Trans Gewichtheberin Laurel Hubbard: «Will nur ich sein»

Die Belgierin Anna Van Bellinghen, die in derselben Gewichtsklasse startet, spricht von einem «schlechten Witz»

Die neuseeländische Gewichtheberin Laurel Hubbard tritt beim Reissen bei den Commonwealth Games 2018 in Australien an. (Foto: Mark Schiefelbein/AP/dpa)
Die neuseeländische Gewichtheberin Laurel Hubbard tritt beim Reissen bei den Commonwealth Games 2018 in Australien an. (Foto: Mark Schiefelbein/AP/dpa)

Laurel Hubbard ist ein grosses Gesprächsthema bei den Sommerspielen in Tokio. Die Gewichtheberin aus Neuseeland ist laut IOC die erste Athletin bei Olympia, die offen ihre Geschlechtsidentität angepasst hat. Ihre Teilnahme ist aber auch ein Streitfall. Von Martin Moravec und Christian Hollmann, dpa

Laurel Hubbard fühlt sich angekommen. Die Gewichtheberin aus Neuseeland hat dafür Jahrzehnte gebraucht. «Ich bin, wer ich bin. Ich bin nicht da, um die Welt zu verändern. Ich will nur ich sein und das machen, was ich mache», sagte Hubbard Ende 2017 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ihres Heimatlandes in einem ihrer seltenen Interviews.

Warum ihre Aussagen so besonders sind? Hubbard lebte nach ihrer Geburt 35 Jahre lang mit einer männlichen Zuschreibung. Sie ist aber Transgender, also eine Person, die sich mit dem Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugeschrieben wurde, nicht zugehörig fühlt

Hubbard ist heute 43 Jahre alt. Bei Olympia in Tokio ist sie die erste Athletin, die offen ihre Geschlechtsidentität angepasst hat. Und ihre Teilnahme sorgt auch für Streit.

Für das Internationale Olympische Komitee (IOC) um Präsident Thomas Bach ist ihr Start ein Zeichen der Offenheit und Inklusion. Was aber sagt die Konkurrenz, wenn es am Montag in den Zweikampf aus Reissen und Stossen in der Gewichtsklasse über 87 Kilogramm geht? Ist Hubbard, die definitiv Aussichten auf eine Medaille hat, nicht vielleicht sogar im Vorteil? Im Hochleistungssport geht es ja schliesslich um den Vergleich der Leistungen.

«Ich verstehe, dass für Sportbehörden nichts so einfach ist, wie dem gesunden Menschenverstand zu folgen, und dass es bei der Untersuchung eines so seltenen Phänomens viele Unwägbarkeiten gibt. Aber für die Sportler fühlt sich das Ganze wie ein schlechter Witz an», sagte die Belgierin Anna Van Bellinghen, die in Hubbards Gewichtsklasse startet, vor Kurzem dem Portal insidethegames.com.

Van Bellinghen betonte, dass sie die trans Gemeinschaft voll unterstütze und nicht die Identität von Athleten ablehne. «Jeder, der Gewichtheben auf hohem Niveau trainiert hat, weiss jedoch ganz genau, dass diese besondere Situation für den Sport und die Athleten unfair ist», befand sie weiter. Wie stark darf eine Frau nun sein?

Ein rechtlicher Rahmen für die Teilnahme von trans Athlet*innen sei sehr schwierig, «da es eine unendliche Vielfalt an Situationen» gebe, sagte Van Bellinghen weiter. Und es sei ohnehin wahrscheinlich unmöglich, «eine völlig zufriedenstellende Lösung zu finden, egal von welcher Seite der Debatte.»

Wie sieht denn der rechtliche Rahmen im Fall Hubbard aus? Das IOC schreibt vor, dass das Testosteronniveau einer zur Frau erklärten Person vor dem Wettkampf für mindestens zwölf Monate bei höchstens 10 Nanomol pro Liter Blut liegen darf. Der Leichtathletik-Weltverband hat einen anderen Wert ausgegeben, und dieser liegt bei gerade mal der Hälfte, also fünf Nanomol.

Sabine Kusterer ist Gewichtheberin in der Gewichtsklasse bis 59 Kilogramm und wurde Zehnte in Tokio. Sie ist auch Gleichstellungsbeauftragte im Bundesverband Deutscher Gewichtheber. «Sie tut mir ein bisschen leid, dass sie die Spiele nicht so geniessen kann, wie sie es verdient hätte», sagte Kusterer der Deutschen Presse-Agentur zur Debatte über Hubbard, die zumindest entfernt an die Diskussion um Doppel-Olympiasiegerin Caster Semenya erinnert, die intersexuelle Anlagen hat.

«Im Prinzip halte ich es für ein positives Zeichen. Es ist schwierig, ob die Fairness im Sport gegeben ist, da sie schon eine Frau fortgeschrittenen Alters ist», erläuterte Kusterer weiter. «Das spricht schon dafür, dass sie einen Vorteil hat, aber ich bin eher dafür, dass sie irgendwie startet, weil es sonst Diskriminierung wäre. Da sollte der Sport auf keinen Fall einen Riegel vorschieben, sondern eine Lösung finden, sodass alle Parteien glücklich sind.»

Kann man denn alle Parteien zufrieden stellen? Das IOC hat den Weg für Transgender-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer schon vor Jahren geebnet. Ein neuer Rahmen für den Umgang mit Trans-Personen kommt innerhalb der nächsten zwei Monate, daran sollen sich die Einzelverbände dann orientieren.

Die Konkurrenz dürfte indes auf die blossen Zahlen schauen. Vor ihrer Geschlechtsanpassung schaffte Hubbard 1998 eine Zweikampf-Bestleistung von 300 Kilogramm, 2019 wies sie eine Zweikampf-Bestleistung von immer noch 285 Kilogramm auf.

«Laurel Hubbard ist eine Frau und hat sich unter den Bedingungen des IWF (Weltverband der Gewichtheber) qualifiziert. Wir müssen ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit würdigen, dass sie tatsächlich an den Wettkämpfen teilgenommen und sich für die Spiele qualifiziert hat», sagte in Tokio IOC-Chefarzt Richard Budgett und verwies auf die künftigen Richtlinien.

Die Aufmerksamkeit bei Hubbards erstem Olympia-Auftritt wird gross sein. Das Scheinwerferlicht sucht sie nicht, schon gar nicht möchte sie als Vorreiterin wahrgenommen werden oder irgendjemanden bekehren. «Ich glaube nicht, dass ich mutiger als andere bin», sagte Hubbard, die sich kurz vor ihrem Start noch beim IOC für dessen Engagement bedankte. «Ich bin nur ich.»

Das könnte dich auch interessieren