Was ist mit #BlackLivesMatter im Schwulenporno?

Pornodarsteller Race Cooper hat mit einer öffentlichen Anklage der schwulen Pornoindustrie und einiger prominenter Vertreter «Schockwellen in der Gay Community» ausgelöst

Fitnessmodel und Pornodarsteller Race Cooper bei einem Strassenfestival (Foto: Always Behind The Lens / Wikipedia)
Fitnessmodel und Pornodarsteller Race Cooper bei einem Strassenfestival (Foto: Always Behind The Lens / Wikipedia)

Der schwarze schwule Pornostar Race Cooper hat jüngst beim «Blackout Tuesday» mit einem Instagram-Post den Rassismus in der US-Sexindustrie angeprangert und damit (in seinen eigenen rückblickenden Worten) «Schockwellen in der Gay Community» ausgelöst. Cooper fordert einen #BlackLivesMatter-Wandel im Schwulenporno und ein Ende von rassistischer Ausgrenzung und Fetischisierung.

Kurzer Rückblick: Am sogenannten «Blackout Tuesday» haben viele Instagram-User komplett schwarze Flächen gepostet, um ihre Unterstützung der Anti-Rassismus-Bewegung im Zusammenhang mit George Floyd und weltweiten Protesten zu signalisieren. Darunter waren auch viele populäre Pornodarsteller wie z. B. Calvin Banks, der u. a. Videos postete von seiner Teilnahme an Protesten in Los Angeles.

Auch bekannte Pornostudios wie Falcon und Naked Sword posteten unter dem #BlackLivesMatter-Hashtag Botschaften, dass aktuell «nicht die Zeit zum Schweigen» sei, sondern dass auch sie entsetzt über den Mord («brutal murder») an George Floyd seien und ihre Solidarität mit der Schwarzencommuty ausdrücken wollten – verbunden mit der Forderung, dass «struktureller Rassismus» stoppen müsse und sie sich als Studios dazu verpflichten würden, alle Schritte zu unternehmen, um das durchzusetzen.

Alles Lüge! Das ehemalige Exklusivmodell Race Cooper – der für diese, wie andere Studios auch als Besetzungschef gearbeitet hatte – re-postete diese Falcon/Naked-Sword-Botschaft mit den Riesenbuchstaben: «Lügen!»

Verbunden war sein Post mit einer langen Nachricht, in der von Cooper speziell Steve Cruz, Adam Robinson und Tim Valenti bei Falcon/Naked Sword hervorgehoben wurden mit dem Hinweis, dass ihre Black-Lives-Matter-Aktivitäten nur Blendwerk seien.

«Zählt mal die schwarzen, asiatischen oder Latino-Models auf einer beliebigen Pornowebseite. Geht mal zu Pornhub und zählt, wie viele BBC [Big Black Cock, Anm.] Thug-Videos es da gibt, wobei BBC ein rassistischer Fetischbegriff ist, der weit verbreitet ist», schreibt Cooper. «Ich habe selbst hautnah strukturellen Rassismus als Darsteller und Produzent in der Pornoindustrie erlebt. Schon in den Bewerbungsunterlagen werden weisse Darsteller gefragt, mit welchen ethnischen Gruppen sie keinen Sex haben wollen. Sex, für den Schwarze weniger Geld bekommen, mit Handlungsabläufen, bei denen schwarze Männer immer wieder stereotype unterwürfige dumme Gangster spielen müssen mit grossen Schwänzen.»

Ehrliche Solidarität Coopers findet, dass er und viele andere zu lange geschwiegen hätten. Er fordert nun: «Ich will, dass alle Pornostudios ihren eigenen Rassismus unter die Lupe nehmen, statt ihn zu verteidigen oder zu verzerren. Sie sollten darüber nachdenken, was sie tun. Erst dann können sie etwas verändern. Und erst dann können sie ehrlich sagen, dass sie solidarisch mit schwarzen Communities sind.»

