«Allah ist bei Homosexualität das Totschlag-Argument schlechthin»
Am Dienstag fand eine Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung über Homophobie bei muslimischen Jugendlichen statt
Am Dienstag fand die Veranstaltung «Ressentiments und Tabus brechen. Präventionsarbeit gegen Homophobie bei muslimischen Jugendlichen» auf der Online-Plattform Zoom statt.
Homosexualität ist noch immer ein Reizthema für verschiedene Teile der deutschen Gesellschaft, hiess in der Ankündigung zur Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. «Sowohl die eigene Sexualität und das Sich-hingezogen-fühlen zum eigenen Geschlecht wie auch die gleichgeschlechtliche Liebe bei anderen Menschen werden von einigen geleugnet bzw. verächtlich gemacht.»
Islamisches Zentrum stellt homophobes Video ins Netz
Auch unter muslimischen Jugendlichen sei Homophobie weit verbreitet, hiess es in der Ankündigung. «Ein klassisches Männerbild herrscht vielfach vor. Liebe unter Männern bzw. Frauen wird offen kritisiert und zum Teil auch mit Gewalt begegnet.» Behandelt werden sollten im Rahmen der einstündigen Veranstaltung Fragen nach Möglichkeiten der Prävention bei jugendlichen Muslimen: Wie kann man Respekt und Toleranz bei ihnen stärken? Dazu äusserten sich der deutsch-israelische Psychologe und Autor Ahmad Mansour («Generation Allah») und der Psychologe Asmen Ilhan (Strohhalm e.V.) der gewaltpräventives Gruppentraining für Jungen anbietet. Die Fragen stellte Michael Kauch, Bundesvorsitzender der Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL).
«Wir haben als LGBTI-Community unsere Rechte erkämpft, auch gegen Widerstände aus der Kirche», sagte Kauch eingangs. «Und jetzt erleben wir wieder religiös motivierte Ablehnung.» Der FDP-Politiker nutzte die Gelegenheit, seine Partei nach links und rechts abzugrenzen. Man dürfe Konflikte nicht unter den Teppich kehren, wie es die Grünen täten, so Kauch. Aber man dürfe das Thema auch nicht der AfD überlassen, die sich gerne als Schutzherrin für LGBTIQ aufspiele, die diese vor Migrant*innen rette. «Das kann nicht sein», so Kauch.
Toleranz muss in jeder Generation neu erarbeitet werden, sagt der Moderator des Abends und konstatiert, dass die heutige junge Generation weniger LGBTIQ-freundlich sei (das zeigen u.a. Studien aus Grossbritannien – MANNSCHAFT berichtete). Das gelte aber auch für Jugendliche etwa mit russischen oder türkischem Migrationshintergrund.
Ahmad Mansour sagt, Religiosität sei ein Teil des Problems, aber ebenso die Erziehung und die Jugendkultur. Auch wenn es historische Beispiele für praktizierte Homosexualität in der muslimischen Oberschicht gebe: In der Neuzeit werde die Rückkehr zur Männlichkeit zelebriert. Insgesamt nennt Mansour arabische Gesellschaften sexualfeindlich. «Sex ist erst nach der Hochzeit erlaubt, nur zwischen Mann und Frau und nur zum Zweck der Reproduktion.»
Viele Hassprediger aus dem Nahen Osten sagen zum Thema Homosexualität: Der Westen ist schuld. Mansour erwähnt auch den Freitod der ägyptischen Aktivistin Sarah Hijazi, die zuletzt in Kanada lebte (MANNSCHAFT berichtete). «Da gab es viele Menschen in Sozialen Netzwerken, die ihren Tod legitim fanden und Sarah noch über ihren Tod hinaus gemobbt haben.»
Männer haben hetero zu sein, sie müssen Frauen erobern
Dass Homosexualität nicht geduldet wird beispielsweise in russischen oder türkischen Familien, das liege an den partriarchalen Stukturen, sagt Mansour, am starren Männerbild: Männer haben hetero zu sein, sie müssen Frauen erobern.
