Ungarns Anti-LGBTIQ-Gesetz kommt vor den Europäischen Gerichtshof
Wird das Gesetz für nichtig erklärt?
Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich mit dem ungarischen Gesetz gegen «LGBTIQ-Propaganda», wie die ungarische Zeitung Nepszava berichtet.
Das Gesetz verstosse gegen die Menschenwürde, die Meinungs- und Informationsfreiheit und gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Nichtdiskriminierung. Die Brüsseler Behörde leitete im Juli 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren ein, das nun in ein Gerichtsverfahren mündet. Laut der europäischen LGBTIQ-Organisation Forbidden Colours kommt diese Ankündigung «keine Sekunde zu spät».
Im Juni letzten Jahres kündigte die ungarische Regierung die Einführung des Anti-LGBTIQ-Propagandagesetzes an (MANNSCHAFT berichtete). Das Gesetz verbietet jegliche Erwähnung von LGBTIQ gegenüber Minderjährigen. Ein Referendum im April, mit dem sich die Regierung von Viktor Orbán die Zustimmung des Volkes sichern wollte, scheiterte jedoch (MANNSCHAFT berichtete).
Ein ähnliches Gesetz, das 2013 in Russland eingeführt wurde, nahm der dortigen LGBTIQ-Community die Bürgerrechte (MANNSCHAFT berichtete). Der Europäische Rat hat viel Druck auf die ungarische Regierung ausgeübt, aber das Gesetz wurde nicht abgeschafft.
Rémy Bonny, Direktor von Forbidden Colours, erklärt: «Ungarns Anti-LGBTIQ-Gesetz hat ein Ziel: die Community zum Schweigen zu bringen. Orbán wählt Putins Drehbuch. Ein Jahr nach der Einführung des Gesetzes verklagt die Europäische Kommission Ungarn endlich vor Gericht Gemeinschaft ist ein fester Bestandteil europäischer Werte und Normen. Damit ist nicht zu spassen. Wenn Orbán Moskau Brüssel vorzieht, sollte er es seinen Bürgern sagen.»
Forbidden Colors hatte im Juni 2021über das Anti-LGBTIQ-Gesetz berichtet und setzt sich nach eigenen Angaben entschieden dagegen ein. «Die Anwälte sind sich einig: Das Gesetz verstösst gegen mehrere EU-Gesetze. Daher sind wir sicher, dass der Europäische Gerichtshof dieses Gesetz für nichtig erklären wird. Wenn Ungarn sich weigert, das Gesetz abzuschaffen, können sehr hohe Geldstrafen verhängt werden», so Bonny.
Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz Ohnehin ist der Rechtsstaat in Ländern wie Ungarn nach einer Analyse der EU-Kommission akut in Gefahr. Die für die Einhaltung von EU-Standards zuständige Behörde stellte beiden Ländern am Mittwoch verheerende Zeugnisse aus. Sie meldet etwa Bedenken mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz an, sieht die Medienvielfalt in Gefahr und hält den Kampf gegen Korruption für unzureichend. Deutschland steht grundsätzlich gut da, doch sieht die EU-Kommission auch dort Verbesserungsbedarf.
EU-Kommissionsvize Vera Jourova verwies darauf, dass die Situation in der EU auch wegen der Aussenwirkung problematisch ist. Die EU sei mit ihren Bemühungen, den Rechtsstaat in der von Russland angegriffenen Ukraine zu verteidigen, nur dann glaubwürdig, wenn das eigene Haus in Ordnung sei, sagte sie. Doch davon sind etliche Länder teils weit entfernt. Jourova zufolge gibt es vor allem mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz Bedenken.
Klientelismus, Günstlings- und Vetternwirtschaft in Ungarn In Ungarn sieht die EU-Kommission weiter erhebliche Probleme. Zuvor geäusserte Bedenken mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz seien nicht ausgeräumt worden. Unzulänglichkeiten bestünden nach wie vor mit Blick auf Lobbyismus, den Wechsel von Politikern in die Wirtschaft sowie die Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Unabhängige Kontrollmechanismen reichten weiter nicht aus, um Korruption aufzudecken. Die Rede ist von «einem Umfeld, in dem die Risiken von Klientelismus, Günstlings- und Vetternwirtschaft in der hochrangigen öffentlichen Verwaltung nicht angegangen werden».
Weiter flössen grosse Teile staatlicher Werbung in regierungsnahe Medien. Zudem wirft die EU-Kommission der Regierung von Viktor Orbán vor, von ihren Befugnissen während des Corona-Notstands «ausgiebig Gebrauch» gemacht zu haben – auch in Bereichen, die nicht in Zusammenhang mit der Pandemie stehen.
Ungarn gehört seit Jahren zu den Rechtsstaat-Sorgenkindern in der EU. Wegen mutmasslicher Missachtung von EU-Grundwerten läuft ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen das Land. Zudem hat die EU-Kommission den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn ausgelöst, durch den die Kürzung von EU-Mitteln droht. (mit dpa)
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