«Starke DILF-Aura»: Familienvater Lex Lederman als OnlyFans-Schwulenstar
In der Pandemie wenden sich immer mehr Menschen OnlyFans zu und versuchen dort Geld zu verdienen – mit Sexfilmen für schwule Abonnenten
Eine der grossen Erfolgsgeschichten im Tech-Bereich ist das Unternehmen OnlyFans, das der britische Unternehmer Tim Stickely im September 2016 gründete. Die Erfolgsgeschichte haben vor allem sexuelle Inhalte möglich gemacht, die anderswo zensiert werden.
In einem Interview Anfang des Jahres sagte Stickely: «Wir sahen eine Explosion des Influencer-Marketings, aber diese Influencer wurden über Werbekampagnen und Produktempfehlungen bezahlt. Wir hingehen dachten uns: Was wäre, wenn wir eine Plattform aufbauen würden, die Social Media ähnelt, mit dem einzigen Unterschied, dass es einen Bezahlknopf gibt?» Inzwischen hat Strokely ein geschätztes Vermögen von 120 Millionen Dollar.
Anfangs war OnlyFans besonders beliebt bei YouTuber*innen, Fitness-Influencer*innen und Musiker*innen, die meist exklusive und nicht-sexuelle Inhalte teilen wollten. Aber bald war das Ganze fest in den Händen von Pornostars.
20 Prozent Kommission Denn OnlyFans tauchte just in dem Moment auf, wo es für sie immer schwieriger wurde, anderswo etwas zu posten, ohne sofort wegen Verletzung angeblicher «Community-Standards» zensiert zu werden, während gleichzeitig die verschiedenen Porno-Onlineportale Inhalte gratis zur Verfügung stellten, oft in Form von illegal hochgeladenen Raubkopien von Filmen. Filme, bei denen Stars sowieso eher pro Szene bezahlt werden und nicht am weiteren Gewinn über Verkäufe und Streaming beteiligt sind. OnlyFans bot eine Chance, sich selbstbestimmt etwas vom Profit zurückzuholen und sich direkt zu vermarkten, ohne den Umweg über ein Pornostudio. Im Gegenzug zu einer satten Kommission von 20 Prozent für Strokely und sein Unternehmen.
Heute gibt es fast keine*n Pornodarsteller*in, der oder die nicht einen OnlyFans-Account betreibt und damit zahlende Kunden anlockt, die exklusive Inhalte sehen wollen – jenseits der auf Hochglanz und Künstlichkeit gebürsteten Studioproduktionen. Wegen des DIY-Charakters vieler Filme bei OnlyFans, kombiniert mit einer DM-Funktion, die direkten Kontakt mit den Stars suggeriert, erlaubt OnlyFans eine Nähe zu angehimmelten Sexgöttern und -göttinnen, die’s in der Geschichte der Pornografie so niemals zuvor gab.
Als Werbemassnahme für ihren OnlyFans-Account veröffentlichen einige Darsteller*innen auf Pornoseiten des Internets gratis kurze Clips, die mit einem OnlyFans-Wasserzeichen markiert sind, um Zuschauer*innen neugierig auf mehr zu machen. Andere nutzen zusätzlich Twitter – mit seiner laxeren Handhabung sexueller Inhalte – um mit kurzen Filmen Follower anzulocken. Und sehr viele drehen immer noch für etablierte Studios, um erst einmal bekannt zu werden. Denn ohne Bekanntheit läuft bei OnlyFans gar nichts, man muss die Einzelkonten gezielt suchen und sieht auf der OnlyFans-Seite selbst nicht, was sich hinter der Paywall verbirgt.
Zwei Rezessionen in einem Jahrzehnt Die finanziellen Erfolgsgeschichten haben weitere Menschen für OnlyFans begeistert, die nicht aus der Pornoindustrie kommen oder Sexarbeiter*innen sind, aber trotzdem etwas vom Kuchen abhaben wollen. Laut einem aktuellen Bericht der Zeitung The Guardian sind das speziell junge Menschen in ihren 20ern und 30ern, die momentan «die harschen Realitäten einer zweiten wirtschaftlichen Rezession in nur einem Jahrzehnt» durchleben müssen.
Schon bevor das Coronavirus die Welt in den Würgegriff nahm, sind die Zahlen der Neuabonnent*innen bei OnlyFans stetig gestiegen. Aber seit der Pandemie sind sie durch die Decke gegangen. Denn viele Menschen fanden sich plötzlich in Kurzarbeit wieder oder hatten ihren Job ganz verloren. Im Frühjahr 2020 hatte OnlyFans 30 Millionen registrierte Nutzer*innen und 450.000 sogenannte «Creators», also Menschen, die Inhalte produzieren. Im März 2021 ist die Anzahl der registrierten Nutzer*innen auf 120 Millionen gesprungen und auf eine Million Creators. Letztes Jahr hat die Seite diesen Creators – laut Guardian – zwei Milliarden Dollar ausgezahlt.
