Bisexualität ist «kein Lifestyle-Anhängsel von Heterosexualität»
Von Geflüchteten soll nicht mehr erwartet werden, auf das Ausleben ihres homosexuellen Persönlichkeitsanteils zu verzichten
Die Fachstelle für LGBTIQ Geflüchtete der Schwulenberatung Berlin hat bei der Rechtsanwältin Juliane Linke eine rechtliche Expertise zum Thema «Bisexualität als Fluchtgrund» in Auftrag gegeben, die soeben erschienen ist.
Regelmässig musste die Schwulenberatung Berlin in den letzten Jahren die Erfahrung machen, dass bisexuelle oder pansexuelle Geflüchtete mit spezifischen Problemen während des Asylprozesses konfrontiert wurden. Von Entscheider*innen wird Bisexualität mitunter als eine Zusammensetzung aus Hetero- und Homosexualität missverstanden, zwischen denen die Betroffenen wählen könnten.
Wie die Schwulenberatung am Mittwoch mitteilte, hätten Gerichte in der Vergangenheit bisexuelle Personen darauf verwiesen, im Herkunftsland weiterhin ihren heterosexuellen Persönlichkeitsanteil ausleben zu können. Auf das Ausleben ihres homosexuellen Persönlichkeitsanteils könnten sie dagegen verzichten bzw. diesen geheim halten.
Der sexuellen Orientierung als zwingend bedeutsamem Bestandteil der Identität eines Menschen muss angemessen Rechnung getragen werden.
Diese Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht zwar mittlerweile zurückgewiesen. Dennoch sind immer wieder indirekte Diskretionsverweise zu beobachten. Stephan Jäkel von der Schwulenberatung Berlin: «Bisexualität wird damit eine Eigenständigkeit als sexueller Orientierung aberkannt und zu einem Lifestyle-Anhängsel von Heterosexualität degradiert. Neben einer klischeehaften und diskriminierenden Zuschreibung hat dies für bisexuelle Geflüchtete existenzielle Folgen. Denn Verfolger machen diese Unterscheidung im Zweifelsfall nicht, sondern bestrafen jegliche Abweichung von heteronormativen Lebensweisen.»
Daher sei es notwendig gewesen, den Themenkomplex mit einer rechtlichen Expertise behandeln zu lassen. Rechtsanwältin Juliane Linke schreibt dazu in ihrer Expertise, es sei deutlich geworden, dass Diskretionserwägungen unzulässig seien. Dies gelte nach der Rechtsprechung des BVerfG nunmehr auch explizit für bisexuelle Personen.
«Ausgangspunkt für die Prüfung der Verfolgungswahrscheinlichkeit muss die offen gelebte sexuelle Orientierung sein. Denn nur so kann der sexuellen Orientierung als zwingend bedeutsamem Bestandteil der Identität eines Menschen angemessen Rechnung getragen werden. Eine solche Herangehensweise verwirklicht das Recht der Betroffenen auf ein diskriminierungsfreies Ausleben ihrer sexuellen Orientierung.»
In Deutschland und Österreich werden nach wie vor relativ häufig Asylanträge von LGBTIQ-Geflüchteten abgelehnt und Klagen abgewiesen, indem die Asylsuchenden auf die vermeintliche Möglichkeit eines «diskreten» Lebens im Herkunftsland verwiesen werden. Vor diesem Hintergrund sind LSVD und Queer Base auf einen Übersetzungsfehler des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zum sogenannten «Diskretionsgebot» gestossen, der nach dem Hinweis der Organisationen nun korrigiert wurde (MANNSCHAFT berichtete).
Das «Swiss LGBTIQ+ Panel» gibt Einblick in die Psyche sexueller und geschlechtlicher Minderheiten in der Schweiz. Befragt wurden über 3’000 Personen. Eine der Erkenntnisse: Bi- und pansexuelle Personen werden oft nicht ernst genommen (MANNSCHAFT berichtete).
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