Pinkwashing? Konsument*innen haben die Macht
Wer nur inklusiv tut, trübt zwar den Himmel über der Regenbogenflagge, erntet indes aber nicht den grossen Shitstorm wie eine Anti-LGBTIQ-Einstellung
Unternehmen setzen verstärkt auf Employer-Branding, genauer auf das Management von Diversity und Inklusion. Am besten von LGBTIQ-Labels zertifiziert. Doch – Achtung Pinkwashing! – nicht überall wo LGBTIQ draufsteht, ist LGBTIQ drin.
Ein turbulentes letztes Halbjahr erlebte die Schweizer Schokoladenmarke Läderach: Nach zehn Jahren Kooperation flog die süsse Kakaopracht Ende Januar offiziell von Bord der Swiss International Air Lines. Dies, weil im Cockpit der süssen Sünde die christlich-konservative Besitzerfamilie sitzt, die sich aktiv gegen das Abtreibungsrecht und die Gleichberechtigung von LGBTIQ-Menschen einsetzt (MANNSCHAFT berichtete). Das wiederum lässt sich nicht mit den Werten der Swiss vereinbaren: Denn diese erhielt jüngst das Swiss LGBTI-Label für ihr professionell geführtes Diversity- und Inklusionsmanagement. (MANNSCHAFT berichtete)
Mehr Sensibilisierung bei Pflege älterer LGBTIQ nötig
Buttersäure und süsse Küsse Ende August 2019 machte die MANNSCHAFT das umstrittene Engagement der Läderachs in der LGBTIQ-Community bekannt: Die Familie setze sich sowohl für den «Marsch für das Leben» (= internationaler Demonstrationsmarsch von Abtreibungsgegner*innen) ein als auch für den Verein «Christiantiy for Today (CFT)» – ebenfalls Gegner der Abtreibung und der Gleichstellung von bi- und homosexuellen Menschen.
Kurz darauf reagierte MANNSCHAFT-Leser und Aktivist Michael De Silva: Im Rahmen der Gegendemonstration zum «Marsch für das Leben» rief er vor einer Läderach-Filiale in Zürich zum Boykott auf. Neben Supporter*innen aus seinem privaten Umfeld meldeten sich auch Läderach-Angestellte aus Deutschland: Sie entschuldigten sich für ihren Arbeitgeber und planten, ihre Stelle so schnell wie möglich zu wechseln.
«Johannes Läderach wagte sich in die ‹Höhle der Queers›, was ich sehr respektiere.»
Gammelige Geruchsgewalt suchte dagegen eine Basler Läderach-Filiale heim: Unbekannte verübten dort einen Buttersäure-Anschlag. Einem anonymen Bekennerschreiben zufolge ordnet die Polizei die Täterschaft einer linksautonomen Gruppierung zu. In Zug wiederum kehrten friedliche Kussszenen ein: Ein Flashmob fand sich vor einem Läderach-Geschäft ein, um mit ihrer «Süsse Küsse»-Aktion für ein diskriminierungsfreies Miteinander zu protestieren.
Wortwechsel mit Läderach Bei einem LGBTIQ-Anlass von Network und der Boston Consulting Group (BCG) traf De Silva Johannes Läderach persönlich: «Er hat meinen Beitrag nicht persönlich genommen, sondern sehr sachlich darüber diskutiert. Auch wagte er sich in die ‹Höhle der Queers›, was ich sehr respektiere.»
Die beiden Kontrahenten diskutierten dabei über LGBTIQ, Regenbogenfamilien, die Bibel sowie über das Abtreibungsgesetz. Er sei zwar strenggläubig, habe aber nichts gegen LGBTIQ-Menschen. «Dennoch ist diese Lebensweise gemäss seinem Glauben ‹unnatürlich›», schildert De Silva die Ansichten des Unternehmers. Auf die Frage, ob Kinder, die nach einer ungewollten Schwangerschaft kein Zuhause fänden, von LGBTIQ-Menschen adoptiert werden dürften, habe Läderach gemeint: Dies käme für ihn nicht in Frage. Für ein Kind brauche es eine Mutter und einen Vater.
