Die AfD fragt … und danach war es ein Missverständnis?
Ein Gastbeitrag vom Karlsruher Generalintendanten Peter Spuhler darüber, wie die Rechtspopulisten Emotionen schüren
In einer Kleinen Anfrage hat die AfD in Baden-Württemberg gefordert, die Nationalitäten der Balletttänzer*innen und Musiker*innen an staatlichen Theatern und deren Ausbildungsstätten mitzuteilen. Am Badischen Staatstheater in Karlsruhe schreibt man Vielfalt gross, auch was LGBTIQ betrifft. Dort liefen u. a. Falk Richters «Small Town Boy» und ein Stück über queere Flüchtlinge, «Nowhere out», im Oktober wird die Wiederaufnahme von «Hedwig and the Angry Inch» gefeiert. Ein Gastbeitrag von Generalintendant Peter Spuhler über die Methoden der Rechtspopulisten.
Zwei Abgeordnete der AfD im Stuttgarter Landtag machten sich unlängst «Sorgen um die Qualität unseres eigenen» Künstlernachwuchses und stellen deswegen eine Anfrage zu Staatsangehörigkeit und Ausbildungsorten von Bühnenbeschäftigten in Baden-Württemberg. Konkret wollten sie u. a. wissen: Welche Staatsangehörigkeiten die in Baden-Württemberg an staatlichen Theatern beschäftigten Tänzer*innen haben und wo sie ihre Ausbildung erhielten. Identisch formulierte Fragen betrafen Orchestermusiker*innen und die Mitglieder der Opernstudios.
Diese Anfrage alarmierte uns und führte zu Kundgebungen für Vielfalt und Freiheit der Kunst vor den Staatstheatern in Stuttgart und Karlsruhe. Selbst die New York Times berichtete.
Die AfD beharrt darauf, sie sei missverstanden worden. Tatsächlich? Einer der beiden Abgeordneten macht sich an anderer Stelle in einer von ihm herausgegebenen Internet-Postille zeitgleich mit der Anfrage lustig über Frauen in Führungspositionen, partizipative Theaterformen, Gendersternchen, die Me Too Bewegung und vor allem die Internationalität des Badischen Staatstheaters. Ob wir tatsächlich stolz darauf seien, dass aus «45 Ländern Mensch*-innen am Theater arbeiten» und «die deutsche Kultur*-innen unterrepräsentiert ist.»
Von wegen Homosexuelle zählen – AfD verliert vor Gericht
Er schreibt weiter: «Die Arbeit der Alternative für Deutschland im Land und Bund für eine Rückbesinnung auf unsere Kultur und Werte ist notwendiger denn je.»
«Entsiffung des Kulturbetriebs» angekündigt Das ist durchaus ernst zu nehmen. Uns Künstler*innen klingt zudem noch der Satz des AfD-Bundestagsabgeordneten und Vordenkers Marc Jongen im Ohr, der meinte, es wäre ihm eine Freude, die «Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen». Jongen ist als unkündbarer Dozent an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung und ehemaliger Assistent des damaligen Rektors Peter Sloterdijk Mitglied des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs.
Die AfD-Aussagen zwingen regelrecht zu klarer Haltung und Positionierung. Von der Internationalität unserer Kultureinrichtungen hängt deren Qualität ab. Wir wollen die besten Künstler aus aller Welt an unseren Institutionen – und verfahren so schon seit Jahrhunderten. Nicht die Herkunft zählt, sondern allein die Qualität. Kultur baut Brücken: zu anderen Menschenbildern, Erfahrungen, Denkweisen und Ästhetiken. Wer dies nicht versteht, versteht das Wesen von Kunst nicht.
Die oben beschriebene Sorge der beiden Abgeordneten ist gleichermassen vorgeschoben wie unnötig. Das Ziel ist es, einem diffusen Eindruck von Benachteiligung oder Zurücksetzung zu erzeugen und so Emotionen zu schüren. Den erwähnten «eigenen» Künstlernachwuchs gibt es nicht, sondern nur eine Künstlerausbildung, die, so weit es irgend geht, Interessierten aus der ganzen Welt offensteht. Was darüber hinaus unter diesem «Eigenen» zu verstehen wäre, ist diffus gehalten – und das bewusst. Denn Klarheit ist nicht das Ziel, sondern ein waberndes Feld, die Vorstellung, dass etwas vermeintlich verloren geht, das es zu verteidigen gilt.
Freiheit der Kunst ist immer ein Test für die Stabilität der Demokratie Verteidigen müssen wir jedoch etwas ganz anderes: Toleranz, Kunstfreiheit und eine Atmosphäre des offenen und vorurteilsfreien Willkommen-Heissens. Aus zweierlei Gründen: Zum einen, weil wir nur mit Herzlichkeit und Gastfreundschaft die besten Künstler*innen aus aller Welt bei uns werden begrüßen können (Anfragen wie die genannte schaden also bereits durch das erzeugte Gefühl der Unsicherheit und der Nicht-Willkommen-Seins). Zum anderen aber auch, weil die Freiheit der Kunst immer ein Test für die Stabilität der Demokratie ist.
Je freier die Kunst, desto stärker die Demokratie
Je stärker die Einschränkung, desto instabiler die Demokratie, desto diktatorischer das System. Je freier die Kunst, desto stärker die Demokratie. Ich neige wirklich nicht zur Dramatisierung, bin aber fest davon überzeugt, dass man solche Anfragen und die damit verbundene allgemeine Entwicklung außerordentlich ernst nehmen muss und am besten mit einer unmissverständlichen Haltung reagiert.
10 LGBTIQ-Seriencharaktere zum Verlieben
«Dein ist mein ganzes Herz» sang unser neuer thailändischer Tenor Nutthaporn Thamathi – übrigens in brillantem Deutsch bei unserer Kundgebung «Gemeinsam sind wir mehr – schützt die Freiheit und Vielfalt der Kultur» – und er singt es wie Richard Tauber. Tauber, der nicht nur die Operette «Das Land des Lächelns» zur Uraufführung brachte und mir diesem Lied die Welt verzauberte, aber auch wegen seiner jüdischen Abstammung die Heimat verlassen musste. Wir sind stolz über Herrn Thamathi und über alle anderen Menschen aus 45 weiteren Nationen, die bei uns arbeiten. Wenn es irgendwann über 50 sind, würde mich das sehr freuen!
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