«Wir Schwule müssen wieder vermehrt über Sex sprechen»
Bis 2030 soll die Zahl der Neuansteckungen mit HIV auf null sinken
Es ist nicht immer einfach, im richtigen Moment das Kondom zur Hand zu nehmen.
Florian Vock, Programmleiter bei der Aids-Hilfe Schweiz, fordert Schwule auf, sich im Freundeskreis öfter über individuelle Schutzstrategien beim Sex auszutauschen.
Florian, mit der Kampagne «Fickt euch!» war die Aids-Hilfe Schweiz vermehrt auch online präsent. Was ist dein Fazit? Dass Social-Media-Werbung sehr teuer ist (lacht). Nein, im Ernst: Wir hatten eine sehr gute Resonanz, da es sich nicht nur um eine reine Test-, sondern auch um eine Informationskampagne handelte. Es ging um die Vermittlung von Wissen rund um die Übertragung von HIV. Im Testmonat November konnten wir gegenüber dem Vorjahr rund 30% mehr Tests durchführen.
Eine Zunahme von 30% ist ein beachtlicher Erfolg. Worauf führst du das zurück? Wir haben eine digitalere Kampagne gefahren und verstärkt mit Organisationen zusammengearbeitet, die Einfluss auf weitere Menschen haben. Bei den Jugendorganisationen verfügen wir jetzt beispielsweise über direkte Ansprechpartner*innen, die wir auch in Zukunft gezielt mobilisieren wollen. Ausserdem haben wir Jugendliche bereits in der Planung einbezogen, was eine Kampagne auch bei dieser Zielgruppe viel wirkungsvoller macht.
«Fuck yeah!» oder auf deutsch «Fickt euch!»: Empfand man die Slogans als provozierend? Vereinzelt: Wir haben Kampagnenmaterial an rund 400 Adressen geschickt, da gab es einige Rückmeldungen. Einige sagten uns, dass man unser Poster im Krankenhaus nicht aufhängen könne. Aber damit können wir gut leben. Wir sind froh, wenn unsere Kampagne nicht untergeht und man uns überhaupt wahrnimmt. Und wo es um Sexualität geht, sollten Wörter wie «ficken» möglich sein, auch wenn sie vulgär sein mögen.
Im Rahmen der Kampagne gab es im November HIV-Tests für 10 Franken, die Differenz ging zu Lasten der Aids-Hilfe Schweiz. Ist das kein grosses Verlustgeschäft? Wir kriegen Geld, um ebendiese Arbeit zu leisten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) übernimmt einen grösseren Teil der Kosten, den Rest finanzieren wir über Spendengelder. Damit entschädigen wir auch die Fachstellen für ihre Mindereinnahmen. Ausserdem verhandeln wir ständig mit den Labors, um die Kosten weiter zu senken.
Welche Zielgruppen sind besonders schwierig zu erreichen? Es gibt verschiedene Gruppen – ungeoutet zu sein ist bei weitem einer der wichtigsten Indikatoren. Wer von seiner Sexualität herausgefordert ist, muss sich mit vielen anderen, ebenso wichtigen Fragen beschäftigen als mit Safer Sex. Dann können wir noch so eine gute Kampagne auf die Beine stellen: Für diese Personen ist das nicht die erste Priorität und ich kann das total verstehen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns intensiv mit der Community beschäftigen. Je souveräner und selbstverständlicher die Menschen mit ihrer Sexualität umgehen, desto eher können wir sie auf ihr Test- und Risikoverhalten ansprechen.
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Welche anderen Faktoren gibt es? Armut kann eine Ursache für Risikoverhalten sein, weil man sich einen HIV-Test oder Schutzstrategien nicht leisten kann. Man kann aber auch einfach viel beschäftigt sein und ein HIV-Test fällt immer wieder von der To Do-Liste. Es gibt zahlreiche strukturelle und klassenübergreifende Fragen, aber auch sehr individuelle: Schlussendlich kommt es auch auf die persönliche Motivation an und ob man gerade Nerven hat für einen Test.
Wer auf Analsex verzichtet, muss sich um HIV keine Sorgen machen.
