Polnische LGBTIQ-Aktivist*innen gewinnen vor Gericht
Das Urteil fiel kurz vor Jahresende
Die Aktivist*innen des sogenannten Atlas of Hate haben den ersten Prozess gewonnen. Sie wurden der Verleumdung beschuldigt, weil sie eine Karte mit «LGBT-freien Zonen» veröffentlicht hatten.
Es war die erste von sieben Anklagen, die von der ultrakonservativen Organisation Ordo Iuris eingereicht worden waren (MANNSCHAFT berichtete). Die Forderungen sind in jedem Fall hoch: 20.000 PLN, das sind umgerechnet 4300 Euro, des weiteren Pressekonferenzen in Warschau und Brüssel, auf denen sich die Aktivist*innen entschuldigen sollen. Geklagt hatte die Stadt Przasnysz. Sie muss nun die Prozesskosten von knapp 1000 Euro tragen.
Die erste und wichtigste Etappe liegt hinter uns, teilten die Aktivist*innen nach dem Urteilsspruch vom 30. Dezember 2021 mit. «Es konnte nicht anders enden. Die rechtlichen Schritte von Przasnysz sowie der anderen sechs Verfahren, die bei Gerichten im ganzen Land anhängig sind, sind ein Versuch, den Bürgern, die das Verhalten der Behörden kritisieren, den Mund zu verbieten – in diesem Fall durch die Behörden vor Ort selber.»
Durch das Erstellen und den Betrieb des Atlas of Hate handelten die Angeklagten innerhalb der Rechtsordnung und nutzten die ihnen in Art. 54 der polnischen Verfassung sowie Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Werte wie das Recht auf Gleichbehandlung oder das Recht der Öffentlichkeit auf Information zu verteidigen, erklärte Alicja Szspringer, die Anwältin des Atlas of Hate. «Dafür verdienen sie grosse Anerkennung und Unterstützung und keine Klagen – insbesondere wenn sie von Einrichtungen direkt inspiriert und durchgeführt werden oder indirekt von der Öffentlichkeit finanziert wie Ordo Iuris.»
Das Gericht hatte keine Zweifel daran, dass die Handlungen der Angeklagten mit der verfassungsmässigen Meinungsfreiheit, dem Recht auf Kritik, auf Unterrichtung und auf Auskunft über die Tätigkeit von Personen mit öffentlichen Ämtern vereinbar sind.
Richterin Grażyna Szymańska-Pasek erwähnte, dass die Situation der polnischen LGBTIQ-Community sehr schwierig sei (MANNSCHAFT berichtete). Die Statistik zeige, dass 68 Prozent. Beschimpfungen und 12 Prozent körperliche Gewalt erlebten haben; jede*r Zweite verberge die eigene Identität, 30 Prozent litten an Depressionen.
Sie sagte auch, dass die Stimme von Aktivist*innen, die auf ein wichtiges gesellschaftliches Problem aufmerksam machen, keine Missbilligung hervorrufen dürfe. Sicher könnten ihre Handlungen nicht als illegal angesehen werden.
Familie ist auch eine Mutter, die ein Kind mit einer Partnerin grosszieht, oder ein Mann, der ein Kind mit seinem Partner grosszieht.
Das Gericht hätte sich mit dem Thema Meinungsfreiheit begnügen können, ging aber noch weiter, heisst es in der Pressemitteilung der Aktivist*innen. Die Richterin verwies nicht nur auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Sie erklärte auch direkt, dass die Familie nicht nur eine Ehe aus einer Frau und einem Mann sei, die Kinder erziehen. Sondern auch eine Mutter, die ein Kind mit einer Partnerin grosszieht, oder ein Mann, der ein Kind mit seinem Partner grosszieht, erklärte Kuba Gawron, Co-Autor des Atlas of Hate.
Ordo Iuris war mit der Entscheidung nicht zufrieden. Nach den wenigen Stunden des Schweigens kamen sie zu dem Schluss, dass der Richter die «Masturbation» von 6- bis 9-jährigen Kindern unterstütze.
Dies ist nur der erste von sieben Fällen, die von Gemeinden aus ganz Polen gegen Aktivisten eingereicht wurden. Es bestehe kein Zweifel, dass die Gerichtsverfahren ein Versuch sind, uns als Aktivist*innen zum Schweigen zu bringen. Berufungsverfahren können bis zu zwei Jahre dauern, so Atlas-Sprecher Kamil Maczuga.
Trotzdem gibt es noch einen Erfolg zu verbuchen: Mittlerweile haben 20 Städte und Gemeinden in Polen ihre Anti-LGBTIQ-Resolutionen zurückgezogen,
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