«Wir hoffen das Beste für Brasilien, befürchten aber das Schlimmste»
Was die Wahl Jair Bolsonaros für Folgen hat - für die brasilianische LGBTIQ-Community und zwei Künstler ganz privat
Seit kurzem sind der Berliner Liedermacher Rainer Bielfeldt und der brasilianische Maler Tiago Bielfeldt verheiratet. Dass mit Jair Bolsonaro ein Homohasser und Rassist zum Präsidenten gewählt wurde, hat einen ihrer Träume zerstört. Eine Freundschaft ebenso.
Rainer sitzt auf der Terrasse eines Kultur-Cafés, die Sonne kitzelt. Macht sie oft in Belo Horizonte, dieser lebendigen Großstadt mit dem so wohlklingenden Namen. Bereits einige Male zog es den in sich ruhenden Sänger, der nie ein Geheimnis aus seiner Liebe zu Männern gemacht hat, hierher. Seine tiefe Zuneigung zu der offenen, herzlichen Mentalität der Brasilianer, wie auch zu dem warmen Klima und zur Leichtigkeit des Landes wächst und wächst. «Algo caiu do seu bolso», lächelt plötzlich jemand rüber. Rainer will grad aufstehen, der andere ist jung, die dunklen Augen leuchten vor Leben. Wenn man eine neue Sprache erlernt, sausen die Worte der Einheimischen im Schnelldurchlauf an einem vorbei. Auch beim zweiten Mal versteht Rainer nicht. Wird rot. Erst als Tiago auf den Boden zeigt, sieht er eines seiner Papiere dort liegen.
Ich komme mit!
So haben sie sich kennengelernt. Viereinhalb Jahren ist das nun her. Rainer packte das Papier ein, und zwei Wochen später dann seinen Koffer für den Rückflug. Bereits da wollte Tiago nicht mehr ohne ihn sein. «Eu vou com você!», beschloss der talentierte junge Künster. Wo man als Deutscher wohl ein paar Stunden alle nur möglichen Schwierigkeiten durchdacht hätte, sprudelte es aus dem verliebten südländischen Herzen: «Ich komme mit!»
«Da musste ich schon schlucken», lacht Rainer heute. «Aber hätten wir ein halbes Jahr mit Skypen verdaddeln sollen? Wer nix wagt, der nix gewinnt!». Sie haben gewonnen, ihre neue, große Liebe. Doch als der Name der anderen Liebe fällt, Brasilien, verfliegt Rainers smartes Lächeln sogleich, die Stirn legt sich in Falten. «Tiago und ich haben es lange nicht für möglich gehalten, dass jemand, der so massiv gegen ethische Grundwerte wettert, tatsächlich Präsident werden könnte», stellt er betrübt fest. Nun tritt Bolsonaro, der Rechtspopulist, der so richtig aufräumen will, am 1. Januar 2019 das Amt des Präsidenten Brasiliens an. Die in der Bevölkerung so verhasste Korruption will er beenden, für mehr Sicherheit zu sorgen.
Angeblicher Geheimplan der LGBTIQ-Community
Und, auch das war ernst zunehmender Teil seiner umstrittenen Kampagne, er will nicht länger zulassen, dass die Söhne und Töchter des Landes in den Schulen «schwul gemacht» werden. Hierfür verbreitete er per Whatsapp die Legende eines Geheimplans der LGBTIQ-Community: Sogenannte Gay-Kits sorgen angeblich dafür, dass es bald eine Armada von Schwulen und Lesben geben wird, die die Herrschaft übernimmt. Zunächst in Brasilien, dann auf der gesamten Welt.
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Kaum zu glauben, dass diese krude Verschwörungstherorie verfing. Doch weite Teile der brasilianischen Bevölkerung beziehen ihre News nur aus dem Privatfernsehen, Bedenken gegen LGBTIQ-Leute werden darin sowieso schon gestreut. Einige der Sender sind, genau wie Bolsonaro, eng mit der konservativen, rechten Evangelikalen Kirche verbunden. In einem aufschlussreichen Interview mit dem britischen Autoren Stephen Fry teilt der künftige Präsident des größten lateinamerikanischen Landes allen Ernstes mit: «Ich hätte lieber einen toten Sohn als einen schwulen Sohn!»
