Ex-BVG-Chefin Kreienkamp: «Bin durch ein Tal der Tränen gelaufen»

Queere Menschen 2023 – unser Jahresrückblick

Eva Kreienkamp (Foto: Britta Pedersen/dpa)
Eva Kreienkamp (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Eva Kreienkamp (61) war bis April Vorstandschefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), dann wurde sie freigestellt (MANNSCHAFT berichtete). Heute lebt sie mit ihrer Frau im nördlichen Rheinland-Pfalz und blickt im Interview zurück.

Eva, im April hat der Aufsichtsrat der BVG einstimmig beschlossen, dass du sofort abberufen und freigestellt wirst. Es war der 26. April, Tag der lesbischen Sichtbarkeit. Man hätte sich kein besseres oder schlechteres – je nachdem, wie man es bewerten will – Datum dafür aussuchen können. Ja, das Timing war zauberhaft.



Ich sage auch gutes Timing, weil wahrscheinlich nichts besser beweist, dass es diesen Tag braucht. Da ja die ganze Geschichte, sagen wir, komplex ist und mein Lesbischsein Teil der Geschichte, war es, wie soll man sagen, ein brauchbarer Tag. Und wahrscheinlich ist die Ironie mir eher aufgefallen als dem Aufsichtsrat.

Du hattest zuvor in der Süddeutschen Zeitung der BVG einen langen Weg bis hin zu mehr Toleranz gegenüber queeren Lebensformen bescheinigt. Und zwar als Person, die sich schon sehr lange mit dem Thema Diversity in Unternehmen beschäftigt. Du warst zweimal ganz weit vorn in dem Ranking. Germany’s Top 100 Executives (MANNSCHAFT berichtete). Ja, 2018 war ich auf dem zweiten Platz dieser Liste. 2019 auf dem ersten Platz, dann hab ich gesagt: Ich mache nicht mehr mit. Auch weil ich finde, dass unendlich viele Leute auf diesen Listen sein sollten und da ist es mir lieber, auch mal in die Jury zu gehen. 2020 habe ich dann noch den LGBT Preis von Beyond Gender Agenda bekommen und dann war es aber echt gut.

Es geht mir darum zu beleuchten, wie weit ist Diversity und Diversity Management wirklich. Auf welchem Level wird es vor allem in Deutschland bearbeitet. Ich glaube, da geht insgesamt noch was. Das sieht man ja bei allen unterschiedlichen Themen, sobald eine Person aus einer, sagen wir mal unterrepräsentierten Gruppe plötzlich in eine Leitungsposition kommt, ist das nicht nur Spass. Da werden Teile der Diversity-Charta einfach mal zur Seite gestellt und man schaut, ob man diese Person nicht noch in einer anderen Form diffamieren kann, also nicht nur über Leistung, sondern über die Art und Weise, was sie für eine Person ist. Und ich bin davon überzeugt, dass wir auch gerade wieder in einem Backlash sind, der sich gewaschen hat. Da ist es egal, zu welcher unterrepräsentierten Gruppe du gehörst. Das ist gerade für niemanden richtig schön.

Wenn wir uns anschauen, wie jetzt gerade einerseits mit Jüdinnen und Juden in diesem Land umgegangen wird, andererseits mit Musliminnen und Muslimen, oder auch mit all denen, die hierhin gekommen sind, weil sie Geflüchtete sind, und wie auch zum Teil unser weibliches politisches Personal angegangen wird, da muss ich sagen: Ich finde das ausgesprochen beunruhigend.

Wie war es denn mit der BVG und dir? Ich bin damals in einer Art gesamtgesellschaftlichen Zuspitzungssituation gelandet. Natürlich gab es auch bei der BVG Menschen, die Massnahmen umsetzen wollten, was Diversity angeht, und das ist ihnen nicht in der Art und Weise gelungen, wie sie wollten, und sie wurden dafür auch in unterschiedlichen Formen angegriffen. Wir reden über Mikroaggressionen. Da ist so eine Haltung: Wollen wir wirklich reflektiert werden von einer Person aus einer Gruppe, die sich einfach das Recht herausnimmt, ihren Mund aufzumachen, oder wollen wir nicht lieber in einer Welt leben, wo wir beim CSD mitmachen und alles so schön bunt ist, aber bitte danach ist es auch wieder gut – in so einem Feld bewegen wir uns. Das ist für die Mehrheit, die Hegemonialgruppe wahrscheinlich schwerer zu ertragen als für die, die sich in gewisser Weise anpassen und das Spiel mitmachen. Dazu hat es auch bei der BVG ein paar gegeben, das war mit ein Grund, warum ich in der Süddeutschen bereit war, auch etwas dazu zu sagen.

