Nach §175 Verurteilte stellen kaum noch Anträge zur Entschädigung
Von den bereitgestellten 7 Millionen Euro wurde bisher nicht mal eine Million abgerufen
Bisher sind nach dem Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen nach §175 verurteilten Personen (StrRehaHomG) nur 178 Anträge beim Bundesamt für Justiz (BfJ) eingegangen. Zuletzt wurde pro Monat nur noch etwa ein Antrag gestellt.
Mit Stand vom 31. Dezember 2020 gingen nach dem Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) bislang 178 Anträge beim Bundesamt für Justiz (BfJ) ein; es wurden insoweit insgesamt 676.500 Euro an Betroffene ausgezahlt, teilte Marius Leber, der Sprecher des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) auf MANNSCHAFT-Anfrage mit.
Nach der am 13. März 2019 in Kraft getretenen Richtlinie zur Zahlung von Entschädigungen für Betroffene des strafrechtlichen Verbots einvernehmlicher homosexueller Handlungen aus dem Bundeshaushalt, mit der eine Entschädigung auch ohne eine die Verurteilung erfolgt, sind bislang 119 Anträge gestellt worden. «An Entschädigungsleistungen wurden hiernach bisher 174.500 Euro ausgezahlt», so Sprecher Leber. Insgesamt wurden 7 Millionen Euro bereit gestellt.
Vor einem halben Jahr, als der Tagesspiegel über den Stand der Dinge berichtete, waren es in der ersten Gruppe der Verurteilten 170 Anträge (danach folgten also noch 8), in der zweiten 104. In den vergangenen Monaten wurden also insgesamt lediglich 23 Anträge gestellt. Der damalige Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg, Jörg Steinert, erklärte, das Gesetz sei wichtig, aber «viel zu spät» verabschiedet worden. «Die Leute sterben oder sind zu alt oder krank, um einen Antrag zu stellen.»
Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden in der Bundesrepublik noch bis 1969 rund 50.000 Männer wegen ihrer Sexualität verurteilt. So wie Fritz Schmehling, der von der Polizei direkt von Lehrstelle abgeholt wurde, ohne Anwalt oder elterliche Begleitung – MANNSCHAFT berichtete).
Als 2017 das Gesetz zur «strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen», kurz StrRehaHomG, in Kraft trat, galt: Ohne Urteil gab es keine Entschädigung. Die Männer mussten auf Grundlage von § 175 StGB (die junge Bundesrepublik hatte nach 1945 die Paragrafen 175 und 175a aus dem Dritten Reich unverändert ins Strafgesetzbuch übernommen) rechtskräftig verurteilt worden sei.
2019 folgte ein ergänzende Richtlinie: Sie sah vor, auch Personen zu entschädigen, gegen die ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde oder die durch die Verfolgung «aussergewöhnlich negative Beeinträchtigungen» erlitten haben. Zum Beispiel, wenn sie ihren Job verloren haben. «Auch ihre Leben hat Paragraf 175 schwer belastet. Es ist wichtig, dass wir Solidarität und Anerkennung zeigen», erklärte die damalige Justizministerin Katarina Barley (SPD). U.a. die ehemalige Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Lüders hatte darauf hingewiesen, dass, wer in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren ein Straf- oder Ermittlungsverfahren nach Paragraf 175 StGB über sich ergehen lassen musste, oft schwerste Folgen bis hin zum Verlust der bürgerlichen Existenz erlitten habe – selbst wenn er später freigesprochen wurde.
Nach Tweet gegen Homosexuelle: Strafbefehl und Meldung an Geheimdienst
Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) hat die Hotline 0800 – 175 2017 eingerichtet, die über bestehende Beratungsmöglichkeiten vor Ort informiert und die Betroffenen bei der Abwicklung der Entschädigungsanträge unterstützt.
Die Frist für die Beantragung endet am 21. Juli 2022. Auf die Frage, ob sie möglicherweise verlängert wird, sagte uns der Sprecher: «Über eine Verlängerung der Frist für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen wird rechtzeitig vor Fristende entschieden.»
Auch bei der Bundeswehr soll es eine Entschädigungsregelung geben (MANNSCHAFT berichtete). Denn sobald ihre sexuelle Orientierung bekannt wurde, hatten Soldaten noch bis 2000 massive Nachteile zu befürchten bis hin zu disziplinarrechtlichen Folgen wie die Entlassung aus der Truppe. Bis 1982 wurden Homosexuelle überhaupt nicht zur Bundeswehr zugelassen. Zwischen 1980 und 1990 wurden homosexuelle Soldaten zwar nicht mehr aus dem Dienst entlassen, hatten aber keine Chance auf Karriere.
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