Wien ehrt Mitgründer der Aids-Hilfe Reinhardt Brandstätter mit Platz

Ein Mann, der in einem kurzen Leben Unglaubliches leistete

Foto: Aids Hilfe Wien
Foto: Aids Hilfe Wien

Einst wäre er vor der Aids-Station fast abgewiesen worden, nun wurde in Wien ein Platz nach ihm benannt: Über das Leben des Arztes und Aktivisten Reinhardt Brandstätter – ein Pionier*innen der österreichischen LGBTIQ-Bewegung.

Von Christian Höller

Seit Anfang Dezember gibt es in Wien den Reinhardt-Brandstätter-Platz. Dort befindet sich in einem grauem Gebäude die Wiener Aids-Hilfe. Brandstätter war einer der Pionier*innen der österreichischen LGBTIQ-Bewegung und Gründungsmitglied der Österreichischen Aids-Hilfe. Er hätte in diesem Jahr seinen 70. Geburstag gefeiert. Doch Brandstätter wurde nur 40 Jahre alt. Er verstarb 1992 nach langer Krankheit an den Folgen von HIV und Aids. Umso bewundernswerter ist es, wie viele Meilensteine er in seinem kurzem Leben für die österreichische LGBTIQ-Community setzen konnte. Zum Gedenken an ihn trafen sich vergangene Woche viele Ehrengäste und Vertreter*innen der LGBTIQ-Bewegung an dem Platz, der nach ihm benannt wurde. Anwesend war auch Kurt Krickler, der langjährige Partner von Brandstätter und frühere Generalsekretär der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien.

Mit der Platzbenennung setzt die Stadt Wien ihre Bemühungen fort, prominente Vertreter*innen der LGBTIQ-Bewegung ein Denkmal zu würdigen. Im Frühjahr 2022 wurde im fünften Wiener Gemeindebezirk ein Platz nach Helga Pankratz benannt (MANNSCHAFT berichtete). Pankratz war 1981 an der Gründung der ersten Lesbengruppe in der Hosi Wien beteiligt. Im Bezirksparlament hatte nur die rechtsgerichtete Freiheitliche Partei (FPÖ) gegen die Ehrung von Pankratz gestimmt.

Die Lebensgeschichten von Pankratz und Brandstätter zeigen, mit welchen Schwierigkeiten LGBTIQ-Personen noch vor nicht allzu langer Zeit in Österreich zu kämpfen hatten. Brandstätter war einst einer der bekanntesten Schwulen in der Alpenprepublik. Seine Auftritte in Radio- und Fersehsendungen waren legendär. Alleine im «Club 2» – früher die wichtigste Diskussionssendung im österreichischen Fernsehen – wurde er viermal eingeladen. Seine Bedeutung für die LGBTIQ-Community zeigt sich daran, dass er viele Jahre lang HOSI-Obmann war – die erste queere Organiation Österreichs, deren Arbeit von Brandstätter ein Jahrzehnt lang geprägt wurde. Gleichzeitig hat er als Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer der Österreichischen Aids-Hilfe in der Alpenrepublik entscheidende Fundamente im Kampf gegen HIV und Aids gelegt.



Brandstätter wurde 1952 in Linz geboren. Er war Mediziner und scheute sich nicht davor, lautstark seine Meinung zu sagen. In den Jahren 1986/1987 wurden beispielsweise in Wiener Spitälern im Zuge von Massentests 180’000 Patient*innen ohne deren Wissen und alle Bewerber*innen für Jobs bei der Stadt Wien nach HIV getestet. Eine solche Aktion wäre heute unvorstellbar. Brandstätter übte massive Kritik, als die Massentests bekannt wurden. Berührend sind auch seine Worte in der Informationsbroschüre aus dem Jahr 1983 – es war in Europa die erste Informationsbroschüre zum Thema Aids. Hier trat er entschieden gegen das Schüren von Ängsten auf. Seinen Worten zufolge seien «Angst und Panik oder übertriebene Reduzierung der Sexualität oder Sexualfeindlichkeit» keine geeigneten Mittel für die Bekämpfung von HIV und Aids.