Was wäre so ein Beispiel für einen Fall von Mikroaggression? Wenn man sich anschaut, was über mich in der Berliner Presse geschrieben wurde, im Tagesspiegel etwa war in einem Artikel über mich von meinem «demonstrativen Queersein» die Rede – was auch immer das sein mag. Da steckt ja einiges drin: Wie wird wahrgenommen, wenn eine queere Person tatsächlich einfach sie selber ist? Und wie ist es, wenn eine heterosexuelle Person «Ally» spielt? Das sind unterschiedliche Wahrnehmungen: Bei dem einen ist es okay, sagen wir mal, einen Regenbogenschal bei einer Veranstaltung zu tragen, aber für die queere Person vielleicht nicht. Weil sie damit etwas demonstriert.

Was hast du erlebt, das anderen widerfahren ist? Also, ich will jetzt die Fälle in der BVG nicht unbedingt wieder aufmachen, die sind abgearbeitet. Und jene, die die BVG verlassen haben – darüber möchte ich einfach nicht spekulieren, wie es denen geht. Die hatten sicherlich gute Gründe, zu gehen.



Du hast deinen Rauswurf damals bei Linkedin thematisiert, und es gab viele solidarische Kommentare, aber auch auch Wortmeldungen von zwei schwulen Männern, darunter einer schwulen Führungskraft bei der BVG. Beide schrieben, sie nähmen die BVG gar nicht so homophob wahr. Ist es für schwule Männer einfach noch mal anders als für lesbische Frauen? Ein Beispiel, das es ein bisschen verdeutlicht: Ja, nach aussen sieht alles wunderbar aus, und es gibt Flaggenhissungen auf den Liegenschaften der BVG. Aber danach gibt es eben auch in der Mitarbeiter-App Kommentare wie: So, Pride ist vorbei und jetzt können die Flaggen bitte wieder runter. Nach dem Motto: Wir haben unseren Beitrag geleistet, jetzt ist es auch mal wieder gut, wir sind wieder in der «richtigen Welt». Das ist so der Hebel, an dem es gilt, immer noch mal hinzuschauen. Ich bin mir sicher, dass auch die BVG jetzt intern noch mal genauer hinschaut.

Und ja, bei Schwulen und bei Lesben gibt es sicherlich immer noch unterschiedliche Wahrnehmungen. Schwule haben immer noch den grossen Vorteil in diesem Land, Männer zu sein, und Lesben sind halt in der Gruppe derer, die unterrepräsentiert sind, noch mal hinten dran. Sie sind relativ selten in Spitzenpositionen und damit natürlich noch mal in einer völlig anderen Wahrnehmungsliga.

Du warst ja schon vor Berlin im Verkehrssektor unterwegs, in Mainz und bei Hamburg-Köln-Express. Hast du dort ähnliche Erfahrungen mit Mikroaggression gemacht? Nicht in der Form. Aber in beiden Fällen war die Ausgangslage, glaube ich, auch eine andere. Der eigentliche Grund, warum das bei der BVG so gelaufen ist, ist ja, dass die politischen Kräfteverhältnisse sich in diesen zwei Jahren so komplett verändert haben. Und die Person, die wollte, dass ich komme und auch die BVG modernisiere, ist im Rahmen der Berliner Neuwahlen verschwunden. Das heisst, ein Teil dessen, was du als Vorstandsvorsitzende brauchst, um Veränderungen herbeizuführen, nämlich den Rückhalt der Aufsichtsratsvorsitzenden, war dann einfach verschwunden. Gleichzeitig war ein intensiver Wunsch da, eine ganz bestimmte Person in den Vorstandsvorsitz hinein zu bekommen. So ist es ja auch gelaufen, und dann ging es einfach darum, herauszufinden, wie werden wir diese Person los. Von daher ist die gesamte Geschichte einfach komplexer als nur: Da sitzt eine Lesbe, die ist «demonstrativ queer», und ansonsten wissen wir nicht genau, was sie tut.