So eine Aussage ist für Michael De Silva völlig unverständlich: «In allen Ländern, die die Adoption LGBTIQ-Menschen erlauben, kam es bisher zu keinen negativen Erfahrungen.» Was jedoch zu Komplikationen führen kann, ist das Schicksal von Kindern aus ungewollten Schwangerschaften: Einer schwedischen Studie zufolge leiden diese vermehrt unter psychischen und sozialen Folgen wie Autoaggressionen, Bindungsmisstrauen, Depressionen, Drogenabhängigkeit, sozialer Unangepasstheit und einer erhöhten Suizidgefahr.
Kund*innen strafen diejenigen Unternehmen ab, die nicht nachhaltig und fair wirtschaften.
Trend zum Moralkonsum Für das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) ist klar: Dem Trend «Moralkonsum» kann sich niemand mehr entziehen. «Konsument*innen üben immer mehr Druck aus», heisst es in der Einladung zum 16. Europäischen Trendtag. Demnach werden Kund*innen immer aktivistischer und strafen diejenigen Unternehmen ab, die nicht nachhaltig und fair wirtschaften.
Unternehmen wie Coca-Cola, REWE oder Burger King haben diesen Trend längst erkannt: Coca-Cola Schweiz schaltete im Abstimmungskampf zur Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm in allen vier Landesteilen Regenbogenanzeigen (MANNSCHAFT berichtete). Und der deutsche Lebensmittelhändler REWE bekennt nicht nur mit einem Regenbogenkleber am Eingang Farbe, sondern auch mit einem umfassenden Diversity- und Inclusion-Management sowie seinem offiziellen LGBT-Netzwerk «di.to».
Auch Burger King sorgte 2014 für Aufsehen: Der Fast-Food-Gigant wickelte in San Francisco einen herkömmlichen Whopper in Regenbogenpapier ein. Darauf stand: «We are all the same inside», innen sind wir alle gleich. Der Ertrag aus diesen Burgern kam laut dem Unternehmen der hauseigenen Stiftung zugute, um damit Stipendien für bi-, homo- und transsexuelle Schüler*innen zu finanzieren.
Alles nur Pinkwashing? Kritiker*innen empfinden solche Aktionen als anbiederndes Pinkwashing. Im Interview mit persoenlich.com hält Matthias Schneider, Kommunikationschef von Coca-Cola Schweiz, dagegen: «Dass Coca-Cola Farbe zu gesellschaftspolitischen Fragen bekennt, hat eine lange Tradition.» Seit den Siebzigern stehe der Brausehersteller für ein diskriminierungsfreies und friedliches Miteinander ein: «Wir waren die erste US-amerikanische Getränkefirma, bei der in einer Werbekampagne eine dunkelhäutige Schauspielerin vorkam.»
Mit dem Hill-Top-Werbespot 1971 habe der Konzern ein klares Zeichen gegen den Krieg und für den Frieden gesetzt, erklärt er weiter und fügt hinzu: «Und erst vor einigen Jahren zeigte Coca-Cola beim Super Bowl den Spot «America the Beautiful»: die amerikanische Landeshymne, gesungen von Menschen verschiedener Hautfarbe, darunter auch eine Muslima.»
«Cancel Culture»: Ein «Fehltritt» und du bist raus
Im Gegensatz dazu betreibt der deutsche Energieriese E.On Pinkwashing pur: Im Dezember publizierte die Uhlala Group erstmals den «DAX 30 LGBT+ Diversity Index». In diesem belegte E.On Platz 8 der 30 angeblich LGBT-freundlichsten Unternehmen Deutschlands. Zu Unrecht, wie der Blogger Johannes Kram aus Berlin herausfand: E.On hat bei der Selbstauskunft für den Index gelogen, was das bundesweite Netzwerk an LGBTIQ-Mitarbeitenden und die deutschlandweiten LGBTIQ-Kampagnen betrifft (MANNSCHAFT berichtetet). Überdies fehlt ein öffentliches Diversity-Statement zu LGBTIQ.
Nach Bekanntwerden der Schummelei korrigierte die Uhlala Group das Ranking: Neu liegt der Energiekonzern auf Platz 16. Dennoch bleibt auch dieser Rang zweifelhaft: Noch im Herbst ergatterte die homophobe Ex-CDU-Politikerin Katherina Reiche den Chefposten der neuen E.On-Netzgesellschaft.
