«Wenn ich in Drag auf der Kanzel stehe, spreche ich den Segen»
Als Ari sich vor seiner einstigen Gemeinde outete, verlor er seine Anstellung
Ari ist Make-up-Artist und angehender Theologe. Der lange Weg seiner Transition hat ihn gestärkt und ihm Mut gegeben. Seine Geschichte ist inspirierend und zeigt, wie wichtig es ist, dem eigenen Herzen zu folgen.
Auf den ersten Blick wirkt Ari sehr ausgeglichen. Er strahlt eine Ruhe aus, die beneidenswert ist. Ari hat eine Agenda, die bis zum Bersten vollgestopft ist mit Terminen. Und jetzt hat er sich Zeit genommen, um MANNSCHAFT einen Einblick in seine Lebensgeschichte zu geben. Denn die hat es, im wahrsten Sinne des Wortes, in sich.
Und nun zu Ari: Er ist trans und schwul, Vater zweier Kinder, ausgebildeter Make up-Artist, angehender Theologe, und am Wochenende kann man ihn auf der Bühne bewundern. Doch der Reihe nach.
Er kam als Mädchen zur Welt, mit einer deutschen Mutter und einem amerikanischen Vater, der afro-indigene und karibische Wurzeln hat. Der heute 47jährige ist weiblich sozialisiert in einer kleinen Stadt in Hessen aufgewachsen und hatte schon, sowohl in seiner Kindheit als auch in späteren Jahren, die bittere Erfahrung machen müssen, dass Menschen mit einem BIPoC-Hintergrund durchaus auf Ablehnung stossen können (MANNSCHAFT berichtete).
Und schon in seiner frühen Jugendzeit spürte er, dass er damals Mädchen interessanter fand als Jungs. Doch ein Coming-out kam für ihn nicht in Frage, denn Religion war, vor allem für seine Mutter, ein grosses und wichtiges Thema.
So kam es, dass er, damals noch als junge Frau, einen Mann heiratete, und zeitgleich ein Bachelor-Studium in Theologie begann. Schon kurz darauf wurde Ari schwanger. Nach Beendigung seines Studiums trat er eine Stelle als Prediger in einer Freikirche an. Und dann kam der Tag, an dem sich seine Seele lautstark meldete. Das, was er jahrelang erfolgreich verdrängt hatte, rückte mehr und mehr in den Vordergrund: seine Liebe zu Frauen. Er brachte den Mut auf, sich vor seiner damaligen Gemeinde zu outen und verlor dadurch seine Anstellung als Prediger. Doch im Gegensatz zur Gemeinde fand er ein offenes Ohr bei seinem damaligen Mann. Und es begann eine Zeit, die sein komplettes Leben auf den Kopf stellen sollte.
Sein Mann outete sich vor ihm als frauenliebende trans Frau und Ari begleitete nun «Elvira» (Name geändert) einige Jahre lang auf dem Weg zu ihrer Transition. Doch er kümmerte sich auch um sich selbst: Obwohl er rund um die Uhr für seine beiden Kinder da war, mittlerweile war ein zweites geboren, und für seine, nun, Frau, begann er eine Lehre zum Make-up-Artist, die er auch abschloss. Besonderes Anliegen war ihm immer die Beratung von trans Personen: Schminktipps für trans Frauen, aber auch trans Männer. Doch auch in seinem Liebesleben tat sich einiges. Er führte eine Beziehung zu einer Frau, und man könnte glauben, dass es sich hier nun um eine glückliche Regenbogen-Familie handeln könne. Doch das Leben hatte andere Pläne.
Ari spürte immer mehr, dass er sich innerhalb seiner Beziehung als Mann fühlte. Im Laufe der Jahre kam es in der Ehe immer wieder zu Zerwürfnissen, und das Paar ging auseinander. Immer öfter fühlte Ari, dass es ihn zu Männern hinzog. Doch sein maskulines Ich trat mehr und mehr in den Vordergrund, und er, der sich selbst zuvor als Butch bezeichnete, führte in dieser Zeit einen heftigen, inneren Kampf mit sich selbst.
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Halt fand er in seinem Glauben an Gott, und nach viel Selbstreflektion und Innenschau, wusste er die Antworten auf alle Fragen, die er in seinem Herzen trug: Ari fühlte sich als trans Mann, mehr noch: als schwuler trans Mann.
Und so begann der lange Weg seiner Transition. Hormone, Mastektomie, Änderung des Geschlechtseintrags bei den Ämtern. Während dieser Zeit fühlte er sich durch seinen Glauben gestützt und gestärkt, und in ihm erwachte der Wunsch sein damaliges Theologie-Studium mit dem Master zu vervollständigen. Aus dem Wunsch wurde Wirklichkeit, denn er nahm das Studium wieder auf.
Doch genauso, wie der Glaube ein grosser Bestandteil seines Lebens war, so war es auch die Liebe zu Farben, zur Kosmetik, zu seinem Beruf des Make-up-Artist. Tatsächlich steckte mehr dahinter, denn mit der Zeit wuchs eine grosse Liebe für Drag in ihm. Aus anfänglicher Begeisterung und Bewunderung wurde eine Liebe zur Verwandlung, zur Kunstform des Drags. Er spürte eine Lust zum Performen, und nachdem er einige Dragqueens kennengelernt hatte, folgte der erste gemeinsame Auftritt.
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Doch nicht um sich in Aufmerksamkeit zu suhlen, sondern, wie er sagt, um «ein starkes Zeichen» zu setzen: Es ging ihm vor allem um die Sichtbarkeit der Community. Seiner Überzeugung nach lebe in allen Menschen eine sowohl männliche als auch weibliche Seite, und Drag gäbe ihm die Möglichkeit, seine weibliche Seite als Dragqueen auszuleben. Doch nicht nur das.
Jedes Mal, wenn ich queere Gottesdienste mitgestalte (…) bin ich stets als Drag auf der Kanzel
«Jedes Mal, wenn ich queere Gottesdienste mitgestalte, predige und den Segen spreche, bin ich stets als Drag auf der Kanzel.», erzählt er lächelnd. Doch er predige nicht nur für die Regenbogen-Community, als angehender Pfarrer trage er auch aktiv zur Mitgestaltung der Gottesdienste der reformierten Kirche der Schweiz in Biel und bald auch in Bern bei.
Und wenn es seine Zeit zulässt, dann zieht es ihn wieder auf die Bühne, denn dort fühlt er sich zu Hause. Und wie sieht’s mit Partnerschaften aus? «Meiner Liebe zu Männern bin ich treugeblieben», sagt er lächelnd und eilt weiter. Der nächste Termin wartet schon.
Immer Ende März feiern trans Menschen den Transgender Day of Visibility, damit sie gesehen werden, nicht übersehen. Wir haben bei vier Vereinen nachgefragt, einer «Miss Germany»-Teilnehmerin, einer RTL-Dschungelcamperin, einer Aktivistin, einem Autor und zwei Politikern, was ihnen der Tag bedeutet (MANNSCHAFT+).
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