Berlin will LGBTIQ-Geflüchtete besser schützen und integrieren
In der Hauptstadt ist trotz hoher Standards noch viel zu tun - das gilt erst recht im Rest der Republik
Auch wenn Berlin als erstes Bundesland 2015 die besondere Schutzbedürftigkeit von LGBTIQ-Geflüchteten anerkannt hat und es hier ein beispielhaftes Netzwerk gibt: Die Anforderungen bei der Beratung, Versorgung und Integration queerer Flüchtlinge sind und bleiben enorm – in ganz Deutschland.
Zum IDAHOBIT informierte die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Senatorin, Elke Breitenbach (LINKE), gemeinsam mit der Schwulenberatung Berlin über die Situation LGBTIQ-Geflüchteter in Berlin. Fazit: Sie brauchen besonderen Schutz und Unterstützung, und Berlin ist mit seinem Netzwerk bundesweit beispielgebend – auch wenn hier noch viel zu tun ist.
Im Land Berlin wurde schon 2015 das «Berliner Modell für die Unterstützung von LGBTIQ-Geflüchteten» entwickelt. Darauf aufbauend hat man eine Struktur für queere Geflüchtete geschaffen, die beständig weiter ausgebaut wird. Dazu gehören etwa niedrigschwellige Erstberatungsangebote wie das Café «Kuchus» in Kreuzberg, eine spezifische Verfahrens- und Asylberatung, Antigewalt- und Antidiskriminierungsberatung, der Aufbau von Selbsthilfegruppen, die sichere Unterbringung in einer queeren Unterkunft und zahlreiche Fortbildungsreihen für Mitarbeitende in Einrichtungen und Verwaltung.
«Das Land Berlin hat als erstes Bundesland 2015 die besondere Schutzbedürftigkeit von LGBTIQ-Geflüchteten anerkannt», erklärte Senatorin Elke Breitenbach – dies habe man im neuen Gesamtkonzept zur Integration und Partizipation Geflüchteter bekräftigt. «Es ist uns wichtig, LGBTIQ-Geflüchteten gezielte Unterstützung und besonderen Schutz zu gewähren. Dazu sind in Berlin viele Angebote und Unterstützungsmassnahmen auf den Weg gebracht worden, die wir weiter ausbauen wollen», so die Senatorin weiter.
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Was die Betreuung und Unterbringung betrifft, arbeitet das Land Berlin beständig an einem Qualitätsmanagement, wie Sybill Schulz erklärte – sie leitet die Koordinierungsstelle Flüchtlingsmanagement bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Schon jetzt gingen sogenannte Lotsen, die bis zu sieben Sprachen abdecken, regelmässig in die Unterkünfte, um mit Flüchtlingen zu sprechen und etwaige Beschwerden abfragen. Bis 2020 will man eine Art TÜV-System entwickeln.
Über 40% der Bewohner*innen stammen aus russischsprachigen Ländern In der spezifischen queeren Unterkunft der Schwulenberatung Berlin im Stadtteil Treptow finden derzeit 100 Menschen Ruhe und Sicherheit. Die allermeisten von ihnen sind unter 30, ein Drittel sogar unter 25, erklärte die Leiterin Antje Sanogo. Nur eine Handvoll der Menschen seien älter als 35. Queere Flüchtlinge aus Syrien, dem Iran oder Irak kommen hier unter; über 40 % der Bewohner*innen stammen aus russischsprachigen Ländern, etwa der Ukraine, Tadschikistan oder Georgien.
Gestiegener Anteil von trans Personen Insgesamt konnten seit Eröffnung im Februar 2016 schon 341 Geflüchtete vor homo- und transphoben Anfeindungen geschützt werden. Während anfangs 2 von 3 Bewohnern in der Treptower Unterkunft schwul oder bisexuell waren, liegt dieser Anteil heute noch bei gut 50 %. Dafür hat sich der Anteil von trans Personen deutlich erhöht auf etwa ein Drittel. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten beschlossen hat, trans Geflüchtete nach der Registrierung nicht in ein anderes Bundesland zu verteilen.
