§175: «Bei Entschädigungen wurde grosser Fehler gemacht»

BISS-Vorstandsmitglied Georg Härpfer hat erfolgreich für das Rehabilitierungsgesetz gekämpft

Georg Härpfer (Foto: Kriss Rudolph)
Georg Härpfer (Foto: Kriss Rudolph)

Anfang nächster Woche findet in Berlin die Jahrestagung von BISS statt, der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren. Vorstandsmitglied Georg Härpfer hat erfolgreich für ein Rehabilitierungsgesetz gekämpft, das 2017 verabschiedet wurde (MANNSCHAFT berichtete) und sich auch für die Härtefall-Regelung eingesetzt, die später folgte. Nun tritt er nicht mehr an, will aber weiter kämpfen.

«Schwule Seniorenpolitik – wohin geht die Reise? Bestandsaufnahme und Standortbestimmung», so der Titel der 4. BISS-Jahrestagung (Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren) am 23./24. September in Berlin. Georg Härpfer ist dabei, kandidiert aber nicht mehr. Der heute 70-Jährige hat viel erreicht: Wer nach Paragraph 175 verfolgt und verurteilt wurde (oder gegen den «nur» ermittelt wurde), dem steht eine Entschädigung zu.

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Doch bis zum 1. September 2019 sind erst 76 Anträge auf Entschädigung eingegangen, wie das Bundesamt für Justiz jetzt mitteilte: In 66 Fällen wurden Entschädigungen in Höhe von insgesamt 84.000 Euro gezahlt: 6000 wegen eingeleiteter Strafverfahren, 7500 wegen vollzogener Freiheitsentziehung und insgesamt 70.500 Euro wegen beruflicher, wirtschaftlicher, gesundheitlicher oder vergleichbarer Nachteile. Insgesamt wurden laut dem Bundesamt seit 2017 nur 157 Entschädigungsanträge gestellt und 549.000 Euro ausgezahlt. Zum Vergleich: Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden in der Bundesrepublik noch bis 1969 rund 50.000 Männer wegen ihrer Sexualität verurteilt. So wie Fritz Schmehling, der von der Polizei direkt von Lehrstelle abgeholt wurde, ohne Anwalt oder elterliche Begleitung – MANNSCHAFT berichtete).

Georg, du hast entscheidend dafür gekämpft, dass die nach 1945 wegen § 175 Verurteilten rehabilitiert und entschädigt wurden. Hast du alles erreicht? Diejenigen, die nicht verurteilt wurden und etwa «nur» in U-Haft sassen, wurden zunächst ausgeschlossen von einer Entschädigung. Das wollten wir nicht, dass es nur auf Verurteilung ankommt; wir wollten auch die soziale Komponente dabei haben. Denn schon mit einer Anklage bekam man Schwierigkeiten etwa im Beruf, Taxischeine wurden nicht verlängert, das sollte mit der Härteregelung aufgegangen werden. Das haben wir auch erreicht. Allerdings wurde noch ein grosser Fehler gemacht:

In den neuen Ländern gibt es keine Fälle, wo jemand strafrechtlich belangt wurde, da ab 1957 der alte Paragraph 175 nicht mehr angewandt wurde, 1968 wurde er im Osten schon endgültig abgeschafft. Danach wurde nur noch schwuler und lesbischer Sex unter 18 belangt. Aber noch in den 70er Jahren wurden Menschen bei der nationalen Volksarmee und bei der Volkspolizei entlassen, ich habe die Urkunden gesehen – die Leute sind entlassen worden wegen homosexueller Betätigung, die nicht der sozialistischen Ethik entsprach und als moralisch verwerfliche galt. Oder es gab Lehrer, die wegen ihrer Homosexualität nicht angestellt wurden. Das hatte aber keine strafrechtliche Komponente. Darum gab es für diese Menschen keinen Anspruch auf Entschädigung.

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Diese Richtlinie muss verändert werden! Da muss ich weiter tätig werden, auch wenn ich nicht mehr im Vorstand bin. Das widerspricht meinem Gerechtigkeitssinn. Und es regt mich auch auf, dass man eine Richtlinie macht und nicht mitdenkt, dass es in der DDR eine andere Rechtsprechung gab.

Welche Rolle spielten die Kirchen? Es gab etwa das Sittengesetz der Katholischen Kirche – die veröffentlichte Ende 1975 die «Persona Humana» zu bestimmten Fragen der Sexualethik. Demnach galt Homosexualität als sündhaft und heilbar. Auch die Evangelische Kirche hat sich lange sehr restriktiv verhalten. Wir wollten darum einen Fonds auflegen, in den die Kirchen einzahlen, die einen erheblichen Anteil an der Verfolgung von Schwulen und einen entscheidenden Einfluss hatten. Aber das ist uns von BISS leider nicht geglückt.

