«Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist nicht so, wie sie sein sollte»

Ein Betroffener aus Mannheim setzt sich für Aufklärung über Verfolgung durch §175 ein

Klaus Schirdewahn spricht bei Gedenkstunde im Bundestag (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
Klaus Schirdewahn spricht bei Gedenkstunde im Bundestag (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Klaus Schirdewahn erinnert am Freitag beim Gedenken im Bundestag an die Verfolgung queerer Menschen durch die Nazis. Er wurde in Bundesrepublik nach §175 selber verurteilt und möchte aufklären und andere Senior*innen ermutigen.

«Wir als queere Menschen warten immer noch auf die die volle Gleichberechtigung. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist leider nicht so, wie sie sein sollte. Wir haben Angst, dass es sich wieder verschärft.» Es brauche unbedingt Aufklärung, so Schirdewahn. Viele junge Menschen, doch auch nicht wenige seines Alters «wissen heute gar nicht, wie lange das Gesetz nach der Nazizeit noch angewandt wurde. Viele wissen auch nicht, wie lange es gedauert hat, bis der Staat Entschädigungen geleistet hat.» Schirdewahn kann dazu vieles aus seinem eigenen Leben erzählen.

Mit 17 Jahren traf es Schirdewahn In seiner völlig zerbombten Heimatstadt Ludwigshafen wurde Klaus Schirdewahn 1947 geboren. Er wuchs in den 50er und 60er Jahren im kirchlich geprägten Südwesten des Landes auf. Der §175 wurde noch «voll angewandt» wie Schirdewahn sagt. Wie eine Aufarbeitung des Mainzer Landtages ergeben hat, gab es im Zeitraum von Schirdewahns Jugend in Rheinland-Pfalz zwischen 1948 und 1969 genau 5.939 Ermittlungsverfahren und im selben Zeitraum 2.880 Verurteilungen.

Ihn traf es selbst, als er 17 Jahre alt war. Er wurde wegen sogenannter «Unzucht» mit einem anderen Mann festgenommen – auf dem Klo eines Kaufhauses. Dieser andere wurde dann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er schon älter als 21 alt war und damit als volljährig galt. Schirdewahn wurde vor die Wahl gestellt. Er konnte sich zwischen einer Gefängnisstrafe und einer Therapie entscheiden. Er entschied sich für die heute sogenannte «Konversionstherapie». Schirdewahn befürchtete, dass er durch einen Gefängnisaufenthalt seine Lehre würde abbrechen müssen.



Anfangs schien diese seltsame Therapie wirklich das einzuhalten, was sich die Gesellschaft davon versprach. Nach zwei Jahren war Klaus Schirdewahn der Meinung, dieser «Sache, die vorrübergeht», wie der Arzt es nannte, entkommen zu sein. «Ich habe damals selber geglaubt, was der Arzt mir da zwei Jahre lang eingeredet hat.» Er verliebte sich ein eine junge Frau. Die beiden verlobten sich und heirateten später. Bevor sie heirateten, mussten sie noch eine «Ehetauglichkeitsprüfung» über sich ergehen lassen. Auch diese «bestanden» sie.

Heterosexuelle Ehe scheitert Doch die Gefühle für Männer kamen zurück. Anfangs dachte er, das Konstrukt der Ehe sei so stark, dass es dabei helfen würde, diesen Gefühlen zu widerstehen. Aber sechs Wochen nach der Hochzeit konnte er es nicht mehr aushalten und ging mit einem anderen Mann ins Bett. Er selbst hat dieses Ereignis damals nur schwer verkraftet. «Ich lag sechs Wochen krank im Bett, weil ich selbst damit nicht fertig wurde,» erinnert sich Schirdewahn. Genau so lange, wie die Ehe bis zu diesem Ereignis gedauert hatte.

Seine Frau wusste von seinen Gefühlen für Männer. Sie ging sogar mit ihm in Schwulenbars und wurde 1975 mit ihrer gemeinsamen Tochter schwanger. Genau zu dieser Zeit traf Klaus Schirdewahn seine erste grosse Liebe. Einen anderen Mann. Für eine gewisse Zeit war er in dieser Viererkonstellation sogar glücklich: Er liebte seine Frau, seinen Mann und war stolz, eine Tochter zu haben. Doch seine Frau ertrug diese Situation immer schwerer und ihre Beziehung verschlechterte sich zusehends. Nach 5 Jahren machte dann plötzlich sein Freund Schluss, weil er diese Dreierbeziehung nicht mehr wollte.