Die Asylverfahrens- und Migrationsrechtsberatung der Schwulenberatung Berlin ist die erste staatlich geförderte rechtliche Beratung Deutschlands, die sich speziell an LGBTIQ mit Flucht- oder Migrationserfahrung richtet. Mehr als 350 LGBTIQ-Geflüchtete haben hier bereits rechtliche Unterstützung im Asylverfahren gefunden. Ziel sei ist, queere Geflüchtete bedarfsgerecht zu unterstützen, nicht nur in gesundheitlicher und psychosozialer Hinsicht, sondern auch durch einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt.
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Der Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin Marcel de Groot erklärte, mit der Erstaufnahmeeinrichtung und Gemeinschaftsunterkunft für queere Geflüchtete der Schwulenberatung setze Berlin ein deutliches und wichtiges Zeichen für die besonderen Bedarfe dieser Zielgruppe. «Nach drei Jahren Erfahrung können wir sagen, dass sich die Unterkunft als eine notwendige Massnahme für die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie zur besonderen Schutzbedürftigkeit von LGBTIQ-Geflüchteten bewährt hat. Die Schwulenberatung Berlin hat auch Dank der Förderung des Senats ein vielfältiges und ausdifferenziertes Angebot aufbauen können, so dass die oft komplex traumatisierten LGBTIQ-Geflüchteten die passende und notwendige Unterstützung erhalten können, die sie dringend benötigen.»
Künftig sei es wichtig, die etablierten Beratungs- und Betreuungsangebote der Schwulenberatung Berlin weiter interkulturell zu öffnen. «Mit unserem Wohnprojekt Lebensort Vielfalt am Ostkreuz haben wir dies schon umgesetzt, indem dort in vier betreuten Wohngemeinschaften mit 32 Plätzen geflüchtete und nicht geflüchtete LGBTIQ zusammen wohnen“, so de Groot.
Schutzräume anzubieten, sei wichtig, aber für die Integration sei es wenig hilfreich, wenn Geflüchtete dann unter sich bleiben. So haben die Geflüchteten teils eine erhebliche Traumatisierung erfahren, und ihre Integration sei ein mühsamer Prozess. Die Aufarbeitung des Erlebten sei sehr schwierig, so de Groot, das könne die Schwulenberatung oft gar nicht leisten. Darum lege man den Fokus mehr auf die Stabilisierung.
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Dazu kommen weitere Herausforderungen: Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wird, versuchen nicht selten, sich das Leben zu nehmen. Und laut de Groot wird queeren Geflüchteten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oft nicht geglaubt, dass sie schwul, lesbisch oder trans sind – oder man nimmt ihnen nicht ab, dass sie von familiärer Verfolgung bedroht sind. Das erklärt auch, dass die Zahl der Klagen gegen negativen Bescheide 2018 gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Nicht zu vergessen: die Verlockung durch Drogen. Die Geflüchteten sind überdurchschnittlich jung, die wollen das Leben geniessen und ihre Probleme und das erlebte Grauen vergessen, erklärt der Geschäftsführer der Schwulenberatung.
Aus Sicht der Schwulenberatung gibt es etliche Punkte, bei denen die Identifizierung und Versorgung von queeren Geflüchteten in Berlin nach wie vor defizitär ist. Man weiss aber auch, dass die Standards in der Hauptstadt deutlich höher liegen als im Rest des Bundesgebiets. Die Wahrscheinlichkeit, dass geschützter Wohnraum zu Verfügung steht, ist gering. So wie trans Menschen nicht in andere Bundesländer verteilt werden, fordert die Schwulenberatung auch, dass etwa HIV-positive Geflüchtete in Berlin bleiben, ebenso wie man erreichen will, dass über das EASY-Verfahren (Erstverteilung von Asylbegehrenden) keine queeren Paare getrennt werden.
Enormer Beratungsbedarf Um aber weiter queere Geflüchtete beraten zu können, braucht die Schwulenberatung Unterstützung. Der Beratungsbedarf von queeren Geflüchteten in den vergangenen Jahren war enorm: So hatte man im Kuchus ursprünglich mit 500 Leuten gerechnet; stattdessen zählte man in den vergangenen drei Jahren 5000 Besuche von 1.200 verschiedenen Personen. Da bleibt kaum Zeit für mehr als «Speed-Sozialberatungen» Zeit, so Stephan Jäkel, Abteilungsleiter für HIV/STI-Prävention und Flucht bei der Schwulenberatung. Nun läuft auch noch im März 2020 die Förderung aus, die bisher aus Mittel von «Aktion Mensch» kam. Der Jahresbedarf liegt bei etwa 100.000 Euro.
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