«Wir müssen aufpassen, damit es keine Spaltung der Community gibt»

Julia Ehrt im Interview mit MANNSCHAFT+

Julia Ehrt (Foto: zvg)
Julia Ehrt (Foto: zvg)

In Sydney findet zur World Pride eine grosse LGBTIQ-Menschenrechtskonferenz statt. Dort wird auch Julia Ehrt erwartet, die Geschäftsführerin von ILGA World.

Vom 17. Februar bis 5. März findet in Sydney die Worldpride statt (MANNSCHAFT berichtete), zum ersten Mal in der südlichen Hemisphäre. Mehr als 300 Veranstaltungen sind geplant. Unter anderem gibt es eine LGBTIQ Menschenrechtskonferenz, zu der sich neben Akivist*innen aus aller Welt auch politische Vertreter*innen angekündigt haben: darunter Helena Dalli, die erste EU-Kommissarin für Gleichstellung, Jessica Stern, US-Botschafterin für LGBTIQ-Rechte und Victor Madrigal-Borloz, der Unabhängige Experte der Vereinten Nationen (UN) zu Gewalt und Diskriminierung auf Basis der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität.

Auch Julia Ehrt wird auf der grössten LGBTIQ-Menschenrechtskonferenz sprechen, die jemals in der südlichen Hemisphäre veranstaltet wurde: Sie ist Geschäftsführerin von ILGA World und eine anerkannte LGBTIQ-Aktivistin.

Julia, bevor du zu ILGA World gekommen bist, hast in diversen trans Organisationen gearbeitet. Das Thema trans Reche wird vermutlich nicht fehlen bei deinem Vortrag in Sydney. Ich werde sicherlich auch über trans Rechte sprechen, aber mein Hauptpunkt, den ich in Sydney argumentieren will, ist, dass Feminismus und LGBTIQ zusammengehören. Das schliesst trans ein, aber es geht natürlich um alle LGBTIQ-Themen. Der Grund: Die letzten Jahre haben gezeigt, dass unsere Opposition, also die Kräfte, die gegen Gleichstellung arbeiten, oft die gleichen sind, die gegen die Gleichstellung von Frauen sind, gegen Geschlechtergerechtigkeit. Deshalb müssen wir gemeinsam als Bewegung – LGBTIQ und Feminismus – dagegenhalten. Wir haben eigentlich das gleiche Anliegen.

Sowohl die feministische Seite wie wir auf der LGBTIQ-Seite, wir müssen uns bewegen. Wir als LGBTIQ-Bewegung müssen feministischer werden, und die feministische Bewegung muss sich verstärkt LGBTIQ-Themen annehmen.

Da geht es natürlich auch um trans Rechte, weil sich daran ja heftige Diskussionen entzünden, gerade in der Frauenbewegung, wie man gerade in Schottland gesehen hat. Das ist exemplarisch, was da in Teilen der Frauenbewegung passiert. Wir müssen sehr aufpassen, damit es nicht zu einer Spaltung kommt, unter der wir alle leiden würden.

Teile der Community haben Probleme damit, bei den Feministinnen gibt es auch Widerstand gegen trans Rechte. Das wird ein grosser Akt. Ja, das ist nicht ganz einfach, aber ich glaube, auch aus meiner Erfahrung der letzen Jahren bei ILGA World als globalem Dachverband: Gerade in der Frauenbewegung ist es eine kleine Minderheit, die halt sehr laut agiert.

Die grösseren Organisation sind mehrheitlich mit an Bord, was trans Rechte und Selbstbestimmungsrecht angeht, sowohl im globalen wie im regionalen oder nationalen Kontext. Da gibt es viel Übereinstimmung.

Apropos nationaler Kontext: Das Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland lässt auf sich warten, es soll noch bis Sommer oder länger dauern. Der Justizminister sprach kürzlich von sicheren Räume für Frauen, wörtlich «Frauensaunen», die man berücksichtigen müsse (MANNSCHAFT berichtete). Wie wirkt das auf dich? Das muss man noch sehen, ich bin da Optimistin. Ich vermute, der Minister hat sich ein bisschen in seinem eigenen Argumenten verrannt. Das ist, glaube ich, im Diskurs eher ein Nebenschauplatz. Die trans Community arbeitet seit vielen Jahren an dem Thema. Ich war ja lange in deutschen Trans-Organisationen aktiv, schon vor 15 Jahren haben wir uns am Transsexuellengesetz (TSG) abgearbeitet. Und man sieht aktuell an Schottland, dass es sich sehr unerfreulich entwickeln kann (MANNSCHAFT berichtete).

Aber ich glaube, in Deutschland gibt es genügend Akteur*innen, die dem einen Riegel vorschieben und dafür sorgen, dass trans Menschen ein Selbstbestimmungsrecht haben müssen.

Je nachdem, wo man eine Pride besucht, in der westlichen Welt jedenfalls, sagt man den Veranstaltungen gerne nach, dass sie oft zur grossen Party verkommen. Wie verträgt sich ILGA als Menschenrechtsorganisation damit? Das ist der andere grosse Aspekt für mich. Wir als ILGA World, als globaler Dachverband von LGBIQ Organisation, haben viele Berührungspunkte mit der globalen Pride-Bewegung. Darum sind wir auch froh, dass wir in relativ exponierter Form nach Sydney eingeladen sind, um da zu sprechen.

