«Ähm – ich bin der Samenspender» – TV-Kritik zu «Unser Kind» (ARD)

Bis zur Regenbogenfamilie kann der Weg sehr steinig sein

Bild: WDR / Martin Valentin Menke
Bild: WDR / Martin Valentin Menke

Die Ehe für alle ist da. Eine wirkliche Gleichstellung in Sachen Adoption bedeutet das aber noch nicht. Darauf macht die ARD mit dem ziemlich gelungenen Film «Unser Kind» aufmerksam. Etwas Wichtiges haben die Macherinnen jedoch übersehen

Von Julia Roberts soll der schöne Satz stammen: «Du merkst es ist Liebe, wenn dir das Glück des anderen wichtiger ist als alles. Auch wenn du selbst an diesem Glück nicht teilhaben darfst.» Wow, das Pretty Woman der 80er hat die Masterclass der Liebe erreicht, jubelt die Esoterik-Szene. Klar, schöne Idee. Doch ist Liebe nicht immer auch teilhaben wollen? Wo ist der Punkt, an dem sie kippt, ins rein egoistische Haben müssen? Ein Paradebeispiel dafür, wie schwer diese Fragen immer wieder aufs Neue zu beantworten sind, lieferte die ARD mit ihrem aktuellen Mittwochsfilm „Unser Kind“. Das vorab in vielen Kritiken so hochgelobte Drama (SZ: «Vielschichtig!») brilliert mit einen Reigen durchweg glaubwürdiger Charaktere, von denen jeder kämpft. Zu allererst mit sich selbst.

Die Forschung zeigt: Kindern, die bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, geht es gut

Ellen und Katharina sind ein Frauen-Paar wie im Bilderbuch. Jede der Zwei ist stark, strahlend, liebt, wird geliebt. Katharina als Sängerin eher so mittelerfolgreich, darf man vermuten, Ellen macht Karriere bei einer Behörde. Sichert ab. Berauscht von ihrem Glück rasen sie gemeinsam auf dem Rad Richtung Zukunft. «Ich will ein Kind von dir», flüstert Ellen irgendwann an einem Abend überbordender Liebe. Das große Glück, es springt so hoch, erahnt dabei den ersten, zarten Riss.

Regenbogenfamilie
Regenbogenfamilie

Denn natürlich, Frauenpaare können allein ebenso wenig ein Kind zeugen, wie Männerpaare. Dazu braucht es Hilfe. Und die bietet sich den beiden sogleich unkompliziert an, in Gestalt von Wolfgang, dem Mann von Katharinas pragmatischer Hetero-Freundin. Er sei «gut in Schuss», flachst die, und der von soviel Sachlichkeit stets latent Überforderte fühlt sich geschmeichelt, auch endlich wieder einmal wahrgenommen. Als Mann. Andreas Döhler, der den Wolfgang spielt, gibt mit jedem seiner Blicke mehr Inneres preis als seine Frau in den meisten ihrer wortgewandten Statements. Die Ehe der beiden, das schimmert durch, ist eher geprägt durch strikte Organisation als saugute Orgasmen. Und leider stellt auch die junge Mutter Katharina bald ernüchtert fest, als ihr kleiner Franz auf der Welt ist: «Irgendwie dreht sich alles nur noch um ihn». Kurz danach beendet ein tragischer Unfall ihr Leben.

Väter haben ein Recht auf den Umgang mit ihrem Kind

Mit der Trauer beginnen die Probleme, denn anders als in Hetero-Ehen hat das nicht-leibliche Elternteil kein automatisches Sorgerecht. In dem Film wollen alle plötzlich nur das Beste. Für Franz, sagen sie. Und meinen damit für sich selbst. Ein unwürdiges Zerren beginnt, dem Ellen durch einen Umzug entfliehen will, zusammen mit Franz selbstverständlich. Blöde Idee. Denn der Vater hat, entgegen der Vereinbarung, inzwischen Kontakt zu seinem Sohn aufgenommen. Und sich in ihn «verknallt». Emotionen eben, es wird kompliziert. Nein, Samen wie Gebärmutter sind kein Pfund Zucker, das man sich mal eben ausborgt und dann nicht zurück bringen muss. Hier geht’s um mehr. Kinder haben ein gesetzlich verankertes Recht zu erfahren, wer ihre leibliche Eltern sind. Das gilt im Grundsatz für Mutter wie Vater und für jede nur denkbare Art der Zeugung gleichermaßen. Und Väter haben ein Recht auf den Umgang mit ihrem Kind. Tollpatschig stolpert Wolfgang durch den Hintereingang in den Garten von Katharinas Eltern, die sich ein paar Tage um Franz kümmern, weil Ellen krank ist und nach Katharinas Tod dort auch gar nicht mehr so erwünscht. «Wer sind Sie?», fragt der Großvater baff. Antwort: «Ähm ich – bin der Samenspender». Autsch! Du bist der Vater, möchte man ihn wachrütteln, was – wieder so eine geniale Schönheit dieses Films – ausgerechnet seine Frau später übernimmt. Ohne Eigennutz, rein aus Liebe eben.

«Ich wünsche mir die Welt weiter, bunter, offener!»

Alle kämpfen, alle leiden. Alle wollen die Lücke füllen, die Katharinas Tod ins eigene Leben gerissen hat. Der kleine Franz soll es richten. Auch der spürt sicher die immense Last, eine feste Zugehörigkeit ist schließlich prägend in den ersten Lebensjahren. Bildlich zu Boden gedrückt wird jedoch Ellen. Sie hat ihre große Liebe verloren, muss das selbst gesteckte Ziel berufliche Karriere aufgeben und wird (Achtung: ab hier Spoiler!) letztlich auf höchstrichterliche Anordnung auch noch dazu gezwungen, ihr Kind abzugeben. Als sie mit Franz, eng ans Herz gebunden, vor Vater Wolfgang und dessen Frau steht, ist das der ergreifendste Moment des Filmes. Die Kraft und Einsicht, aus Liebe zum Kind noch ein Stück weiter über sich hinaus zu wachsen, übers Haben- bzw. Behalten wollen, haben die Erschöpften am Ende nicht mehr. Dabei sagt Wolfgangs Frau es doch einmal so herrlich erhellend: «Ich wünsche mir die Welt weiter, bunter, offener!» In diesem erkenntnisreichen Augenblick schimmerte die Regenbogenfamilie bereits durchs Fenster. Vorm Abspann folgt dann aber leider nur ein subtiler Appell pro Gesetzesänderung der Abstammungsregelung. Es ist das einzig Plumpe an diesem ansonsten so herausragenden Film. Auch für die Liebe zu einem Kind gilt letztlich doch: Teilhaben wollen. Nicht haben müssen.

«Unser Kind», noch bis 07.02.2019 zu sehen in der Mediathek von «Das Erste»

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