Brandstätter rief in diesem Zusammenhang gleichgeschlechtlich liebende Menschen auf, keine Angst zu haben: «Angst ist eine der körperliche Gleichgewicht zerstörende Grösse. Und Angst ergreift den umso eher und umso mehr, der mit Schuldgefühlen lebt, etwa wegen seiner Homosexualität, und dem Selbstunterdrückung nicht fremd ist.» Die Antwort darauf müsse daher laut Brandstätter «unsere persönliche Emanzipation sein, unsere Selbstakzeptierung als Homosexuelle und das bewusste Leben unserer Homosexualität».

Der Aktivist initiierte die erste grössere Studie in Europa über die Prävalenz von HIV-Antikörpern bei schwulen Männern. Sein unermüdlicher Einsatz wurde auch von Medien gewürdigt. Das Monatsmagazin Wiener wählte Brandstätter im März 1987 zum «Wiener des Monats» und schrieb, dass es im Kampf gegen Aids zwei Möglichkeiten gebe: «Mit Hirn. Mit Herz. Oder mit beidem. Reinhardt Brandstätter (…) hat das Medizinerherz nicht im Wartezimmer abgegeben und den Verstand an die pharmazeutische Industrie verauft.» Brandstätter sei, so das Magazin, «zum starken und integren Rückgrat inmitten einer verwaschenen, verwirrenden, verhetzenden Anti-Aids-Front geworden». Das Magazin forderte ihn auf, nicht aufzugeben: «Reinhardt, behalten Sie die Nerven. Wenn selbsternannte Retter des Abendlandes zukünftigen Aids-Ghettos das Wort reden, brauchen wir Menschen Ihres Schlages.»



Tatsächlich musste Brandstätter bei der Gründung der Österreichischen Aids-Hilfe gegen immense gesellschaftliche und politische Widerstände ankämpfen. Später würdigte sogar die Weltgesundheitsorganisation die Tätigkeit der Aids-Hilfe.

Reinhardt Brandstätter
Reinhardt Brandstätter

Auch Brandstätter erkrankte an Aids. Wie schwierig damals die Situation für Aids-Patient*innen in Wien war, schildert sein langjähriger Partner Kurt Krickler in den Lambda-Nachrichten, der Zeitschrift der HOSI Wien: «Reinhardt ging es wieder einmal sehr schlecht. Ich brachte ihn auf die AIDS-Ambulanz auf der Baumgartner Höhe.» Doch damals kämpften die Aids-Stationen in Wien an akutem Personalmangel und waren sogar von Schliessung bedroht.

«Man wollte uns allen Ernstes wieder heimschicken», schrieb Krickler: «Reinhardt war zu schwach, um aufzustehen und aufs Klo zu gehen. Er lag da im Wintermatel auf einer Krankenliege am Gang der Ambulanz und machte sich in die Hose.» Er, so Krickler, sei über die Abweisung so wütend gewesen, dass er in das Büro des obersten Arztes gestürmt sei «und dort einen, wie ich fürchte, eher unhöflichen Auftritt hatte». Dies habe gewirkt. Sein Partner wurde in die Aids-Station aufgenommen.

Der Kampf gegen Aids gehe auch 2022 weiter, wie Stefan Dobias, Vorsitzende der Aids-Hilfe Wien betont. Mit der Benennung des Platzes nach Brandsätter «wollen wir nicht nur Reinhardt Brandstätter und seine herausragenden Verdienste würdigen, sondern nach aussen ein Zeichen setzen, dass auch heute noch dringend Handlungsbedarf rund um sexuelle Gesundheit und gegen die Diskriminierung marginalisierter Personengruppen besteht.»

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