LGBTIQ-Diversity in deutschen Unternehmen: oft nur Aktionismus
Das zeigt der zweite «German Diversity Monitor 2021»
Deutsche Firmen stecken im Diversitäts-Dilemma. Nicht mal jedes 5. Unternehmen bietet im Bereich LGBTIQ spezifische Massnahmen zur Förderung an. Aber Regenbogenmarketing und Lippenbekenntnisse reichen den Stakeholder*innen nicht mehr aus, zeigt eine neue Studie. Der Veränderungsdruck steigt.
Viele Top-Manager*innen stehen vor der Wahl: Gehen sie einen herausfordernden, tiefgreifenden Wandel an oder ignorieren sie das Potential von Diversität als erfolgskritischem Wirtschaftsfaktor. Hintergründe und Auswege zeigt der am Mittwoch veröffentlichte German Diversity Monitor 2021 der Diversitätsinitiative BeyondGenderAgenda.
Der German Diversity Monitor wird, unter der wissenschaftlichen Begleitung von Susanne Schmidt, vom Lehrstuhl für Internationales Management an der Otto-von-Guericke-Universität, in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal veröffentlicht. Während die Studie im Jahr 2020 zu der Erkenntnis kam «Diversität in deutschen Unternehmen ist mehr Lippenbekenntnis als Realität», hat sich die Lage in diesem Jahr zu einem Diversitäts-Dilemma zugespitzt. Durch den zunehmenden Veränderungsdruck von Stakeholder*innen, haben sich Unternehmen zu einem ausgeprägten Diversitäts-Aktionismus verleiten lassen. Das positive Engagement führt jedoch nicht zur gewünschten Verbesserung, vielmehr findet sich die deutsche Wirtschaft in einem Diversitäts-Stillstand wieder.
Man sieht es alle Jahre wieder, zur Pride Saison: Viele Firmen versuchen, mit dem Anschein von Support für die LGBTIQ-Community Geschäfte zu machen. Im vergangenen Jahr macht eine Berliner Dragqueen die Pinkwashing-Masche öffentlich – und viele Kolleginnen stimmten ihr zu (MANNSCHAFT berichtete).
Viele Organisationen verharrten in der Entscheidung zwischen einem tiefgreifenden Wandel oder der weitestgehenden Ignoranz von Diversität, heisst es in einer Pressemitteilung zum neuen German Diversity Monitor. «Unternehmen befinden sich aktuell in einem Diversitäts-Dilemma. Ist die notwendige Diversitäts-Transformation auf der einen Seite ein kostenintensiver und langwieriger Kraftakt für die gesamte Organisation, so hat die Entscheidung gegen diese unausweichlich zur Folge, dass Unternehmen sich im intensivierten Wettbewerb um Talente, Innovationen und die dringend erforderlichen Antworten auf die grossen wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit nicht werden behaupten können», kommentiert Victoria Wagner, Gründerin und CEO von BeyondGenderAgenda, die Studienergebnisse.
Nur 26 % der Unternehmen machen Diversität zur Chef*innensache
Woher der Stillstand bei der Diversitätsentwicklung komme? Der Grossteil der Unternehmen befindet sich in einer Spirale der Ignoranz: Nur 26 % der befragten Unternehmen siedeln die verantwortliche Person für Diversität im Vorstand bzw. der Geschäftsführung an und machen Vielfalt somit zur Chef*innensache. Liegt die Verantwortung für Diversität nicht im Top-Management, fehlen häufig auch die für die Transformation benötigten Ressourcen.
Der Grossteil der befragten Unternehmen (70 %) stellt überhaupt kein Diversitätsbudget zur Verfügung. Ist ein Budget vorhanden, geben 84 % der Unternehmen an, es für Recruitingmassnahmen zu nutzen. Eine einseitige Verwendung finanzieller Ressourcen kann jedoch zur Vernachlässigung wesentlicher Erfolgsfaktoren von Vielfalt führen, wie z. B. die Förderung eines inklusiven Arbeitsumfelds. Dies zeige sich auch am Mangel personeller Ressourcen: In der Mehrheit der befragten Konzerne gibt es keine personellen Ressourcen, um Diversität nachhaltig in der Unternehmensorganisation und -kultur zu verankern. Wenn es Diversitätsverantwortliche im Unternehmen gibt, müssen sie diese Rolle und Aufgaben meist zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit erfüllen. Nur knapp 20 % der Unternehmen mit einer verantwortlichen Person für Diversität haben eine hundertprozentige Diversitätsstelle.