Historisch gesehen gibt es die Bewegungen, die sich um die Änderungen von Gesetzen kümmert und unsere Bewegung ausmacht, und dann gibt es die Pride-Bewegung. Das geht nicht immer Hand in Hand, wir arbeiten nicht immer zusammen. Darum ist es wichtig zu betonen: Wir kämpfen für eine gemeinsame Sache!



Wie wird das, was Ihr auf der Konferenz besprecht, am Ende zu Politik? Die Konferenz ist in diesem Jahr eine der wichtigsten, wenn nicht die zentrale globale LGBTIQ-Menschenrechtskonferenz, auf jeden Fall in der ersten Jahreshälfte. Alles was Rang und Namen hat, kommt nach Sydney. Das ist ein politisches Signal und wirkt auch als politischer Mechanismus, um Einfluss zu nehmen, und das ist nicht zu unterschätzen.

Das ist auch für Ozeanien und die Pazifikregion wichtig, denn die wird sonst immer als ab vom Schuss wahrgenommen. Was die Verfügbarkeit etwa von Geldern angeht, ist die Region sehr oft benachteiligt. Darum ist sehr wichtig, dass die WordPride und die Konferenz dort stattfindet.

Zu Ozeanien gehört u.a. Indonesien. Wie man dort und an anderen Ländern sieht: Es ist immer wieder die Religion, es sind die Kirchen, die den Ton angeben und LGBTIQ-Feindlichkeit begrüssen und unterstützen. Wie kommt man dagegen an?

Das ist teils unser Kerngeschäft. Ich würde Religion nicht grundsätzlich verteufeln, aber ja, religiöse Führer sind sehr oft daran beteiligt, gegen LGBTIQ zu hetzen oder Gesetze zu verhindern, die LGBTIQ schützen würden. Siehe Indonesien, wo der Strafrechtskatalog kürzlich überarbeitet und Homosexualität re-kriminalisiert wurde (MANNSCHAFT berichtete).

Ein Ansatzpunkt sind religiöse LGBTIQ-Menschen, die da in Religionsgemeinschaften hinein wirken können, weil sie nochmal einen anderen Zugang haben – die werden allerdings leider oft auch in der LGBTI Community ausgegrenzt. Aber sie sind zentral im Einwirken auf Religionen. Der andere Weg: Man muss immer wieder auf Grundrechte und Menschenrechte zurückkommen, sie garantieren Schutz vor Gewalt und Diskrimierung. Die dürfen nicht gegen die Religionsfreiheit, die immer wieder ins Feld geführt wird, ausgespielt werden.

Aktivist*innen wie Nasser Mohamed, der erste schwule Katari, der sich letztes Jahr geoutet hat, hat sein Land verlassen (MANNSCHAFT+. Er lebt in den USA, weil Homosexualität unter Strafe steht, es gibt willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen im Gefängnis. Hier ist eine Einflussmöglichkeit vermutlich begrenzt. Ja. Und vor allem in Ländern, wo es die Todesstrafe gibt, ist es extrem schwierig, Einfluss zu nehmen aus der Bewegung heraus.

Zur Fussball-WM in Katar haben wir versucht, mit der Regierung von Katar in Kontakt zu treten, haben Vertreter der Kommission der Organisation der WM (Commission for the organisation and legacy of the World Cup in Qatar) getroffen; die Treffen waren online oder in Genf. Das hat sich als sehr schwierig erwiesen …

… das heisst, es hat nicht geklappt? Ja, das heisst es leider de facto. Das war durchaus enttäuschend. Wir hatten gehofft, dass die WM ein Vehikel sein kann, dass wir eine kleine Öffnung erreichen können, die nachhaltig ist, damit auch Menschen in Katar profitieren, wenn die WM vorbei ist.

2023 ist noch jung. Blickst du mit Optimismus auf das neue Jahr? Grundsätzlich ja. Es wird im Schnitt besser: 2022 haben etliche Karibik-Staaten wie Barbados die Kriminalisierung von Homosexualität abgeschafft (MANNSCHAFT berichtete). Darum glauben wir, auch 2023 ist ein Jahr, in dem viel Gutes passieren wird.

Bei uns in Europa muss man allerdings sagen: Das ist eine Region, in der es jahrzehntelang nur bergauf ging. Nun weiss man gerade nicht, in welche Richtung es gehen wird. Es gibt Länder, wo LGBTIQ-Rechte systematisch eingeschränkt werden wie Polen und Ungarn – und das sind Mitglieder der Europäischen Union. Es gibt die Befürchtung, dass es noch weiter zurückgeht; im europäischen Kontext ist das noch recht neu. International kennen wir das u.a. aus Ghana, wo LGBTIQ-Aktivismus in allen Aspekten kriminalisiert werden könnte. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet, aber das begleiten wir mit gewisser Sorge. Denn dieses Gesetz könnten sich dann auch andere Staaten zum Beispiel nehmen.

Die generelle Tendenz: Es wird besser für LGBTIQ!

Die generelle Tendenz aber ist: Es wird besser für LGBTIQ. Die Länder, die Homosexualität kriminalisieren, werden konstant weniger. Länder, die die Ehe für alle einführen, werden mehr. Auch Gesetze, die Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität verbieten, werden in immer mehr Ländern verabschiedet. Ich glaube nicht, dass sich 2023 dieser Trend umgekehrt.

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