung um ihn herum spricht Kaczynski von einem «grossen Erfolg» und schwört seine Gefolgschaft auf den Kampf ein: «Unabhängig davon, ob wir an der Macht sind oder in der Opposition, wir werden dieses Projekt umsetzen und nicht zulassen, dass Polen verraten wird.»



Indirekt gesteht der 74-Jährige damit allerdings ein, dass er einen Gang in die Opposition nicht ausschliesst. Denn der einzige Koalitionspartner, der für die PiS infrage käme, wäre die ultrarechte Konfederacja. Doch die Formation kommt in den Prognosen auf 6,2 Prozent und 12 Abgeordnete – das reicht nicht. Zudem haben die Ultrarechten im Wahlkampf immer erklärt: keine Koalition mit der PiS.

Die Wahl stiess auf ungewöhnlich grosses Interesse: Laut Prognosen liegt die Wahlbeteiligung bei 73 Prozent – das wäre der höchste Wert seit dem Ende des Kommunismus 1989. Auch bei dieser Parlamentswahl setzt sich der Trend zu einer klaren Ost-West-Teilung des Wählerwillens fort: Die Liberalkonservativen können laut Prognose die Regionen im Westen des Landes für sich gewinnen. In einem Bogen von Pommern bis nach Schlesien und entlang der deutsch-polnischen Grenze punktet die KO. Auch die grossen Städte sind ihre Hochburgen. Die PiS hingegen erringt einmal mehr im Süden und Osten Polens Mehrheiten. Das offizielle Wahlergebnis will die Wahlkommission bis Dienstag bekanntgeben.

Danach folgt der nächste Schritt. Die polnische Verfassung sieht vor, dass der Präsident einen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragt. Staatsoberhaupt Andrzej Duda hat bereits vor der Wahl angedeutet, dass er sich an die politische Gepflogenheit halten wird, einem Vertreter der stärksten politischen Kraft diesen Auftrag zu erteilen. Das vorgeschlagene Kabinett muss dann vom Parlament bestätigt werden. Scheitert dies, weil keine Mehrheit zustande kommt, kann das Parlament mit seiner Mehrheit eine Regierung bilden. Und dann schlägt wahrscheinlich die Stunde von Donald Tusk. Doch bis dahin können noch einige Wochen der Unsicherheit vergehen.

Immer wieder hören wir, dass die Gesellschaft zutiefst gespalten sei. Das stimmt nicht, schreibt Jan Feddersen in seinem Kommentar, der zugleich auch ein Buchtipp ist.

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