Brasilien ist tief gespalten, viele Menschen besitzen kaum genug Geld, um irgendwie zu überleben, und das nicht nur in den Elendsvierteln, den Favelas. Auch in der Mittelschicht haben manche nichts mehr zu verlieren. Wem in den Straßen Brasiliens aufgelauert wird, der sollte ohne Zögern seine Wertsachen herausgeben, illegal besorgte Waffen sind keine bloße Drohgebärde. 63.880 Tötungsdelikte gab es in Brasilien 2017 (zum Vergleich: Deutschland 731), die meisten davon auf offener Straße. Politische Entscheidungen werden, nicht zuletzt durch die ständigen Blockaden im Parlament – eine fünf Prozent Hürde gibt es ebenso wenig wie einen Fraktionszwang – meist erkauft.
Deshalb verachten inzwischen, ähnlich wie in den USA und in Europa, nicht wenige Wähler*innen die gesamte, sogenannte politische Elite. Dass Bolsonaro verspricht, diese Elite zu bekämpften, als Abgeordneter und Angehöriger des Militärs aber jahrzehntelang Teil davon war – kaum jemanden scheint das zu irritieren. «Mehr Sicherheit und Kampf der korrupten Elite!», das alte Rezept der Nationalisten, zu Brasilien Krankheiten passt es beängstigend perfekt. Minderheiten bleiben, sozusagen als Nebenwirkung, auf der Strecke. Außer gegen LGBTIQ hetzt Bolsonaro noch gegen Schwarze, Indios, geflüchtete Venezulaner und äußert sich gern frauenfeindlich.
Sollte er was gegen Schwule unternehmen, gehe ich sofort für Euch auf die Straße!
Besonders traurig macht Rainer wie Tiago, dass selbst engste Vertraute den erklärten LGBTIQ-Feind ihre Stimme gegeben haben. Neulich sagte eine ihrer besten Freundinnen: «Klar, Bolsonaro redet viel Unsinn, aber endlich packt einer die wichtigen Themen an!» Als sie die entsetzten Blicke des Paares sah, schob sie schnell nach: «Sollte er was gegen Schwule unternehmen, ich gehe sofort für Euch auf die Straße!» Rainer wusste da nicht, ob er «lachen, weinen, oder kotzen» sollte. Er sieht die Wahl Bolsonaros als persönlichen Affront.
Zwar gibt es noch keine offiziellen Änderungen von LGBTIQ-Rechten, doch der baldige Präsident hat sehr deutlich gemacht hat, Kinder vor nicht traditionellen Formen der Partnerschaft schützen zu wollen. Ein «Anti-Gay-Propaganda-Gesetz» wie in Russland ist damit erwartbar, Diskriminierung und Hass-Verbrechen dürften zunehmen.
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Immerhin, eines hat Bolsonaro nicht geschafft: Tiagos Familie mit dem Gift des Hasses zu infizieren. Lucas, ein Bruder von Tiago besteht darauf, dass Rainer offiziell sein Patenonkel wird. Ein nach dieser Wahl besonderer Wunsch. Das Paar wird deshalb im Januar wieder Richtung Belo Horizonte fliegen. Ihren Traum jedoch, schon bald immer die Hälfte des Jahres dort zu verbringen, haben die beiden vorerst verworfen. «Ich hoffe das Beste für das Land, befürchte jedoch das Schlimmste», seufzt Rainer. Denn Bolsonaro will u.a. den Kauf von Waffen legalisieren. «Wenn es noch mehr Waffen gibt, und wir abends Hand in Hand durch die Straßen bummeln … », der Sänger stockt, schaut nur noch stumm nach vorn. Wieder legt sich seine Stirn in Falten.
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