«Zum Vorlesen muss man kein Hetero sein»

Es kommt aufs Können an!

Symbolbild: Rochelle-Brown/Unsplash
Symbolbild: Rochelle-Brown/Unsplash

Weil die CSU in München gegen Dragqueen-Lesungen Stimmung macht, darf sie nicht bei der Pride mit einem Wagen vertreten sein. Bayerns Konservative geben vor, Kinder schützen zu müssen. Unser Autor versetzt sich in seinem Kommentar* in seine Kindheit zurück.

Ich war kein Kindergartenkind, in meiner Generation, Jahrgang 1957, wurde von den Familien erwartet, dass der Vater arbeiten geht und die Mutter sich um die Gören kümmert. Wir Gören, wie man in Norddeutschland zu Kindern sagt, spielten draussen, oft barfuss – noch öfter mit vielen Schrammen am Körper und Blessuren an den Knien, und zwar nicht, weil der Vater oder die Mutter körperlich züchtigte, das taten sie auch, aber weil ein Kind nicht gleich den Notarzt oder die Hausärztin braucht, wenn es mal hinfällt. Auf diese Umstände führe ich im Übrigen zurück, dass ich kaum unter Allergien oder chronischen Erkältungen leide.



Unsere Generation an Heranwachsenden musste hart im Nehmen sein, und sei es durch uns selbst. Überbehütung war nicht so die Diagnose, die man den Erziehungsstilen unserer Eltern zugeschrieben hätte. Und fast noch für heutige Verhältnisse obszöner – was wir nicht so empfanden: Vorgelesen wurde uns auch nicht. Lesen, das machten wir selbst. Bilderbücher, Erwachsenenillustrierte später, die Bravo natürlich, der Kicker für die Fussballberichte und sowieso jede Menge Bücher, die ich in der Bücherhalle – wie die öffentlichen Bibliotheken bei uns hiessen – auslieh, nachgerade fuderweise.

Ich konnte vom Selberlesen nicht genug kriegen, und das ist, zu meiner eigenen Überraschung bis heute so geblieben. Ich empfinde, ehrlich gestanden, diese Art heutiger Erziehungsmoden, dass nur als gute Eltern gilt, wer seinen oder ihren Kindern vorliest, als befremdlich. Man will doch auch mal was selbst schaffen, oder? Ich konnte mit sieben alles allein entziffern, und das ein grösserer selbstzivilisatorischer als die Kunst, ein Auto zu fahren, die ich erst mit 31 Jahren attestiert bekam.

Jetzt gibt es Meldungen aus Süddeutschland, dass es für die CSU und andere wüterige Konservative einem Untergang des Abendlandes gleichkommt, eine Lesung mit Dragqueen und -king sowie einer trans Person sei ein Skandal. Ich kann aus persönlicher Warte, die davon zehrt, die ersten Dragqueens und trans Männer mit fünf Jahren kennengelernt zu haben, mit grösster Neugier übrigens, nur sagen, dass, wenn es schon um Vorleserinnen geht, es doch auch trans Menschen sein dürfen. Warum so tun, als könnten sie nicht lesen bzw. vorlesen? Natürlich können sie das, ich kann es aus meinem Freund*innenkreis nur bestätigen. Eine trans Freundin kann sogar die letzten drei Spieltage der Bundesliga auswändig herunterbeten: So bekloppt ist sie, was die Lage der Fussball-Ligen anbetrifft. Ich mag das, es ist eine schöne Beklopptheit, die sie kultiviert – und ich hege andere Vorlieben, und die verrate ich erst nächstes Jahr.



Was ich sagen will: Mit der Skandalisierung der vorlesenden trans Personen sind auch schwule Männer (und lesbische Frauen) gemeint, die doch auch nur gelitten sind, wenn sie in den Kindergärten nicht als solche sich kenntlich machen. Das wäre eine Gefahr. Schwule Männer, um aus meiner identitären Welt zu berichten, sind immer noch dämonisiert im Hinblick auf die Betreuung von Kindern. Kindergärtnern, Erzieher, männliche Hortner: Wie auch immer man diese Männer nennt, die mit Hingabe sich um ein Bündel lebendigkeitssehnsüchtiger Jüngstmenschen beruflich kümmern, die sind, auch da spielten die Konservativen eine mehr als nur hässliche Rolle, oft als pädo oder kinderschänderisch potentiell verrufen.

Diese Bilder haben sich gewandelt, und allmählich gibt es sogar Kinder, die sich schwule oder lesbische Vorleser*innen wünschen, weil sie deren Bilder aus Tiktok oder Insta oder aus dem Internet generell kennen und sie interessant finden. Ich darf sagen: Fragten sie mich, müsste ich realistischerweise sagen, dass ich vielleicht gar kein guter Vorleser bin, dass ich falsch betone und dass ich allenfalls geeignet wäre, mit den Kleinen die Geschichten von «Shaun, das Schaf» anzugucken: Dann könnten wir gemeinsam erörtern, was da gerade auf dem Hof des Bauern, mit dem Hund Bizzer, mit Hazel, Shaun & Timmy so passiert ist. Aber vielleicht wäre ich auch für diese gemeinsame Videolektüre zu kindlich erfreut, als dass die Kinder etwas lernen würden.

Was ich ihnen allerdings wirklich gut zeigen kann, sind folgende Dinge: Über Gräben springen mit dem Risiko, in denselben zu fallen, die Klamotten triefnass. Oder auf Bäume klettern … das kann ich auch erklären, wie das so geht, von Ast zu Ast fast bis ganz nach oben. Auf mich wäre Verlass, denn meine beste Freundin Petra, die ebensogut wie ich klettern konnte, ist einmal öfter runtergefallen, aus etwa zwei Meter Höhe. Sie schrie kein bisschen, sie wollte keine, wie sie sagte, «Heulprinzessin» sein.

Vorlesen, das sei der CSU gesagt, hängt nicht an der geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung – sondern am Können, mit viel Gefühl Abenteuergeschichten auszubreiten. Das zu können, dafür muss man kein Hetero sein.



* Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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