Für den Arsch? Wettstreit um «besten Museumshintern»

Eine Online-Challenge unter dem Hashtag #BestMuseumBum hat unverhofft den Arsch in die Hochkultur katapultiert und viele ungewöhnliche Werke aus Sammlungen sichtbar gemacht für libidinöse Blicke

Der «Hercules Farnese» aus dem Nationalmuseum in Neapel (Foto: Bert-Jan van Egteren)
Der «Hercules Farnese» aus dem Nationalmuseum in Neapel (Foto: Bert-Jan van Egteren)

Wir erinnern uns: Erst letztes Jahr kam Christian Maurels berühmtes LGBTIQ-Manifest «Für den Arsch» von 1973 neu übersetzt heraus. Jetzt bekommt das Motto «Für den Arsch» eine ganz andere Verbreitung und Mainstream-Bedeutung.

Maurels Text kreiste Anfang der 1970er-Jahre um eine Frage, die laut Verlag vom Standpunkt einer auf rechtliche Anerkennung und Respektabilität verpflichteten Schwulen- und Lesbenbewegung skandalös erschien: «Welche subjektive, soziale und politische Bedeutung hat die libidinöse Besetzung des Arsches beim Sex zwischen Männern? Sie verweist auf die Verschränkung von Politik und Begehren in der Moderne. Maurel erinnert mit seinem sprachgewaltigen Text daran, dass eine queere Kritik nicht ohne Bezugnahme auf das ‹Perverse› der Sexualität auskommen kann.»

Das Vorwort zur Neuausgabe des Textes verfasste Peter Rehberg vom Schwulen Museum, der im Jahr zuvor sein Buch zum Magazin Butt vorgelegt hatte unter dem Titel «Hipster Porn: Queere Männlichkeiten und affektive Sexualitäten im Fanzine Butt».  Er verweist darauf, dass Maurels Arsch-Frage noch immer aktuell sei und verbindet den Skandal von damals mit der Queer-Bewegung von heute.

Einige Jahre vor Peter Rehberg philosophierte der Kulturjournalist Enrico Ippolito unter der Überschrift «Rock the Butt» über die Fragen «Kann ein Arschloch ‹butch› sein?» und können passive Männer, die gern den Arsch hinhalten, ihrerseits «butch» sein. Sein Fazit 2012: «Es gibt ein neues Bewusstsein für den eigenen Arsch. Er darf in Szene gesetzt werden, er ist Zentrum der Lust – auch für die ‹hetero›-aussehenden Tops.»

Während Ippolito als Beispiele vor allem Entwicklungen in der schwulen Pornoindustrie als Spiegel der Gesellschaft anführte, wird im Corona-Sommer 2020 der Arsch ganz anders – und deutlich weniger «skandalös» – in Szene gesetzt. Und zwar im Museum. Um genauer zu sein, in sehr vielen Museen dieser Welt, die an einer Online-Challenge teilnahmen unter dem Hashtag #BestMuseumBum und dabei ihre Arsch-Schätze auf Twitter digital präsentierten, während die Objekte selbst für viele Besucher wegen Reise- und Einlassbeschränkungen nicht zugänglich sind.

Zieht damit die «libidinöse Besetzung des Arsches» in die Hochkultur ein – und kommt das einer «Anerkennung und Respektabilität» der LGBTIQ-Bewegung gleich? Geht’s hier um jene «queere Männlichkeiten», von denen Queer-Theoretiker Rehberg träumt? Auf alle Fälle gab es einen Monat lang sehr viele Hintern zu sehen: etwa den eines penetrierten Adolf Hitler, der dabei mysteriös lächelt!

Battle of the Bottoms Die britische Zeitung The Guardian sprach vom «Battle of the Bottoms», ein «Krieg» oder «Wettstreit», der aus dem sogenannten #CuratorBattle im April 2020 hervorgegangen sei, aus dem sich dann das Thema «Bester Museumshintern» entwickelt habe. Je mehr Museen sich darauf stürzten, umso mehr Unterkategorien entstanden: Man sah die Po-Backen von antiken Athleten neben den Hintern von Bienen und anderen Tieren (inkl. den Skeletten von Dinosauriern), es gab «Tudor Bums», Ansichten von Heiligen, spektakulär tätowierte Ärsche, solche, die in schwere Militärausrüstungen verpackt waren und im Lauf der Jahre immer breiter wurden (etwa der von König Heinrich VIII.) und solche, die beängstigend «abgerubbelt» waren, was auf intensive lustvolle Nutzung hindeutet.

Den ursprünglichen Kuratoren-Wettbewerb hatte ein Museum in Yorkshire gestartet. Es forderte Institutionen im Lockdown auf, ihre «verstörendsten Objekte» zu zeigen («creepiest items»). Daraus wurde so etwas wie eine Online-Ausstellung für die Allgemeinheit, die aber nur begrenzt faszinieren konnte. Das änderte sich drastisch, als es auf einmal um «Ärsche» ging – und alles was dazu gehört. Plötzlich wurden selbst renommierte Kunstzeitschriften hellhörig und berichteten.

Es gab 3.500 Jahre alte Unterwäsche zu sehen und die nur leicht bedeckten Hintern von Sumo-Ringern, die das Ota Museum of Art aus Japan ins Rennen schickte, in der Form von Zeichnung von Hokusai. Zeichnungen von Gengoroh Tagame traute man sich nicht vergleichend dazu zu stellen. (MANNSCHAFT berichtete über Tagames «Gay Erotic Art in Japan», ein Bildband mit dem er für schwule Sichtbarkeit in der japanischen Gesellschaft kämpft.)