Nur 26 % der Unternehmen verfügen der Studie zufolge über Leistungskennzahlen zur Messung von Diversität: Für den Erfolg des Diversitätsmanagements ist es, neben der richtigen Verankerung der Verantwortung und der Bereitstellung angemessener Ressourcen, ebenfalls von wesentlicher Bedeutung, dass frühzeitig ambitionierte Leistungskennzahlen definiert, Ziele gesetzt und eine entsprechende Erfolgsmessung etabliert werden. Mehr als drei Viertel (88 %) der befragten Unternehmen geben zwar aktuell an, dass Diversität einen Beitrag zur Erschliessung neuer Zielgruppen leistet, nur weniger als ein Drittel halten jedoch die Auswirkungen von Diversität auch nach. Somit ist es den Unternehmen nicht möglich, den Beitrag von Diversität zum Erfolg zu erfassen und so ihr wahres Wirkpotential zu erkennen. Auf dieser Basis kann kein strategisches Diversitätsmanagement implementiert werden.
Fehlende nachhaltige Diversitätsstrategien in den meisten deutschen Unternehmen führen lediglich zu kurzfristigen Aktionen bei einzelnen Diversitätsdimensionen. Es fehlt i. d. R. nicht nur ein ganzheitlicher, alle Diversitätsdimensionen umfassender Ansatz, einzelne Diversitätsdimensionen werden sogar gegenüber anderen diskriminiert. Besonders auffällige Ergebnisse zeigt der German Diversity Monitor 2021 bei den folgenden Diversitätsdimensionen auf:
LGBTIQ: Es zeigt sich eine starke Diskrepanz zwischen kommunizierter Ambition und tatsächlicher Umsetzung. Unternehmen präsentieren sich umfassend in Regenbogenfarben und 40 % von ihnen bewerten die Relevanz der Dimension LGBTIQ mit «hoch». Dennoch bieten weniger als 20 % der befragten Unternehmen spezifische Massnahmen zur Förderung in diesem Bereich an.
Gender: Die männliche Dominanz in den DAX-Vorständen trotzt der gesetzlichen Mindestanforderung durch FüPoG II. Es gilt maximal eine Frauenquote von 25 % zu erfüllen, eine paritätische Besetzung mit 50 % Frauen ist somit noch weit entfernt. Die Erweiterung des DAX 30 auf DAX 40 senkt die Frauenquote im deutschen Aktienleitindex aktuell sogar noch von 19 % auf knapp 17 %. Es bleibt bei einer weiblichen CEO – also nur 2,5 % weiblichen CEOs im DAX 40!
Disability: Die Abnahme der Relevanz der Diversitätsdimension Disability gleiche einer Talfahrt in die Bedeutungslosigkeit. Mehr als 30 % der befragten Unternehmen schreiben dieser Dimension eine geringe Relevanz zu – 20 % mehr als im Vorjahr.
Das Missverhältnis zwischen der gesteigerten Aussendarstellung von Diversität und den tatsächlich durchgeführten Massnahmen ist erschreckend.
«Das Missverhältnis zwischen der gesteigerten Aussendarstellung von Diversität und den tatsächlich durchgeführten Massnahmen ist erschreckend. Ich sehe hier die CEOs in der Verantwortung sich dem Thema anzunehmen und die Rolle des Chief-Diversity-Drivers persönlich einzunehmen. Für eine erfolgreiche Diversitäts-Transformation müssen budgetäre und personelle Ressourcen in kritischer Höhe bereitgestellt werden. Unternehmen sollten die gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote in eine selbstverpflichtende Diversitätsquote wandeln, um Top-Führungspositionen tatsächlich mit Personen mit der besten Eignung, unabhängig von ihrer Prägung, besetzen zu können», so Victoria Wagner.
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