Nach Kritik – Grindr löscht den «Ethnien»-Filter

Cooper endete seine Anklage mit dem Hashtag #gaypornisracist. Und er verwies auch daran, dass Chuck Holmes, der Gründer von Falcon Studios, einer der grössten Rassisten aller Zeiten gewesen sei – weil er in seinen Filmen der 1980er-Jahre fast ausschliesslich weisse blonde Surfer-Typen beschäftigt habe, die den Look von Falcon bis heute bestimmen. Der Name Chuck Holmes steht heute auf dem LGBTIQ-Zentrum in San Francisco, weil der an Aids verstorbene Holmes sein Geld diesem Zentrum hinterliess. Laut Cooper gehöre diese Blonder-Surfboy-Ästhetik zu den Grundpfeilern der gesamten Branche. Und seiner Meinung nach müsse diese Branche endlich aufhören,  «rassistische Darsteller wie Sargent Miles, Billy Santoro und Austin Wolff» zu beschäftigen. Ausserdem müssten mehr «schwarze und braune Menschen vor und hinter der Kamera angestellt werden». Hashtag #TakeAction.

Die Branche müsse endlich aufhören, rassistische Darsteller wie Sargent Miles, Billy Santoro und Austin Wolff zu beschäftigen

Cooper widmete sich diesem Thema auch in einem zweiteiligen «Daddy Issues»-Podcast, der diese Woche online ging. Und er gab verschiedene Interviews, weil das Thema Rassismus in der Gay Community (sowie überhaupt der LGBTIQ-Szene) hochaktuell ist.

Fetischisierung ist entwürdigend So sagte er beispielsweise in einem dieser Interviews: «Diese Fetischisierung von schwarzen Männern ist entwürdigend innerhalb der Branche, und die Folgen für die Darsteller sind massiv. Wenn man eine Person fetischisiert, dann entmenschlicht man sie zu einem Gegenstand. (…) Wenn dein Fetisch ein austauschbarer Schwarzer ist, dann nimmst du die menschliche Komponente raus und reduziert den anderen auf seine Hautfarbe.»

Laut Cooper würde speziell in den BBC-Filmen ein «menschliches Wesen mit einer Seele» zu einem «schwarzen Dildo» gemacht, den man «kaufen und besitzen» könne und dann «unterm Bett versteckt, bis man mal wieder geil und einsam» sei.

Diese Vorwürfe sind nicht neu, sie sind nur im aktuellen Kontext besonders brisant und finden deshalb besonders viel Gehör.

«Während Black Lives Matter sich vor allem mit Polizeigewalt auseinandersetzt», so Cooper, «müssen wir auch diskutieren, wie wir unsere schwarzen Brüder, Schwestern und Cousinen sexuell betrachten und mit ihnen interagieren».

Wir können nicht behaupten, dass wir mitfühlen, wenn Schwarze auf der Strasse getötet werden, wenn wir sie im Bett nicht anders behandeln

In Coopers Worten reiche es nicht, sich für Schwarze in der Öffentlichkeit einzusetzen, sie aber dann «zu Objekten zu reduzieren», wenn man wieder zuhause sei. «Wir können nicht behaupten, dass wir mitfühlen, wenn Schwarze auf der Strasse getötet werden, wenn wir sie im Bett nicht anders behandeln.»

Coopers Botschaft lautet: «Rassismus nimmt viele Formen an, unsere Vorstellung von Rassismus und Sex muss sich ändern!»

Race Cooper
Race Cooper

Pornos als Spiegel der Gesellschaft Schon vor Jahren hatte JC Adams von Gay Porn Times gesagt, dass «Pornos ein interessanter Spiegel dessen sind, was in unserer Gesellschaft passiert». Laura Kipnis nennt Pornos in ihrem Buch «Bound and Gagged» einen «wesentlichen Ausdruck unserer aktuellen nationalen Kultur» – im Zentrum aller Pornos stehe die Frage der erotischen «Fantasie» und von deren «sozialer Bedeutung». Laut Kipnis seien Pornos nur deshalb so populär, weil sie einen Weg finden, das zu zeigen, «was ihr Publikum wichtig findet»: «Pornos sprechen zu ihrem jeweiligen Publikum, weil sie absolut klar zeigen, wer wir hinter unserer gesellschaftlichen Fassade sind.»

So einfach, wie Race Cooper den Sachverhalt darstellt, ist er nicht. Wäre die schwule Pornobranche moralisch «besser», wenn mehr Schwarze vor und hinter der Kamera Jobs bekämen und wenn man sie nicht nur in stereotypen Rollen zu sehen bekäme? Wenn man sie nicht auf einen BBC-Fetisch reduzieren würde? Bedient die Pornobranche nicht in allen Bereichen Stereotype und Fetische? War ein weisser Gay-for-Pay-Star wie Jeff Stryker jemals mehr als sein eigener Dildo? (Stryker ist aktuell in der Netflix-Doku «Circus of Books» zu sehen, wie er eine Puppenversion von sich selbst mit Riesenschwarz in der Hand hält und darüber lacht, MANNSCHAFT berichtete.)

