Zürich ehrt Ottilie W. Roederstein mit Retrospektive

Sie gilt als eine bedeutendsten Malerinnen ihrer Generation und wichtigste Schweizer Porträtistin der frühen Moderne

Ottilie W. Roederstein.
Ottilie W. Roederstein.

Ottilie W. Roederstein war eine der bedeutendsten Malerinnen ihrer Generation und wichtigste Schweizer Porträtistin der frühen Moderne. Das Kunsthaus Zürich widmet der lesbischen Künstlerin und Frauenrechterin eine Ausstellung.

Ottilie W. Roederstein (1859-1937) und ihre Freundin Elisabeth Winterhalter haben sich ihre Ausbildung und Berufstätigkeit einst zäh erstritten. In Frankfurt/Main waren sie bestens integriert in die führenden Kreise der Bürgergesellschaft. Ihre lesbische Partnerschaft tat dem keinen Abbruch. Die Stadt zeigte sich liberal, wie in der Broschüre «Ottilie W. Roederstein und Elisabeth Winterhalter – Die Frankfurter Jahre 1891–1909» nachzulesen ist. In Hofheim, wo die Frauen später wohnten, wurde Roederstein mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet – als erste Frau.

Ottilie Wilhelmine Roederstein (1859–1937) war zu ihren Lebzeiten die wichtigste Schweizer Malerin. Nicht nur in ihrem Heimatland, auch in Deutschland und Frankreich fand sie grosse Anerkennung für ihre Porträts und Stillleben und stellte ab 1883 ihre Gemälde erfolgreich in Paris, London, Frankfurt am Main und Chicago aus. Als einzige Künstlerin vertrat sie 1912 die Schweiz bei der epochalen «Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes» in Köln – neben männ­lichen Kollegen wie Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti und Cuno Amiet.

Trotz ihrer einst internationalen Wertschätzung ist Roederstein fast unmittelbar nach ihrem Tod in Vergessenheit geraten. Nach über 80 Jahren ist die Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit rund 70 Werken die erste monografische Werkschau in der Schweiz, die das stilistisch vielfältige Œuvre der Künstlerin wieder einem breiten Publikum zugänglich macht.

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Roederstein, die mit dem Kürzel OWR signierte, arbeitete gezielt für den Kunstmarkt, um sich ihren Lebensunterhalt als freischaffende Künstlerin zu verdienen. Sie hielt sich an die für Künstlerinnen vorgesehenen Konventionen. Dies zeigt sich zu Beginn ihrer Karriere durch den Einsatz einer dunkeltonigen Farbpalette sowie durch die Wahl ihrer Bildsujets, den Porträts und Stillleben.

Trotzdem überschritt Roederstein bereits früh das für malende Frauen vor­gesehene Terrain, indem sie sich auch an religiöse Bilder und Akte heranwagte. Angeregt durch die Auseinandersetzung mit Werken der italienischen und deutschen Renaissance, begann sie um 1893 mit der Temperamalerei. Diese im ausgehenden 19. Jahrhundert europaweit wiederbelebte Technik galt als tradi­tionsverbunden und avantgardistisch zugleich. In ihrem reiferen Werk öffnete Roederstein sich zunehmend anderen Strömungen und nahm sowohl impressio­nistische wie auch symbolistische Elemente auf.

In den 1920er-Jahren fand sie zu der ihr eigenen sachlich-nüchternen Bildsprache. Eine grosse Rolle in ihrem Werk spielen ihre zahlreichen Selbstporträts

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Die von Kuratorin Sandra Gianfreda mit einer repräsentativen Auswahl von Gemälden und Zeichnungen konzipierte Ausstellung folgt chronologisch Roedersteins wichtigsten Lebensstationen – Zürich, Paris, Frankfurt am Main und Hofheim am Taunus. Die Schau wird durch bisher unveröffentlichtes Foto- und Archivmaterial bereichert. Das Kunsthaus, welches bereits in den 1890er-Jahren Werke der Künstlerin erwarb und diese bis 1934 in 15 Einzel- und Gruppenausstellungen zeigte, ist mit rund einem Dutzend Werke aus eigenem Bestand vertreten.

Mit Ottilie W. Roederstein widmet sich das Kunsthaus Zürich einer Künstlerin, die eng mit ihm verbunden war. In Zürich von deutschen Eltern geboren, lebte sie nach Ausbildungsstationen in ihrer Heimatstadt, in Berlin und Paris und ab 1891 in Frankfurt am Main. 1909 liess sie sich gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Elisabeth H. Winterhalter, Gynäkologin und die erste deutsche Chirurgin, im ländlichen Hofheim am Taunus nieder. Roederstein und Winterhalter unter­stützten sich gegenseitig. Sie stiessen in traditionell Männern vorbehaltene Disziplinen vor und machten in Kunst und Medizin Karriere.

Sowohl in Deutsch­land als auch in der Schweiz wurde Roederstein eine feste Grösse im Kultur­betrieb. Die vielbeschäftigte Porträtmalerin förderte durch Ankäufe für ihre eigene Sammlung andere Kunstschaffende, unterstützte Ausstellungen mo­derner französischer und Schweizer Kunst und setzte sich für deren Verbreitung in Deutschland und der Schweiz ein. Dem Kunsthaus stiftete sie 1920 Werke aus ihrer Sammlung moderner französischer und Schweizer Kunst und legte damit den Grundstock für eine Abteilung zeitgenössischer Malerei aus Frankreich.

In Erinnerung an Roedersteins künstlerisches Vermächtnis und an ihr uner­müdliches Engagement als Mittlerin zwischen der Schweiz und Deutschland wurden ihr 1938 in Frankfurt, Zürich und Bern Gedenkausstellungen aus­gerichtet. Durch die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und die allgemeine Fokus­sierung des Kunstbetriebs auf abstrakte Malerei geriet Roedersteins Werk jedoch in Vergessenheit.

Nun ist ihr vielfältiges Werk in einer Überblicksausstellung in der Schweiz wiederzuentdecken. Die Retrospektive im Kunsthaus Zürich würdigt Roedersteins beeindruckende Karriere und verortet sie im Kontext ihrer Zeit. Ihre Wiederentdeckung fällt zusammen mit der neuerlichen Erschliessung ihres Nachlasses. Zu den nun belegten Erkenntnissen gehört, dass Ottilie W. Roederstein nicht nur als Malerin, sondern auch als Förderin der Frauenbildung in Erscheinung getreten ist und als Protagonistin in einem weit verzweigten Netzwerk von freigeistigen Kunstschaffenden und Intellektuellen.

Roederstein, die die Schweiz im Ausland oft als einzige Frau neben Hodler, Amiet und Giacometti vertrat, wird vom 18. Dezember bis 5. April 2021 im Kunsthaus Zürich mit einer Retrospektive geehrt. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Städel Museum, Frankfurt am Main.

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