«The Old Guard» – Wenn aus zwei Kriegern Liebhaber werden
Ganz offensiv und unübersehbar bei Netflix
Das hat es tatsächlich noch nie gegeben: «The Old Guard» ist eine grosse Hollywood-Produktion, basierend auf einem Comic und mit Superheld*innen im Zentrum der Geschichte, in der ein schwules Paar zu den Protagonist*innen gehört.
Und zwar nicht versteckt in irgendeinem eifrig hinein interpretierbarem Subtext (Stichwort: Captain America & sein zum Buddy gewordener Gegenspieler Bucky). Sondern ganz offensiv und unübersehbar. Exakt das bietet aktuell «The Old Guard», exklusiv zu sehen bei Netflix und in Ermangelung grosser US-Filme im Kino gerade genau das richtige für alle Fans von Marvel und Co.
Darin kämpft eine kleine Gruppe unsterblicher Söldner*innen seit Jahrhunderten (und teilweise länger) für das Gute auf dieser Welt. Zu diesen wackeren Recken gehören auch Joe (Marwan Kenzari) und Nicky (Luca Marinelli), die sich früher noch als Gegner auf dem Schlachtfeld gegenüber standen, inzwischen aber längst ein Liebespaar sind. Und damit das auch jedem im Publikum klar wird, fallen nicht nur Sätze wie «er ist die Liebe meines Lebens», sondern dürfen sich die beiden auch leidenschaftlich küssen.
Dass das im Jahr 2020 noch eine grosse Sache ist, ist natürlich traurig. Aber umso mehr darf sich eben freuen, dass der Hollywood-Mainstream nun endlich auch in diesem Genre einmal eine solche Szene zeigt. «Als ich das Drehbuch las, stutzte ich sofort», berichtet Regisseurin Gina Prince-Bythewood («Love & Basketball») im Interview.
Erste Umfrage zu Vielfalt und Diskriminierung im Film
«Mir war gleich klar, dass ich einen solchen Moment, eine solche Beziehung noch nie in einem vergleichbaren Film gesehen hatte. Das wollte ich unbedingt zeigen, so wunderschön fand ich das.» Tatsächlich war der schwule Kuss und die Liebe von Joe und Nicky auch in der Vorlage schon präsent, wie sie fortfährt.
«Ausgedacht hat sich das alles Greg Rucka, der nicht nur den Comic, sondern dann auch die Drehbuch-Adaption geschrieben hat. Als er die Filmrechte verkaufte, machte er es zur Bedingung, dass an diesem Teil des Plots nicht gerüttelt wird. Und ich freue mich sehr, dass die Produzenten nicht gezögert haben, dieses Versprechen zu geben und auch einzulösen.»
Dass auf Twitter bereits einige homophobe Kommentare zu «The Old Guard» die Runde machen, versteht sich leider von selbst. Aber Prince-Bythewood ist optimistisch, dass sich letztlich wenige Fans an der Liebe zwischen zwei Männern stören werden: „Natürlich waren wir alle gespannt, wie die Reaktionen sein würden, vor allem auf den Kuss. Aber bei den Testscreenings, die wir gemacht haben, gab es dafür sogar Szenenapplaus. Das fand ich wahnsinnig toll und zeigte mir einmal mehr, wie wichtig es ist, dass wirklich jedermanns Geschichte auf der Leinwand oder dem Bildschirm erzählt wird.»
Wer so gar nichts anfangen kann mit abenteuerlich-hanebüchenen Geschichten über Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten oder Eigenschaften, der wird nun vermutlichnicht bloß wegen einer kleinen Knutscherei zum Fan bekehrt. Doch es soll nicht unerwähnt bleiben, dass «The Old Guard“ auch jenseits seines schwulen Paares (das mit dem Holländer Kenzari, bekannt aus „Aladdin“, und dem Italiener Marinelli, der kürzlich in der Berlinale-Jury sass, höchst ansehnlich besetzt ist) einiges zu bieten hat.
Erste schwule Hauptfigur in einem Animationsfilm von Pixar
Charlize Theron ist in der Hauptrolle mal wieder die personifizierte Coolness, die Actionszenen sind top choreografiert und langweilig wird’s auch nicht. Auch weil Prince-Bythewood eben eine Regisseurin ist, die sich mehr für Menschen und Emotionen als für Spezialeffekte interessiert. Und bei der Diversität aller Art erfreulich gross geschrieben wird.
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