«Circus of Books»
«Circus of Books»

Sind die weissen blonden Surfer, die man in vielen Schulenpornos der 1970er- und 80er-Jahre sieht, bei Falcon und anderen Studios, nicht auch ein Fetisch, bei dem reale Menschen zu mehr oder weniger seelenlosen Objekten «degradiert» wurden? Und wenn Race Cooper, der sich auf Instagram als «Exercise Enthusiast» und «Fitness Model» beschreibt, wenn also dieser Cooper als Besetzungschef bei grösseren Pornostudios tätig war: Wie oft hat er sich dafür eingesetzt, dass «ältere» und «dickere» und womöglich «behinderte» Menschen eine Chance vor seiner Kamera oder mit ihm als Sexpartner bekamen? Sucht er selbst nach entsprechenden Pornhub-Filmen, wenn er sich einen runterholt? (Letztlich der perfekte Diversity-Selbsttest.)

Sucht er selbst nach entsprechenden Pornhub-Filmen, wenn er sich einen runterholt?

Ist es unfair danach zu fragen? Ist das nur ein Ablenkungsmanöver, um unbequemen Diskussionen aus dem Weg zu gehen und möglicherweise den eigenen sexuellen Rassismus nicht kritisch zu durchleuchten?

Cancel Culture greift zu kurz Die Frage, wo Ausgrenzung anfängt (und aufhört) ist kompliziert, darauf gibt es keine stromlinienförmigen Antworten, wie Race Cooper suggeriert, indem er Namen nennt, die er im Sinn der «Cancel Culture» aus der Branche entfernt wissen will.

«Cancel Culture»: Ein «Fehltritt» und du bist raus

Die Branche – die es als Gesamtpaket sowieso nicht mehr gibt, sondern nur in tausenden von Nischenprodukten – hat längst Gegenbewegungen entstehen lassen zu vielen sexuellen Stereotypen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Nach den endlosen Twink-Filmen, in denen junge schmächtige Männer immerzu den passiven Part gegenüber einem «Daddy»-Typ übernehmen mussten, gibt’s jetzt eine Seite mit Titel «Twink Tops», während der hyper-fitte Cooper seinen eigenen Podcast «Daddy Issues» nennt und damit recht eindeutig auf einen Fetisch anspielt. (Er meint damit sicherlich nur begrenzt, dass er ein «Hundevater» ist, also Besitzer eines Vierbeiners.)

Und trotz der anhaltenden Popularität des Suchbegriffs «BBC» gibt es unendlich viele andere Arten von Pornos, in denen nicht nur schwarze Gangster-Charaktere vorkommen. Es gab pornografisch gesprochen noch nie zuvor so viel Sichtbarkeit für jede mögliche Form von LGBTIQ. Wenn Race Cooper sich ausschliesslich auf etablierte Studios wie Falcon, Naked Sword und Raging Stallion fokussiert, ignoriert er extrem viele alternative Angebote, die bereits versuchen, gegenzusteuern, mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Legendärer schwuler Pornograf William Higgins gestorben

Letztlich werden heutzutage die College Boys bei Corbin Fisher oder die Bel-Ami-Jungs auch reduziert zu einem Stereotyp, von «Hairy Arabs» bis zu «Skinhead Germans» mal ganz zu schweigen. Sind solche Filme repräsentativ für alle arabischstämmigen Menschen oder Deutschen? (Wohl kaum.) Eine Diskussion darüber, wie wir damit umgehen wollen, lohnt. Wie vielschichtig und widersprüchlich das Gesamtthema ist, hat vorm Corona-Lockdown der Dramatiker Jeremy O. Harris mit seinem Broadway-Erfolgsstück «Slave Play» demonstriert (MANNSCHAFT berichtete). Und Polittunte Patsy l’Amour laLove fragte erst kürzlich im Buch «Irrwege» in einem Essay «Kann Begehren diskriminierend sein?» (MANNSCHAFT berichtete auch hierüber).

Die Diskussion darüber fängt gerade erst an bzw. ist soeben in die nächste Runde gegangen.

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