«Meine Sexualität habe ich abgelehnt und gehasst»

Ein Gespräch über Veganismus, queeren Aktivismus und Selbsthass

Foto: Instagram
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«Queer Eye Germany» ist der erste internationalen Ableger des erfolgreichen US-Formats. Einer der Fab Five ist der Arzt und Veganexperte Aljosha Muttardi.

Veganismus, queerer Aktivismus, «Queer Eye Germany»: Du engagierst dich gerne für andere. Warum? Als Kind hätte ich einen Menschen gebraucht, der für mich da ist. Aus diesem Grund versuche ich mich als Erwachsener für andere zu engagieren. Mit meiner Genderidentität hatte ich nie Probleme — anders war es mit meiner sexuellen Orientierung. Ich dachte mal, Krebspatienten fühlen sich bestimmt auch so, nach dem Motto: «Wieso hat es mich getroffen, ich habe nichts getan.» Ich fühlte mich wie ein Tumor — ich dachte, ich wäre falsch und würde meine Gefühle nicht unter Kontrolle kriegen. Ich wünschte mir nur eine Frau zu lieben, Kinder zu haben und niemanden zu enttäuschen: Das habe ich selbstverständlich nicht hinbekommen.

Dann hast du dich mit deiner Sexualität eine Zeitlang nicht wohl gefühlt? Meine Sexualität habe ich abgelehnt und gehasst. Im Kindergarten fragten mich die Kinder, ob ich ein Mädchen bin. Ich habe mich immer hässlich und dumm gefühlt. Ausserdem litt ich unter dem Impostor-Syndrom — das Gefühl, dass ich gleich auffliegen werde. Das hat dazu geführt, dass ich mich nicht gerne auf Videos oder Fotos sehe. Die erste Staffel von «Queer Eye Germany» habe ich gesehen —ich werde sie aber nie wieder sehen, ich mag das immer noch nicht.

aljosha muttardi
aljosha muttardi

Gibt es Schnittstellen zwischen queeren Menschenrechten und Tierrechten? Es sind unabhängige Themen, die aber durchaus Schnittstellen haben. Wir entwickeln eine Grundempathie, wenn wir über die Situation der Tiere reflektieren. Tiere werden klassifiziert und  aufgrund dieser Klassifikation besser oder schlechter behandelt. Sobald uns das bewusst wird, werden uns andere Dinge auch bewusst — Das kann uns wachrütteln.

Wieso wurdest du Veganer? Weil ich gemerkt habe, dass wir nicht darauf angewiesen sind und die Tiere leiden. Dann merkte ich, dass es viele Alternativen gibt zu tierischen Produkten. Gleichzeitig hat es mich an mich erinnert: Ich bin schwul — ich habe keine Wahl — die Gesellschaft akzeptiert es nicht. Ich kann versuchen mich heteronormativ zu vehalten, aber alles hat seine Grenzen. Und dieser Gedankengang führt dazu, dass man auch zum Beispiel über Rassismus oder Sexismus reflektiert.

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Da du dich für diese beiden Themen engagierst, bist du einerseits sichtbar schwul und andererseits sichtbar vegan. Kann man das vergleichen? Es gibt einen wichtigen Unterschied — die Wahl. Vegan lebe ich weil ich mich für andere Lebewesen einsetzen möchte. Aber schwul, das bin ich — Punkt. Das kann ich nicht auswählen.

Ich glaube Veganismus stösst mehr auf Widerstand. Veganismus konfrontiert alle Menschen, Sexualität hingegen nicht. Beim Thema Veganismus trifft es Menschen emotionaler. Es ist aber auch eine Frage der Ideologie. Hinzu kommt das Thema toxische Männlichkeit: Für viele hetero cis Männer ist Veganismus schwul und zeugt von schwacher Männlichkeit. Hier treffen sich Spezismus und Homophobie.

Auf dem Youtube-Kanal «Vegan ist ungesund» hast du Videos zum Thema Veganismus veröffentlicht. Nach mehreren Jahren als Youtuber hast du deine Karriere abgebrochen. Seitdem hast du dich vor allem auf Instagram und auf andere Projekte fokussiert. Vermisst du es? Manchmal schon, ich würde es gerne wieder machen — mit meinen Schwerpunkten. Ich vermisse es über Themen zu sprechen, die mir am Herzen liegen. Wenn man mit anderen Menschen interagiert, kann man etwas bewirken. Das ist ein schönes Gefühl.