Einer derjenigen, der zu den erfolgreichen Top 1 Prozent in der Creator-Kategorie gehört, ist der 28-jährige Lex Lederman aus New Hampshire in den USA. Eigentlich ein «klassischer amerikanischer Familienmann», wie der Guardian meint. Ihm gehört eine Farm, auf der er mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt. Und mit vielen Hühnern, Schweinen und Gänsen. Lederman hilft regelmässig bei der Essensausgabe für Obdachlose, er engagiert sich in der Flüchtlingshilfe und unterstützt das Fussballteam in der lokalen High-School. Leisten kann er sich solche Aktivitäten, weil er seinen Job in der Baubranche aufgegeben und eine Vollzeitkarriere bei OnlyFans gestartet hat – mit Inhalten für eine überwiegend schwule Fangemeinde.
Der Reporterin Emma Garland erzählte er, dass er früher als Tagelöhner gearbeitet habe: «Ich habe das College nicht geschafft, habe dann bei der Wiedereingliederung von Jugendgangmitgliedern geholfen, habe mich bei der Arbeit verletzt. Das führte dazu, dass ich mein Kurzzeitgedächtnis verlor, posttraumatische Belastungsstörungen hatte und dann Arbeit beim Bau finden musste. Schliesslich habe ich Antennen für mobile Telefone in fast 100 Meter Höhe aufgehängt und 15 bis 16 Stunden am Tag geschuftet, ohne zwischendurch etwas zu essen, ohne Zeit, auf die Toilette gehen zu können. Wenn ich zurück nach Hause kam, war ich völlig kaputt. Ich dachte: Okay, Junge, was kannst du tun, um dein Einkommen aufzubessern?»
Statt «Glamour Modelling» Manche Creators sehen OnlyFans als Ersatz für sogenanntes «Glamour Modelling», um ihre perfekt trainierten Körper zu präsentieren, in einer Zeit, wo die entsprechenden Hochglanzzeitschriften vom Markt verschwinden, mit ihren klassischen Bikini-Shots oder Unterwäsche- bzw. Bademodestrecken, die von professionellen Fotografen in Szene gesetzt werden. Andere sehen OnlyFans als so etwas wie eine CamSex-Seite, wo sie unmittelbar mit Kunden interagieren können. Und bei Mr. Lederman, der zuvor als Männermodell sein Gehalt ein bisschen aufgebessert hatte, war es ein Wechsel vom einen zum anderen.
Er habe bei OnlyFans angefangen, als ihm jemand geraten habe, seine nichtveröffentlichten Bilder aus Fotosessions hochzuladen. Damit wollte er Extrageld verdienen, erzählt der 1,90-Meter-Hühne im Guardian-Interview. Er sehe laut Garland aus wie ein Marvel-Held und habe schon immer «eine starke DILF-Energie» verstrahlt, also eine «Daddies I’d Like to Fuck»-Aura.
Auf Instagram beschreibt sich Lederman als «Ehemann, Vater und Knalltüte» [«goofball»]. Dort teilt er Fotos von seiner Familie, dokumentiert seine Fortschritte beim Bodybuilding und postet Filme, die ihn beim Holzhacken zeigen. Aus diesen Aspekten seines realen Lebens kreiert er seine OnlyFans-Persönlichkeit, die laut Guardian auf der erotischen Fantasie des «unerreichbaren Familienmannes» fusst. Und die Lederman in die Top 1 Prozent Creator-Kategorie bei OnlyFans katapultierte.
«Warum gehst du nicht einen Schritt weiter und schaust, was passiert?» Anfangs habe Lederman alles vermieden, was als pornografisch angesehen werden könnte. «Ich dachte, ich könne meine Genitalien nicht zeigen. Zwar mag ich Pornos, aber ich wollte selbst keine drehen. Aber irgendwann dachte ich: Ist das wirklich so wichtig?» Also fing er an, Fotos in Unterhose zu posten, dann Inhalte unter der Dusche, dann Fotos im Wald, wo er nichts anhat als einen Cowboyhut und ein Jeanshemd vorm Schritt. Und schliesslich sagte seine Frau zu ihm: «Warum gehst du nicht einen Schritt weiter und schaust, was passiert?»
Genau das tat er. So dass er heute Unterwäschefotos von bestimmten Marken gegen Bezahlung trägt und diese neben Masturbationsvideos postet. Als er merkte, dass er damit in drei Stunden mehr verdiente als zuvor mit 60 Stunden Arbeit auf dem Bau, kündigte er seinen alten Job. «Man muss wirklich nicht besonders intelligent sein, um 1 und 1 zusammenzuzählen. Warum sollte ich jeden Tag mein Leben aufs Spiel setzen [für einen Job in der Mobiltelefonbranche], wenn ich auf diese Weise dreimal so viel Geld nachhause bringen kann?»