Die Fülle der Twitter-Posts zeigt, dass sich die Aktion weit verbreitete, von Kanada bis Litauen, Japan bis zu den Niederlanden. Deren Freiheitsmuseum teilte ein «Anti-Hitler-Nadelkissen», bei dem sich «Der Führer» in brauner Uniform vorn überbeugt, seinen gelblichen Hintern in die Luft hält und Nähnadeln darin stecken, was nur ein enigmatisches Lächelns auf sein Gesicht zaubert. (Wobei die Frisur weiter perfekt sitzt.)

Schlüsselwerk beim Gay Awakening Während sich etliche Top-Museen mit ihren Arsch-Präsentationen austobten, haben erstaunlich wenige LGBTIQ-Institutionen an der Challenge teilgenommen. Eine Twitter-Userin postete diese Woche unter dem Hastag das Werk «La Nature» von Charles Vital-Cornu als «Schlüsselwerk bei meinem Gay Awakening». Weswegen es nicht verwundert, dass einige Einzel-User die Sache selbst in die Hand nahmen und ihrerseits Vorschläge machten: etwa eine Zeichnung von Aubrey Beardsley, auf der man sieht wie Lysistrata den Akropolis mit einem gigantischen Furz verteidigt.

Das ist noch radikaler als das, was Ralf König einst mit seiner «Lysistrata» tat und soll ab 27. Juli in der grossen (wegen Corona verschobenen) Beardsley-Ausstellung im Tate-Britain-Museum in London zu sehen sein – wo als Vorschaubild die berühmte Bebilderung von Oscar Wildes «Salome» von 1883 verwendet wird mit dem Titel «The Climax». Was definitiv auch eine spannende Hashtag-Aktion wäre, vor allem weil Twitter (bislang) explizit sexuelle Inhalte erlaubt, anders als Facebook und Instagram.

The Butch Manual In seinem satirischen Buch «The Butch Manual» von 1982 schreibt Clark Henley über den Macho-Wahn in der damaligen Schwulenszene und analysiert den Macho-Körper in einem Einzelkapitel: Demnach bestehe der Macho-Körper aus Schwanz, Nippeln, Kopf, Augen, Mund (inklusive Gesichtsbehaarung), Ohren, Haaren, Nase. Aber nichts über den Anus!

«Wer ‹butch› ist, interessiert sich nicht für seinen eigenen Arsch, sondern nur für den seines Partners (wenn überhaupt)», schreibt Enrico Ippolito rückblickend. Er zitiert in seinem Arsch-Artikel auch das Buch «The Joy of Gay Sex: An Intimate Guide for Gay Men to the Pleasures of Gay Lifestyle», das Dr. Charles Silverstein 1977 zusammen mit Edmund White herausbrachte. Darin heisst es: «Der Anus ist auch nur ein Organ des Körpers und nicht eine Kardinalsünde, trotzdem haben viele Menschen kulturell-induzierte Phobien entwickelt, was ihr Arschloch betrifft.»

Der «anal-aggressive Hammerschlag-Komplex»

Bob Mizer und seine Beefcake-Arschlöcher Unter #BestMuseumBum kann man sehen, wie unendlich vielschichtig die Beschäftigung mit dem Arsch und kulturell induzierte Phobien im Laufe der Jahrtausende aussahen. Die echten «schwulen» Schätze, die es gibt, sind leider unter Verschluss bzw. Offline geblieben. So besitzt beispielsweise das Schwule Museum Berlin eine riesige Sammlung von Schnappschüssen, die der berühmte Bob Mizer für einen Sammler in Deutschland erstellte: Mizer bat seine Beefcake-Modelle nach der regulären Foto-Session, sich noch einmal nach hinter überzulehnen und ihren Arsch (mit Loch) für die Kamera hinzuhalten.

Dabei entstanden in dem bekannten Pop-Art-bunten Mizer-Ambiente hunderte von Werken, die wenig bekannt sind, aber u. a. im Buch «Porn: From Warhol to X-Tube» und in der Ausstellung «Porn That Way» zu sehen waren. In den verschiedenen Büchern zu Bob Mizer und «Physique Pictorial» beim Taschen-Verlag wurden sie bislang nicht erwähnt oder gezeigt. Vermutlich wäre das der Schritt zu einer Ebene, vor der die meisten Museen bislang (noch?) zurückschrecken, weil zu «queer» oder gar «pervers»? Es scheint, dass sogar die auf Respektabilität zielende Bob Mizer Foundation in den USA vor diesem Schritt zurückschreckt, so als würden solche Bilder den Wert des Gesamt-Oeuvres mindern. Gay Liberation hin oder her …

Nachdem der #CuratorBattle zum «Besten Museumsarsch» inzwischen abgeschlossen ist, lautet die nächste Challenge seit dieser Woche «Star Objects», wobei es um die berühmtesten Einzelobjekte in Museeumssammlungen geht. Vielleicht bringen ja das Leslie + Lohmann Museum in New York, das LGBT History Museum in San Francisco oder das Schwule Museum diesmal eine deutliche «queere» Note ein, die beim #BestMuseumBum zu kurz kam?

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