Auf eurem Instagram-Kanal konnte die Community Fragen zu STIs und deren Übertragung beantworten. Geistert noch viel Unwissen herum? Sehr viel, die Hälfte der Fragen wurde falsch beantwortet! Beim Thema HIV haben Leute tendenziell zu viel Angst, andere STIs werden hingegen verharmlost. Das HI-Virus ist ein langsamer, ineffizienter Virus – an der frischen Luft überlebt er nicht lange. Das Risiko ist beim Analverkehr sehr hoch, beim Oralsex oder bei einer Wunde am Finger kann man sich nicht anstecken. Wer auf Analsex verzichtet, muss sich also um HIV keine Sorgen machen. Hingegen denken viele, dass sie damit auch vor anderen STI geschützt sind – das stimmt jedoch nicht. Eine Syphilis kann man sich auch beim Küssen holen.
Vor ein paar Monaten sorgte eine HIV-Ansteckung trotz PrEP für Aufmerksamkeit (MANNSCHAFT berichtete). Hat der Vorfall verunsichert? Nein, die Kommunikation vom Checkpoint Zürich war super: Sie zeigte sehr gut auf, wie sich diese Ansteckung hätte ereignen können. Warum es im konkreten Fall zu einer HIV-Infektion kam, ist noch ungeklärt. Man darf nicht vergessen, dass das Kondom auch nicht immer unfehlbar ist. Selbst wenn man alles richtig macht: Einen garantierten Schutz gibt es nicht. Die PrEP ist wie das Kondom eine äussert sichere Präventionsmethode, beide funktionieren zu fast 100 Prozent. Beides ist sicher genug.
Hat sich die PrEP in der Schweiz etabliert? Die PrEP ist angekommen. Einige tausend Männer nehmen PrEP regelmässig oder bei Bedarf und erhalten dank SwissPrEPared die nötige medizinische Begleitung. Während das Kondom weiterhin eine billige und sehr beliebte Möglichkeit ist, funktioniert es jedoch nicht für alle. Für sie gibt es mit der PrEP eine weitere Schutzoption. Aber auch der Verzicht auf Analverkehr kann manchmal die richtige Möglichkeit sein – das muss jeder Mann für sich selbst entscheiden.
«Die PrEP funktioniert»
Woran müssen wir noch arbeiten? Es wird zu wenig geredet! Wir Schwule müssen wieder vermehrt über Sex sprechen. «Wie schützt du dich vor HIV?» darf und soll man auch im schwulen Freundeskreis fragen. Ich kenne es von mir: Man geht davon aus, dass andere immer alles wissen und sich perfekt schützen. Das stimmt nicht, ist aber auch nicht schlimm. Wem bewusst wird, dass er im entscheidenden Moment das Kondom vergisst, greift vielleicht lieber zu einer PrEP. Dafür ist der Dialog mit Freunden wichtig und richtig! Und wir von der Aids-Hilfe sind dafür da, um korrekte Informationen verfügbar zu machen. In unseren Fachstellen kann man über alles reden.
Wie kommen wir an diejenigen ran, die sich nicht als schwul identifizieren, aber doch Analsex mit Männern und ohne Schutz haben?
Kommen wir dem UNO-Ziel von null Neuinfektionen im Jahr 2030 näher? Ja, wenn unsere Ressourcen grösser werden. Die Finanzierung durch die öffentliche Hand wird schwieriger, und auch Spendengelder werden weniger. Denn HIV ist heute eine unheilbare Infektionskrankheit, aber kein Todesurteil mehr – zum Glück! Aber wenn wir HIV bis 2030 eliminieren wollen, müssen Kantone und Bund jetzt mehr Mittel investieren und nicht weniger. Denn wir müssen intensiver arbeiten, um wirklich alle Menschen zu erreichen, die mehr Informationen brauchen, um sich schützen zu können. Wir erreichen viele Schwule, aber längst nicht alle. Ich denke an die heterosexuellen Männer, die am Wochenende über Planetromeo ein Sexdate abmachen, aber die wir nie antreffen in Fachstellen oder schwulen Events. Wie kommen wir an diejenigen ran, die sich nicht als schwul identifizieren, aber doch Analsex mit Männern und ohne Schutz haben? Und was machen wir mit jenen, die nicht geoutet sind oder viel internalisierte Homophobie mit sich herumtragen und überhaupt keine Nerven haben, sich auch noch mit unseren Präventionsbotschaften auseinanderzusetzen? Da braucht es viel Arbeit. Aber möglich wäre es! Die Schweiz könnte das erste Land der Welt sein, das dieses Ziel erreicht.
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