Wir hatten als Vorstand in einer wahnsinnig schwierigen Phase, der Corona-Zeit, ein Unternehmen zu führen, hatten in dieser Zeit mit Lieferkettenschwierigkeiten, mit Energie-Knappheit, mit Geflüchtete aus der Ukraine zu tun, und das haben wir ordentlich getan. Zur Geschichte gehört eben auch, dass der Aufsichtsrat mal wieder einen Mann an der Spitze haben wollte, und zwar genau den, der jetzt kommt. Auch das ist kolportiert worden, das muss man halt alles mit in Betracht ziehen.

Du bist heute selbständig mit EK Consulting. Ist Diversity weiter ein Thema für dich? Nicht so sehr. Was Diversity angeht, habe ich einen langen Track Record aus rund 35 Jahren Berufserfahrung, ich habe dazu mehrere Vereine und Verbände gegründet. Das ist etwas, das auch weiter läuft. Mich beschäftigt und interessiert natürlich das Thema Mobilität weiterhin, weil ich das als Grundbedürfnis der Menschen erachte. Ich beschäftige mich mit KI, weil wir da vor einer Revolution stehen. Das überreissen wir, glaube ich, alle überhaupt noch gar nicht, was da auf uns zukommt, und daher ist es jetzt wahrscheinlich eine gute Zeit, sich damit zu beschäftigen.

Würde dich die Deutsche Bahn reizen? Da kann man ja gerade gute Leute gebrauchen. Also, sollte die Deutsche Bahn Interesse an mir haben, wird sie das schon irgendwie kundtun. Die würden mich sicherlich finden.

Schliesst du das Jahr 2023 zufrieden ab? Ja, insgesamt schon. Ich bin durch ein Tal der Tränen gelaufen und das hat ein bisschen gedauert. So eine Situation geht nicht spurlos an dir vorbei. Manche würden sagen, ich wäre in so einer Art persönlichem Abklingbecken, und das ist auch richtig so. Aber inzwischen komme ich an einen Punkt, wo es wieder mehr darum geht, in die Zukunft zu schauen, was sich an neuen Herausforderungen auftut.

Was gibt es noch an Herausforderungen? Diversity, Equity, Inklusion und Belonging – das ist der Weg nach vorne und das ist, glaube ich, in seiner Gänze noch nicht verstanden worden. Ja, die Gesellschaft toleriert Schwule, wir sind inzwischen auch an der Stelle, dass wir akzeptieren, dass es Schwule gibt, und irgendwann kommen wir an den Punkt, wo wir es einfach lieben, dass die Menschen unterschiedliche Sexualitäten haben, weil es Bestandteil von Menschheit ist.

Wir müssen Umfelder schaffen, in denen die Menschen tatsächlich auch artikulieren können, wer sie sind. Die Gesellschaft muss in ihren jeweiligen Facetten in Dialog treten. Am Ende gibt es dann noch eine Rubrik, in der alle gleichermassen diskriminiert werden, und das ist: Alter. Da ist es nämlich vorbei mit der Privilegiertheit. Egal, was du vorher Grossartiges gemacht hast, Man muss sich darüber im Klaren sein, sagen wir mal, in einem buddhistischen Kontext, dass wir alle Leiden, Krankheit und Sterben erleben, und am Ende, ähnlich wie bei der Geburt, sind wir alle wieder auf dem gleichen Dampfer. Aber in der Zwischenzeit machen wir uns das Leben zur Hölle, weil wir uns voneinander abgrenzen, in einer echten Hölle, wie wir das mit Krieg machen, oder mit psychologischer Hölle

Da rauszukommen, ist, glaube ich, ein Teil unserer aller Aufgabe. Dafür ist Diversity, Equity Inklusion und Belonging eigentlich da. Das bedeutet, dass es eben nicht sein darf, dass wenn Menschen, die vom Mainstream abweichen, aus welchen Gründen auch immer, aufgrund dieser Tatsache diskreditiert werden.

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