Das ist eine Frage, die sich inzwischen auch viele anderen stellen. MANNSCHAFT berichtete über einen jungen Krankenpfleger in Grossbritannien, der sich angesichts der niedrigen Bezahlung im Pflegebereich entschloss, lieber OnlyFans-Inhalte zu produzieren – mit der Erfolgsstory von Reno Gold vor Augen, der laut einer Reportage des Forbes-Magazins Ende 2020 pro Monat 100.000 Dollar mit OnlyFans verdient hat und im Dezember 2020 seine erste Million zusammen hatte, als 24-Jähriger!
Der Journalistin Jackie Huba erzählte Gold, dass er täglich ein neues Foto von sich poste, ein 15-minütiges Solo-Video pro Woche und zwei Videos mit einem anderen Model jeden Monat – für die man allerdings extra bezahlen müsse. Für die Fans, die ihm ein Trinkgeld überweisen, habe er auch «bestimmte Fotos und Videos» zur Hand, je nachdem wie hoch das Trinkgeld ausfällt, werden diese Fotos bzw. Videos «anzüglicher», um die Formulierung von Forbes zu verwenden.
Laut Gold drehe sich alles um Branding und Marketing. «Der wichtigste Teil meines Jobs passiert auf Instagram, YouTube, Twitter und TikTok, wo ich täglich etwas poste, um meine OnlyFans-Seite zu bewerben», erzählt er.
«Promotion» ist das Zauberwort Und wie das Business-Magazin Forbes sofort vermerkt, sei «Promotion» wie in allen Geschäftsbereichen das Zauberwort. «Gold ist sehr kommunikativ, er antwortet Abonnenten mit personalisierten Sprachnachrichten. Er nutzt jede Möglichkeit, seine authentische, superfreundliche und ungemein nahbare Persönlichkeit vorzuführen», schreibt Huba. Er mache «lustige Filme» für YouTube und Social Media. «Wenn man ein paar Inhalte gratis zur Verfügung stellt, ist der Gewinn zehnfach, weil Leute ihre liebsten Online-Persönlichkeiten besser kennen lernen wollen», so Gold zu Forbes.
Und, wie der Berliner OnlyFans-Betreiber Chris Heart auf MANNSCHAFT+ erzählte, drehe sich letztlich alles darum, sich immer wieder etwas Neues auszudenken, um Fans dazu zu bringen, ihr Abo zu verlängern. Im Fall von Gold bedeutet das, dass er angefangen hat, jeden Monat eine Verlosung zu starten. Der Gewinner darf bei einem 20-minutigen Video selbst die Regie übernehmen.
Um an der Verlosung teilzunehmen, muss man ein Ticket kaufen, für das es auf jeden Fall eine Gegenleistung gibt. Für 5 Dollar pro Verlosungsticket bekommt man ein bislang nicht veröffentlichtes Foto von Gold, für ein 20-Dollar-Ticket ein kurzes bis dato nicht veröffentlichtes Video. Je mehr Tickets ein Abonnent kauft, desto höher die Chance, den Regie-Jackpot zu gewinnen. Der Gewinner wird dann live und online ermittelt.
Bringt das die LGBTIQ-Community voran? Für Gold gehe es dabei um mehr als nur darum, Geld zu verdienen. «Mein Ziel ist es, Leute aufzuklären, ihre Vorstellung von Sexarbeit zu verändern und meine Plattform zu nutzen, um die LGBTQ-Community voranzubringen.» Er habe Anfang Dezember – zum Welt-Aids-Tag – 27.000 Dollar an Elton Johns Aids-Stiftung überwiesen. Und an seine eigene Zukunft denkend, investiert er aktuell in Aktien und Immobilien. Laut Forbes habe er jüngst fünf Eigentumswohnungen in Südflorida gekauft, alle bar bezahlt.
Corona habe seiner Karriere einen ungeheuren Schub gegeben, sagt Gold. Aber er mache sich keine Sorgen für die Post-Covid-Zeit. «Es macht mir Spass diese Inhalte zu produzieren, und ich habe noch viele weitere Geschichten, die ich teilen möchte. Das ist derzeit mein ganzes Leben, und es ist meine Leidenschaft geworden.»
Er plane künftig sich selbst als Marke zu erweitern und eine eigene Kollektion mit Reno-Gold-Produkten auf den Markt zu bringen. Ob auch eine Lex-Lederman-Kollektion kommen wird, ist nicht bekannt. Chris Heart aus Berlin vertreibt derweil schon seine eigenen T-Shirts.
Und wenn schon ein Magazin wie Forbes und grosse internationale Zeitungen wie The Guardian den Blick aufs Phänomen OnlyFans und auf die schwulen Abonnenten geworfen haben, die Leute wie Gold und Lederman zu Celebrities und erfolgreichen Unternehmern gemacht haben, darf man gespannt sein, wie sich das noch weiterentwickeln wird.
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