Und weshalb startest du nicht einen neuen Youtube-Kanal? Wenn ich darüber nachdenke, löst es momentan Druck in mir aus. Als Youtuber macht man sich so viele Gedanken über Content, Performance und Produktion. In den Sozialen Medien kannst du nicht nur etwas veröffentlichen wenn du Lust hast — du musst liefern. Deshalb verliere ich den Spass.

Momentan bist du auf Instagram sehr aktiv. Wie viel Prozent Aljosha sehen wir dort? Ich versuche so ehrlich wie möglich zu sein, aber über mein Privatleben spreche ich nicht. Ich möchte meine persönlichen Probleme nicht explizit thematisieren oder meinen Freundeskreis reinziehen. Diese Welt kann dich verändern und das möchte ich nicht. Aber es ist nicht alles echt, was man von mir sieht. Instagram ist immer eine Inszenierung. Ich lade zum Beispiel keine Bilder oder Videos hoch, auf denen ich mich hässlich finde — ich stelle mich in ein besseres Licht. So wie RuPaul sagt: We all born naked and the rest is drag.

Wie toxisch ist Instagram? Instagram hat durchaus positive Seiten: Sichtbarkeit, Safe Spaces, Transparenz. Aber gleichzeitig werden Verschwörungsideen, Hass und Diskriminierung verbreitet. Es ist ein toller, aber auch ein toxischer Raum. Wir müssen lernen auf uns zu hören — das ist einfacher gesagt als getan. Meine Bildschirmzeit ist eine Katastrophe und ich weiss selber nicht, wie wir da rauskommen.

Instagram kann sehr aufwändig und stressig sein.  Ich fühle mich oft überfordert und habe Performance-Druck. Wenn ich alle zwei Tage nicht was auf Instagram poste — dann verliere ich Follower*innen. Das sind am Ende nur Zahlen, aber Zahlen sind für mich relevant. Ich lebe davon — das setzt mich unter Druck.

Wir müssen alle versuchen, andere nicht zu beleidigen oder zu verurteilen und respektvoll mit anderen umzugehen.

Manche Menschen sprechen von einer toxischen Cancel Culture, die in diesen sozialen Medien entstanden ist. Was hältst du von dieser sogenannten Cancel Culture? Es gibt eine deutliche Call-out-Culture, das bedeutet: Menschen werden sehr öffentlich an den Pranger gestellt. Wir müssen alle versuchen, andere nicht zu beleidigen oder zu verurteilen und respektvoll mit anderen umzugehen – aber eine Cancel Culture gibt es nicht.

Was ist dann diese Cancel Culture? Ich hasse die Aussage: «Heutzutage kann man gar nichts mehr sagen». Das sagen nur privilegierte Menschen. Diese Menschen haben sich mit vielen Bereichen nie auseinandergesetzt — Bereiche wie Homophobie, Rassismus oder Sexismus. Das sind weisse, hetero, cis Männer, die sich über #Metoo beschweren. Es gibt etliche Beispiele für Männer, die Frauen sexuell misshandelt haben, die immer noch in der Öffentlichkeit sind. Ich kenne keine Menschen, die gecancelt wurden. Abgesehen davon, gibt es Menschen, die gecancelt werden sollten. Menschen, die zum Beispiel sexuelle Gewalt ausüben.

Dann ist die sogenannte Cancel Culture eigentlich eine Art Rebellion der Nicht-Privilegierten? Ja, deshalb müssen wir uns, als betroffene oder als verbündete Person, engagieren — denn nichts ist selbstverständlich. Und ich werde dies weiterhin auf Instagram oder wo auch immer versuchen.

MANNSCHAFT+ sprach auch mit Work-Life-Coach Leni Bolt, Modemeister Jan-Henrik Scheper-­Stuke und Beauty-Guru David Jakobs über Unterschiede und Gemeinsam­keiten von «Queer Eye Germany» mit dem kultigen Originalformat.

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