«Der CDU würde ein homosexueller Vorsitzender gut zu Gesicht stehen»

Was hat die LGBTIQ-Community von der neuen Führung zu erwarten? Die LSU scheint ihren Favoriten bereits gefunden zu haben

Jens Spahn (Foto: Jörg Klaus)
Jens Spahn (Foto: Jörg Klaus)

Nachdem die deutsche Bundeskanzlerin ihren Verzicht auf den Parteivorsitz erklärt hat und auch 2021 nicht mehr als Kanzlerkandidatin antreten will, scharren ihre Nachfolger mit den Hufen. Drei CDU-Mitglieder haben sich für den Vorsitz in Stellung gebracht. Dass auch ein schwuler Bewerber darunter ist, löst in der LGBTIQ-Community kaum Begeisterung aus. Ein Kommentar.

Friedrich Merz ist nach einer aktuellen Emnid-Umfrage im Auftrag der BamS bei den Deutschen der Favorit für die Merkel-Nachfolge an der Parteispitze. Ihn wünschen sich 38 Prozent der Befragten, 27 Prozent sind für die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Neben dem ins Kapital verliebte Merz und der Ehe-für-Alle-Gegnerin AKK tritt auch der dynamische Jens Spahn an (ihn wollen laut Umfrage aber nur 13 %). Spahn ist Gesundheitsminister, wodurch er nur gelegentlich auffällt, so zumindest die allgemeine Wahrnehmung. Schwul ist er, einer von uns also, vor ein paar Jahren hätte die Community deshalb noch gejubelt. Doch seit 2015 ist manches anders.

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Er verkörpert nämlich einen neuen Konservatismus, auf den nicht alle gut zu sprechen sind. Nachdem jahrzehntelang politisch eher Linke, mindestens aber Liberale am Ende erfolgreich gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung gekämpft haben, kuscheln sich Konservative wie Spahn nun ins gemacht Nest, so der Vorwurf, und beschmutzen dann noch Schwache unter ihnen. Die Revolution frisst ihre Kinder. Ausgerechnet mit dem polarisierenden und inzwischen arg abgenutzten Thema Flüchtlinge will Spahn bei der Wahl zum Vorsitzenden punkten. Dabei macht er auch vor Populismus nicht halt.

Männliche Zuwanderung in einer Größenordnung von Städten wie Kassel?

In einem Gastbeitrag der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» behauptete er jetzt, Deutschland erfahre weiterhin eine «jährliche ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung in einer Größenordnung von Städten wie Kassel oder Rostock». Zum Vergleich: Kassel hat 200.000 Einwohner. Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, lag zwar 2017 bei 187.000, aber die Tendenz ist stark fallend (im Vorjahr waren es rund 280.000).

Spahn äußert sich also bewusst verunsichernd. Eine Methode, die bei seinem politischen Freund Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ja bestens funktioniert hat. Die meisten der inzwischen überwiegend geordnet bei uns ankommenden Migranten können in ihrer Heimat nicht sicher leben. Einige davon allein weil sie schwul, lesbisch oder transsexuell sind. Das sollte uns nicht egal sein.

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Doch in Deutschland liegen Umfragen zufolge sowieso andere Probleme vorn: Infrastruktur, Altersarmut, Armut trotz Arbeit, Energiewende, Digitalisierung – es gäbe einiges, wo ein junger Kandidat Schwung reinbringen könnte. Auch beim Thema Gesundheitsversorgung übrigens. Oder der Pflege. Nun aber wieder einmal: Migration problematisieren. Das enttäuscht Spahn-Befürworter und -Skeptiker gleichermaßen, was auf Twitter rasant zu beobachten war.

Deshalb legte Spahn sogleich nach. Mit einem Video im Lindner-Stil präsentiert er sich als Polit-Popstar. Und das hat die Agentur ziemlich gut hinbekommen. In etwas über einer Minute fallen gefühlt alle Schlagwörter, nach denen sich die Merkel-müde CDU sehnen dürfte: Stärke, Toleranz, Rechtsstaat, Sicherheit, Freiheit und schließlich: Neustart.

In dem Imagefilm sucht Spahn die Fahrrinne der Mitte. «Tolerant», sollen wir sein, «aber nicht naiv». Das könnte verfangen. Und was sagen die Schwulen und Lesben in der Union zu Spahn und seinen Mitbewerbern?

Jens Spahn hat mit seinem Ja zur Eheöffnung sowie mit zahlreichen Maßnahmen im gesundheitspolitischen Bereich bereits gezeigt, dass er sich für die Belange der Community einsetzt

«Die Frage, wer nach Angela Merkel die CDU führen wird, ist auch für uns von essenzieller Bedeutung», so Alexander Vogt, Vorsitzender der LSU, auf Anfrage der MANNSCHAFT. «Selbstverständlich würde der Partei nach einer Frau auch ein homosexueller Vorsitzender gut zu Gesicht stehen. Jens Spahn hat mit seinem Ja zur Eheöffnung sowie mit zahlreichen Maßnahmen im gesundheitspolitischen Bereich bereits gezeigt, dass er sich für die Belange der Community einsetzt.» Von Friedrich Merz hingegen seien diesbezüglich noch keine aktuellen Positionen bekannt. AKK erwähnt Vogt erst gar nicht.

Sein Verband will die Bewerber*innen nun rasch anschreiben und fragen, wofür sie stehen. Auf die Antworten dürfen wir alle gespannt sein. Denn für den Fall, dass die CSU mal wieder eine konservative Revolution ausruft: Ein Zurück bei den hart erkämpften LGBTIQ-Rechten darf es nicht geben!

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