«Ich werde immer zwischen zwei Kulturen leben»

Klaus hat für die Liebe seine Heimat in Hannover verlassen und in den Niederlanden ein neues Zuhause gefunden

Klaus (links) wanderte der Liebe wegen aus. (Bild: zvg)
Klaus (links) wanderte der Liebe wegen aus. (Bild: zvg)

Vor 16 Jahren zog Klaus für die Liebe von Deutschland in die Niederlande und fand dort bei seinem Mann eine neue Heimat. Er erzählt uns von den unerwarteten Hindernissen, die er überwinden musste.

Obwohl Klaus Többen nun seit 16 Jahren in der Provinz Utrecht wohnt, ist er von dieser Tatsache noch immer fasziniert. «Wenn ich im Zug sitze und die typisch niederländische Landschaft am Fenster vorbeiziehen sehe, dann denke ich manchmal: ‹Guck an, hier lebe ich. In Holland!›»

«Bis vor zwei Jahren habe ich ein Doppelleben geführt»

1999 lernte Klaus seinen heutigen Ehemann Ben bei einem internationalen Schwimmwettkampf in seiner damaligen Heimat Hannover kennen und verliebte sich. Dabei entstanden ein paar Probleme: Ben lebte in Holland – mit Frau und Kindern. Auch Klaus war in einer festen Beziehung. Diese beendete er für Ben, und wenig später waren sie ein Paar. Über mehrere Jahre hinweg sahen sie sich jedes Wochenende.

Bens Familie wusste bereits von dessen Schwulsein. Auch wenn die Lage relativ entspannt war, fand es Klaus doch zuweilen seltsam, mit Bens Frau und den drei Kindern am Frühstückstisch zu sitzen. Es wurde abgemacht, dass er und Ben erst zusammenziehen würden, wenn die Kinder ausgezogen waren. Dies war dann im August 2003 der Fall, und Klaus fing an, Niederländisch zu büffeln.

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Das Auswandern fiel ihm schliesslich schwerer als erwartet. Ihm ging es psychisch nicht gut und er verlor 15 Kilo Körpergewicht. Das lag nicht an dem, was ihn erwartete, sondern an dem, was er hinter sich liess.

«Mir gefielen meine Arbeit und meine Wohnung im traumhaften Hannoveraner Stadtteil Linden-Mitte. Ich hatte Freunde, eine fantastische Klavierlehrerin und war im Schwimmverein aktiv.» In Holland fing Klaus quasi wieder von vorne an – und dies erforderte viel. Um weiter als Therapeut arbeiten zu dürfen, musste er ein entsprechendes Bachelorstudium in Holland abschliessen. Mittlerweile führt er in Elst eine erfolgreiche Praxis für Neuro-Ergotherapie.

Einen neuen Freundeskreis aufzubauen, entpuppte sich als überraschend schwierig. Auch wenn die Niederländer*innen auf Partys lockerer drauf seien als die Deutschen, käme es meist nur zu oberflächlichen Freundschaften. Witzig gemeinte Bemerkungen über die deutsche Nazi-Vergangenheit, die er des Öfteren hören musste, nerven ihn. Gleichzeitig stellte er verwundert fest, dass die Menschen hier ihrerseits überhaupt nicht gerne über dunkle Kapitel der eigenen Geschichte sprechen.

Seine idealisierte Vorstellung der Niederländer*innen sei etwas naiv gewesen, findet er rückblickend. So schockierte es ihn etwa, als er sah, dass die Pausenplätze der christlichen und der staatlichen Schule in seinem Dorf durch einen Zaun getrennt sind. Das passte so gar nicht zu seinem Bild der entspannten und toleranten Holländer*innen.

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In einem Punkt wurden seine Erwartungen jedoch übertroffen: Zur Hochzeit von ihm und Ben im Jahr 2006 kamen viele Nachbarn, die er nicht einmal kannte. Ihre Heirat war «das Normalste der Welt» und er geniesse es, sich in den Niederlanden als Schwuler frei bewegen zu können.

Mittlerweile hat Klaus auch die niederländische Staatszugehörigkeit angenommen. So könne er an die Urne gehen und dem Aufstieg der rechtsnationalistischen Parteien etwas entgegenwirken, wodurch er sich mehr als Mitbürger fühle. Doch für ihn ist klar, dass er sich nie ganz als Holländer identifizieren wird. «Ich werde stets irgendwie zwischen zwei Kulturen leben.»

Dieser Text stammt zusammen mit den Geschichten von anderen Auswanderern aus der Print-Ausgabe der MANNSCHAFT. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.

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