Über 20 Jahre hast du dafür gekämpft, dass §175-Opfer entschädigt werden. Ich dachte auch fast nicht mehr, dass es noch klappt. Ich bin 20 Jahre gegen die Wand gelaufen. Das Urteil des Bundesverfassungsgericht, das den Paragraphen 1957 bestätigte, stand wie eine Mauer. Ich wurde von CDU-Abgeordneten als Verfassungsfeind beschimpft, weil ich das Urteil nicht anerkennen wollte. Es gab zwar Gesetzesinitiativen von Grünen, auch von der PDS, aber die wurden nicht behandelt. Ich habe es als SPD-Mitglied bei Kreisdelegiertenversammlung thematisiert, aber es ist nie weitergegangen. Erst mit unserer Kampagne von BISS ging es dann endlich vorwärts, und Volker Beck von den Grünen hat uns sehr geholfen. Er sagte: Ihr müsst nicht juristisch dagegen vorgehen, das ist eine politische Frage! Es war ein Verstoss gegen Menschenrechte. Man hatte in Deutschland ein Nazigesetz bruchlos übernommen. Viele Homosexuelle kamen nach der Nazizeit wieder vor dieselben Richter, wie damals in der Nazizeit, als sie ins Zuchthaus geschickt worden.

Hast du mal selber wegen §175 Probleme gehabt? Ich habe in München Jura studiert und wohnte für eine kurze Zeit bei einem Freund in Donauwörth. Da gab es eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung, weil eine Nachbarin ihn denunziert hatte. Ich war unter 21, ich war das Corpus Delikti, aber es gab keine Anklage gegen mich. Ich sagte der Polizei, dass ich da nur übernachtet hatte – dann war die Sache erledigt. Und mein Bekannter schwebte zur Vernehmung, total gestylt und flötete: «Kann denn sowas wie ich homosexuell sein?» Er hat die richtig durch den Kakao gezogen. Das konnte man damals machen: Es war 1968, da war den Behörden schon klar, dass man an der Entschärfung des Paragraphen arbeitet, die ja dann auch im Jahr danach kam.

Wäre der Kampf, den du geführt hast, ohne dein Jurastudium möglich gewesen? Ich glaube nicht. Das hat schon sehr geholfen, damit umzugehen. Wir haben ja auch Gesetzvorlagen erarbeitet. Auch in der Diskussion hat es natürlich geholfen. Mit Heiko Maas war es gar kein Problem, die Schwierigkeiten kamen bei der Umsetzung mit den Juristen im Ministerium. Und zum Schluss mussten wir noch die Kröte schlucken, dass die Altersgrenze raufgesetzt wurde – auf Drängen der Union sollten plötzlich nur Männer rehabilitiert werden, deren Partner mindestens 16 Jahre alt waren. Die Grünen wollten erst nicht zustimmen, auch bei der SPD gab es Bedenken. Aber wir haben dann auf die Abgeordneten eingewirkt. Ich sass wie auf Kohlen. Wir waren kurz vor dem Ziel und sollten noch scheitern? Es war 2017 die letzte Chance. Im September wurde ja gewählt. Durch die AfD kamen dann andere Verhältnisse, auch die CDU hat sich sehr verändert.

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Was willst du noch erreichen? Wir haben nicht viel Zeit. Es ist mein Ziel, dass wir alle, die noch leben, entschädigen. Bisher sind es nur etwa 300 Männer. Es ist auch klar, dass es am Ende keine 4000 oder 5000 sind. Aber ein paar Hundert mehr hätte ich gerne noch.

Man hat damals bei den Verdächtigen versucht, in alle möglichen Körperöffnungen zu gucken, ob da Spermaspuren drin sind.

War es dir bzw. euch klar, dass es Menschen geben würde, die keine alten Wunden aufreissen wollen und darum auf die Entschädigung verzichten? Wir hatten es befürchtet, und es hat sich leider auch so herausgestellt. Ein Mann sagte mir: Nein, ich habe damit abgeschlossen – und das ist einer von vielen. Nun sind die Urteile ja nicht mehr da, die Gerichtsakten weitestgehend vernichtet, man hat vielleicht noch ne Kartei. Also müssen die Männer eine eidesstattliche Versicherung vor der Staatsanwaltschaft abgeben. Die Staatsanwaltschaft ist heute eine andere als damals, aber dort wurden damals die Ermittlungen gegen sei geführt. Man hat ja damals bei den Verdächtigen versucht, in alle möglichen Körperöffnungen zu gucken, ob da Spermaspuren drin sind – sowas sitzt tief in den Menschen drin.

Zwar ist bei der Härtefallregelung keine Staatsanwaltschaft eingeschaltet, das ist auch gut so – das läuft über das Bundesamt der Justiz. Aber einige haben wirklich damit abgeschlossen, sind heute vielleicht mit einer Frau verheiratet und sagen: «Meine Frau darf davon nichts wissen». Trotzdem: Mein Ziel ist, dass bis zum Jahr 2022, dem Ende der Antragsmöglichkeit auf Entschädigungsleistungen alle Betroffenen erreicht werden.

Das Interview erscheint auch im Oktober-Heft (Deutschland) der MANNSCHAFT. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.

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