Wenig später traf Schirdewahn den Mann, mit dem er bis heute seit 40 Jahren zusammenlebt. Dieser ging jedoch die Sache anders an. Er stellte Schirdewahn vor die Wahl. Entweder er, oder seine Familie. Und Klaus Schirdewahn entschied sich für seinen Mann. Leicht fiel ihm dies nicht. Um seine Tochter weiter sehen zu können, nahm er sich extra zu diesem Zweck eine Wohnung in Ludwigshafen, wo das Mädchen wohnte.



Doch die Mutter wollte dies so nicht hinnehmen. Sie ging gegen Schirdewahn gerichtlich vor. Nach vielen Auseinandersetzungen vor Gericht erfolgte dann 1985 die Scheidung. Aus heutiger Sicht sagt Schirdewahn, dass er lieber eher hätte sagen sollen, dass die Ehe keinen Sinn gehabt habe. Dadurch hätte er sich und seiner Familie viel Schmerz und Leid ersparen können. «Man verletzt einen anderen Menschen dadurch sauschwer. Und auch mit der Tochter hat es sich erst nach vielen Gesprächen und vielen Tränen so ergeben, dass wir uns als Vater und Tochter verstehen.»

Eine besondere Belastung sei für ihn das «ständige Theaterspielen» gewesen, sagt Schirdewahn. So erzählte er anderen, dass er in die Disko ging, oder ins Kino, obwohl er eigentlich in einem Schwulenlokal gewesen war. Die Angst blieb. Davor, in seiner Anstellung im öffentlichen Dienst gekündigt zu werden. Angst hatte er aber auch vor seiner Familie, die nichts herausfinden durfte. Seine Eltern drängten seit seiner Verurteilung beständig darauf, dass bloss nichts davon nach aussen dringen durfte. Wie in vielen ähnlichen Fällen war für die Eltern das Bild nach aussen wichtiger, als die seelische Gesundheit des eigenen Kindes.

Als der deutsche Staat Entschädigungszahlungen wegen der Verurteilungen aufgrund §175 ermöglichte, zögerte Schirdewahn erst einmal, diese für sich zu beanspruchen. Er befürchtete, gar keine zu bekommen, weil er keine Unterlagen mehr über diesen Vorgang besass. Seine Eltern hatten alles vernichtet. Und tatsächlich wurde sein erster Antrag auch deswegen ablehnt. Erst mithilfe der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) kam Bewegung in die Sache, sodass er dann doch eine Entschädigung bekam.



«Viele von denen, die eine Entschädigung bekommen könnten, wollen davon nichts mehr wissen, weil sie damit abgeschlossen haben. Ich kann das verstehen, wenn einer schwer getroffen wurde und er vielleicht im Gefängnis gesessen hat,» sagt Schirdewahn heute. Er selbst jedoch wollte diese Entschädigung haben und empfand sie letztlich als Genugtuung.

Dann, im Jahre 2017 führte Deutschland die Ehe für alle ein (MANNSCHAFT berichtete). In der Zwischenzeit hatte er auch den Partner seines Lebens gefunden, mit dem er bis heute glücklich zusammenlebt. Aber auch bei der Ehe zögerte Schirdewahn. Es würde sich doch praktisch für ihn kaum etwas ändern, dachte er. Erst als er und sein Partner länger darüber sprachen und auch ans hohe Alter dachten und an mögliche Situationen in Krankenhäusern, änderten sie ihre Meinung. Sie wollten vermeiden, dass der eine zum anderen nicht vorgelassen werden würde, weil er in den Augen der Ärzte als «fremder Mann» gesehen würde.

Schirdewahn in der queeren Szene aktiv Heute ist es Klaus Schirdewahn wichtig, für Gleichaltrige etwas zu tun. Er arbeitet für die BISS als Zeitzeuge bei Veranstaltungen. Er ist zudem Leiter der Gruppe «Gay & Grey» aus der Region rund um Mannheim und hat auch das Queere Zentrum Mannheim mitgegründet. «Viele sind sehr empfindlich, weil sie sehr viel in ihrem Leben mitgemacht haben,» sagt er mit Blick auf seine Altersgenossen. «Eine grosse Gruppe lebt immernoch versteckt hinter einem Schutzschirm von Normalität und will sich nicht zeigen, weil sie weiterhin so verinnerlicht haben, dass sie sich verstecken müssen.»

Gerade auch ihretwegen möchte er mit seiner Rede im Bundestag aufrütteln. Die breite Öffentlichkeit und auch möglichst viele queere Menschen und insbesondere Senior*innen, die ihn hören werden, wenn er im Parlament für sie spricht.

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