Asmen Ilhan weist daraufhin, dass auch Jugendkultur einen grossen Anteil an homophoben Einstellungen habe, gerade der HipHop. Hier würden homophobe Botschaften transportiert, die von den jungen Menschen nicht hinterfragt würden. Heranwachsende oder Erwachsene kehrten eine Art Hypermaskulinität hervor: Gegen Homosexualität zu sein, bedeute, sehr hetero zu sein. Das ist die Selbstinszenierung als Mann – Homosexuelle werden herabgewürdigt.
«Warum muss ich überhaupt etwas kommentieren, wenn es mit mir nichts zu tun hat?», gibt Mansour zu bedenken. Seine Erklärung: Vielleicht hat es ja doch etwas mit einem selbst zu tun. Aber eigene homosexuelle Anteile würden tabuisiert und bestraft.
Muslimische Jugendliche – Coming-out wird zum Drama Die Reaktion, die Mansour aus türkischen und kurdischen Gesellschaften kennt, wenn sich ein Kind outet, sei entweder die Zwangsheirat, «um ihn oder sie auf rechte Bahn zu bringen», oder: Das Kind wird verstossen, das gehe bis hin zum Mord, um das Ansehen der Familie zu retten. Die allermeisten Eltern würden alles tun, um die Homosexualität ihres Kindes zu verhindern. Viele kämen schon mit der Angst hierher, Deutschland könne ihr Kind homosexuell machen.
Ilhan arbeitet an Schulen präventiv mit Jugendlichen, etwa mit Rollenspielen, in denen verschiedene Situationen durchgespielt werden. Das Ziel: eine neue Form der Männlichkeit erarbeiten. «Wenn man sich einsetzt für LGBTIQ, dann ist man nicht weniger türkisch oder kurdisch, nicht weniger muslimisch», will er den Teenagern vermitteln.
Die Schwierigkeit, die er erlebt, ist, dass viele Jugendliche ideologisiert in die Schule kommen. «Die sind gewappnet für solche Diskussionen, das erlebe ich an vielen Schulen in Neukölln. Da kommt dann ganz schnell die Geschichte von Sodom und Gomorrha auf den Tisch. Gott ist das Totschlagargument schlechthin.»
Mansour weiss, was helfen könnte: «Ich will Freitagsgebete, in denen gesagt wird: Es gibt Homosexualität, überall. Wir müssen homosexuelle Menschen nach anderen Massstäben beurteilen! Das passiert aber nicht. Kein Imam sagt: Homosexualität ist keine Krankheit.» Die Einstellung sei übrigens auch bei orthodoxen Jüd*innen in Israel zu beobachten.
«Vor 10 Jahren hätte ich nicht akzeptiert, dass du schwul bist»
Das Problem sei die Unmündigkeit der Menschen im Umgang mit Sexualität. «Die Gläubigen dürfen keine eigene Meinung haben. Aber die Menschen müssen mündig werden.» Man müsse sich mit religiösen Texten auseinandersetzen, sie hinterfragen. «Aber hier wird viel mit Angst und Strafandrohung gearbeitet. In patriarchalen Strukturen geht sowas gar nicht», sagt Mansour.
Auch die Schulen sind gefragt, da sind sich Mansour und Ilhan einig. Auch wenn beide einräumen, dass Lehrer*innen ohnehin schon enorm viel leisten müssten. Problem: Vor den Lehrer*innen darf man zwar niemanden als Schwuchtel beschimpfen, aber wenn die Jugendlichen unter sich sind, auf dem Schulhof etwa, gehe es weiter mit beleidigenden Sprüchen.
In eigener Sache: Wir stärken uns für die Zukunft
Man muss das immer wieder ansprechen, an Schulen würden zu wenig Werte vermittelt, meint Manour. Er nennt ein positives Beispiel aus Berlin-Schöneberg: Dort unterrichtet ein schwuler Lehrer, seine Schüler*innen sind zu 90 % Migrant*innen.
«Die Schulleitung riet dem Lehrer: Outen Sie sich nicht!» Er tat es trotzdem, weil er sich nicht verstecken wollte – und habe keinerlei Probleme. «Weil er einen Zugang zu den Schüler*innen gefunden hat.»
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