Der Iran zwangsoperiert tausende Homosexuelle
In Sachen Pinkwashing steht Facebook an vorderster Front: Nach aussen hin gibt sich der Datendrache divers. Parallel dazu verbietet das Netzwerk Werbung mit zwei küssenden Männern: Die Inhalte seien anstössig. Gleichzeitig lässt Facebook Hater*innen und Fake-News-Agenturen freie Hand, Zwietracht zwischen den Menschen zu säen – mit rassistisch, religiös oder sexistisch motiviertem Hass oder unflätiger Anti-LGBTIQ-Hetze. Ob das sozial angedachte Facebook einem turbokapitalistischen Netzwerk gewichen ist?
«Ein sichtbares Engagement in der Community muss für die Unternehmen Pflicht bleiben.»
LGBTIQ-Labels dennoch wichtig Nichtsdestotrotz muss sich für Unternehmen jede Form von Engagement rechnen: Wer annimmt, das Umwelt- oder LGBTIQ-Engagement einer Firma folge einer rein altruistischen Motivation, ist naiv. «Moral Money Making» muss nicht schlecht sein, solange es authentisch, fair und transparent ist. Es könnte der Anfang einer neuen Form des Kapitalismus sein: Die demografischen und ökologischen Entwicklungen weltweit werden im nächsten Jahrzehnt Unternehmen sogar dazu zwingen, weg vom Raubtierkapitalismus zu kommen und eine Wirtschaftsweise zu etablieren, die Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt – also weg vom «Wirt» im Wort Wirtschaft hin zum «Wert», der allen zugutekommt.
Der Läderach-Fall und die «Fridays for Future»-Demonstrationen zeigen: Gerade junge Konsument*innen haben durchaus die Macht, mit ihren Protesten Veränderungen anzustossen: «Wichtig ist aber, dass wir Jungen abstimmen und wählen gehen, sonst bringen alle Proteste der Welt nichts», bemerkt Michael De Silva.
Alleine gegen den Schoggi-Giganten Läderach
Die Frage, ob LGBTIQ-Labels etwas bewirken können, bejaht der junge Aktivist: «Einerseits steigert dies die gesellschaftspolitische Verantwortung in Firmen, andererseits vermittelt dies Vertrauen an queere Mitarbeiter*innen und Konsument*innen.» Wesentlich sei aber auch, dass sich LGBTIQ-Labels nicht kaufen lassen: «Ein sichtbares Engagement in der Community muss für die Unternehmen Pflicht bleiben.»
Der vollständige Artikel über die Kontroverse ist in der März-Ausgabe der MANNSCHAFT erschienen. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz
Das könnte dich auch interessieren
Kultur
Troye Sivan: «Ich muss nicht durchs Land touren, um Sex zu haben»
Troye Sivan wehrt sich gegen die Behauptung in einer Klatschkolumne, er sei nur auf US-Tournee, um sich unterwegs bei Grindr zu vergnügen und Sex zu haben.
Von Newsdesk
Community
News
«Interview mit dem Vampir»: Toxische schwule Liebe radikal neu erzählt
Sam Reid und Jacob Anderson sind ein packendes Paar in der Anne-Rice-Serienadaption. Jetzt kann man Staffel 2 kaufen.
Von Kevin Clarke
Kultur
Community
Liebe
Community
«Liebe muss über Hass triumphieren»: Tausende feiern Malta Pride
In dieser Woche erstrahlte Malta wieder in den Farben des Regenboges. Tausende gingen bei der Pride Parade am Samstag auf die Strasse und sorgten für Sichtbarkeit der queeren Community.
International
Gesellschaft
News
Community
Mitarbeiter missbraucht? Vorwürfe an Ex-Chef von Abercrombie & Fitch
Dem einstigen Geschäftsführer von Abercrombie & Fitch Mike Jeffries und seinen Partner wird vorgeworfen, Mitarbeiter sexuell ausgebeutet zu haben. Einige sprechen von Misshandlung, andere behaupten, ihnen seien Drogen gespritzt worden.
Von Newsdesk
International
News