Jede elfte Person wurde im Job sexuell belästigt

Mehr als die Hälfte der Übergriffe ging von Kund*innen aus

Symbolbild (Foto: Pixabay)
Symbolbild (Foto: Pixabay)

Jede 11. erwerbstätige Person (9 % der Befragten) hat in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Frauen waren mit einem Anteil von 13 % mehr als doppelt so häufig wie Männer (5 %) betroffen. Das zeigt eine Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die am Freitag veröffentlicht wurde.

Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Belästigungen ging von Dritten aus: Kund*innen, Patient*innen, Klient*innen. Bei 43 Prozent der belästigenden Personen handelte es sich um Kolleg*innen; bei 19 Prozent waren es Vorgesetzte oder betrieblich höhergestellte Personen.

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«Sexuelle Belästigung im Job kann für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben“, sagte Bernhard Franke, der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, bei der Vorstellung der Studie am Freitag in Berlin.

«Es liegt im Interesse der Unternehmen, hier durch klare Richtlinien und Massnahmen einzugreifen, damit sexuelle Belästigung verhindert wird – beispielsweise, indem sie feste Ansprechpersonen benennen und obligatorische Schulungen für Führungskräfte anbieten. Wenn Kundinnen und Kunden belästigen, müssen Arbeitgeber sofort einschreiten, um ihre Beschäftigten zu schützen – das kann bis zu einem Lokal- oder Hausverbot führen und darf beispielsweise im Gastronomiebereich oder Einzelhandel nicht als «Berufsrisiko» bagatellisiert und ignoriert werden. Im Gesundheitsbereich kann als Schutzmassnahme auch eine Beendigung des Behandlungsvertrages in Betracht kommen.»

Bundesfrauenministerin Franziska Giffey sagte dazu: «Die ADS-Studie zeigt, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein weitverbreitetes Problem. Jeder Fall ist einer zu viel. Nicht nur die individuell Betroffenen müssen mit den negativen Folgen umgehen, häufig wirken sich solche Vorfälle auch auf das Arbeitsklima und auf die Arbeitsfähigkeit aus. Oft berichten Betroffene, dass sie immer wieder und über lange Zeit belästigt werden. Sexuelle Belästigung trifft weit überwiegend Frauen. Sie ist Ausdruck von Machtmissbrauch und eine Form von Gewalt gegen Frauen, aber auch gegen Männer. Arbeitgeber und Personalvertretungen haben die Pflicht, sich aktiv mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen und ihr konsequent entgegenzutreten – egal, ob es sich um Kunden, Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte handelt.»

Der Studie zufolge wurden von den Betroffenen am häufigsten verbale Belästigungen wie sexualisierte Kommentare (62 Prozent) oder Belästigungen durch Blicke und Gesten (44 Prozent) genannt. Unerwünschte Berührungen oder körperliche Annäherungen erfuhren rund ein Viertel (26 Prozent) der Betroffenen. Bei den meisten Belästigungserfahrungen handelte es sich nicht um einmalige Vorfälle – acht von zehn der Befragten erlebten mehr als eine solche Situation. Darüber hinaus gaben 82 Prozent der Betroffenen ausschliesslich oder überwiegend Männer als Täter an.

Die Studie zeigt ausserdem, dass die Betroffenen sexuelle Belästigung vielfach als erniedrigend und abwertend sowie auch als bedrohlich empfanden. So sagten 48 Prozent der betroffenen Frauen, sie hätten sich durch die Belästigung mittel bis sehr stark erniedrigt und abgewertet gefühlt (Männer 28 Prozent). Von mittelstarken bis sehr starken psychischen Belastungen berichteten 41 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer. 30 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer empfanden die Situation als mittel bis stark bedrohlich.

Wie gehen Betroffene mit Belästigungserfahrungen am Arbeitsplatz um?  Die Mehrheit der Betroffenen gab an, sich unmittelbar nach der Belästigung verbal gewehrt zu haben (66 Prozent). In späterer Folge wandten sich vier von zehn Betroffenen sexueller Belästigung an Dritte, davon am häufigsten an Kolleginnen und Kollegen (47 Prozent), Vorgesetzte (36 Prozent), Freundinnen/Freunde oder Familie (15 Prozent) oder Beratungsstellen bzw. therapeutische Einrichtungen (elf Prozent). Umgerechnet auf alle Betroffenen haben damit nur vier Prozent eine professionelle Unterstützung in Beratungsstellen und anderen Einrichtungen gesucht.

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Mehr als 40 Prozent aller Beschäftigten hatten keine Kenntnis über betriebsinterne Beschwerdestellen bei Diskriminierung und sexueller Belästigung. Gesetzlich sind nach § 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) alle Arbeitgeber*innen verpflichtet, eine betriebsinterne Beschwerdestelle einzurichten und Informationen über solche Stellen bekannt zu machen.

Die Studie «Strategien im Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – Lösungsstrategien und Massnahmen zur Intervention» wurde von Juni 2018 bis Mai 2019 durchgeführt, geleitet von Monika Schröttle am Institut für empirische Soziologie an der Uni Erlangen-Nürnberg (ifes). Sie beinhaltet eine vom Bielefelder SOKO Institut durchgeführte repräsentative Telefonbefragung von 1.531 Personen, die in den vergangenen drei Jahren beschäftigt waren (inklusive Auszubildenden, Praktikant*innen und Selbständigen), einen qualitativen Studienteil mit Vertiefungsinterviews von Betroffenen sowie Fokusgruppendiskussionen mit verschiedenen Zielgruppen. Daneben wurden Rechtsfälle ausgewertet.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes startet zeitgleich zur Veröffentlichung der Studie die Informationskampagne #betriebsklimaschutz, die Arbeitgeber*innen Hilfestellungen gibt, wie sie effektiv ihren Schutzpflichten nachkommen und sexueller Belästigung vorbeugen können. Die Studie und weitere Informationen unter www.antidiskriminierungsstelle.de.

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Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine unabhängige Anlaufstelle für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Sie wurde 2006 mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eingerichtet. Sie betreibt Öffentlichkeitsarbeit und Forschung zum Thema Diskriminierung und bietet eine rechtliche Erstberatung für Menschen, die aufgrund der ethnischen Herkunft, Religion, Weltanschauung, sexuellen Identität, des Alters, einer Behinderung oder des Geschlechts benachteiligt worden sind

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