Vom heterosexuellen Vorzeigepaar zur «Happy Rainbow-Family-WG»
Ein spätes Coming-out
Fest verankert im beruflichen Leben, verheiratet, ob mit, ob ohne Kind, mit langjährigem Freundeskreis, als scheinbar heterosexueller Mensch lebend. Aber dann irgendwann kommt der Moment, sich zu outen.
Nina S. (Name geändert) ist Mutter zweier Kinder (Isabell, 19 und Tim, 17 Jahre) und seit 25 Jahren mit Holger verheiratet, doch beide haben, unabhängig voneinander, ein eigenes Leben. Sie leben in einer kleinen Stadt in der Schweiz, in einer Lebensgemeinschaft und nicht in einer klassischen Ehe: Schon seit einigen Jahren trifft der Spruch «Getrennt von Tisch und Bett» auf ihre Familie nicht in Gänze zu. Obwohl sie das Bett schon seit vielen Jahren nicht mehr teilen, am Tisch sitzt man immer noch gemeinsam, gemeinsame Familienurlaube gibt es ebenfalls noch, und von aussen könnte durchaus der oberflächliche Eindruck entstehen, dass es sich hier um eine klassische Familie handele. Doch weit gefehlt.
Nina hatte vor fünf Jahren ihr Coming-out, ihr Mann zeitgleich ebenfalls. Was sich nach Drehbuch anhört, entspricht tatsächlich den Tatsachen, und entspringt nicht der Feder und der Fantasie eines Menschen. Wie kam’s dazu? Und Nina erzählt. Davon, dass sie im Kindergarten regelrecht in ihre damalige Erzieherin verschossen war. Dass sie schon im Jugendalter immer mal wieder spürte, dass sie Mädchen lieber mochte als Jungs. Über ihre Verwirrung, über ihre Ängste «anders» zu sein, waren doch ihre Freundinnen samt und sonders an Jungen interessiert.
Darüber, dass sie sich niemandem anvertrauen konnte und auch wollte. Über ihre Selbstzweifel, die Scham, sie spricht sogar von zeitweiligem Selbsthass… Sie berichtet, dass sie in einem kleinen Dorf auf dem Land grossgeworden sei, und für sie stand es damals ausser Frage ihren Gefühlen nachzugeben.
Partys waren für sie ein Spiessrutenlauf, weil sie, um dazuzugehören, sich auf jugendliche Spiele wie «Flaschendrehen» einliess. Traf es einen Jungen, zwang sie sich ihren Widerwillen zu überwinden. Traf es ein Mädchen, hatte sie furchtbare Angst, dass ihre FreundInnen bemerken könnten, wie sehr sie es genoss, einen weiblichen Mund auf ihren Lippen zu spüren. So bewahrte sie ihr «Geheimnis» sicher in ihrem Herzen auf.
(…) an zwei Händen abzählen könne, und dass es an ein Wunder grenze, dass sie zwei Kinder habe
Später dann Schulabschluss, Ausbildung, Studium. Sie traf Holger auf einer Studentenparty. Sie verstanden sich auf Anhieb, und es entwickelte sich über die Zeit eine sehr enge Freundschaft. Aus dieser wurde Liebe, doch auf eine andere Art, als beide das aus ihrem Bekanntenkreis kannten. Sie bezeichneten das, was sie miteinander teilten, von Anfang an als «Seelenliebe». Es gab kein Händchenhalten, keine leidenschaftlichen Küsse, und rückblickend berichtet Nina lachend, dass man ihre sexuellen Begegnungen über die Jahre hinweg «an zwei Händen abzählen könne», und dass es an ein Wunder grenze, dass sie zwei Kinder habe. Nach einigen Jahren heirateten sie, weil von beiden das klassische Rollenmodell erwartet wurde.
In ihrem Bekanntenkreis galten sie als das Vorzeige-Paar, doch schon damals spürten beide, dass es etwas gab, das sie voreinander verbargen… Vor sechs Jahren kam dann die Wende: Ihre (damals dreizehnjährige) Tochter outete sich als bisexuell, und zur Feier des Tages ging die gesamte Familie zum Eisessen… Abends sassen Nina und Holger noch lange zusammen und sprachen über ihr Töchterchen. Darüber, dass sie sich beide über das Vertrauen und über den Mut Isabells sehr freuten. Dann kam es zu einem Gespräch zwischen ihnen, das ihr gesamtes Leben verändern sollte: So wie Nina «ihr Geheimnis» bewahrt hatte, hatte es auch Holger. Er outete sich vor ihr als pansexuell, und sie bekannte sich zu ihrer ausschliesslichen Frauenliebe.
Nachdem ein paar Monate vergangen waren, sprachen sie mit ihren Kindern, und auf Tims Frage, ob sich jetzt irgendetwas in der Familie ändere, oder ob sie sich trennen, antworteten beide mit einem entschiedenen Nein. Isabell sagte anschliessend zu ihrem Familiengespräch, dass sie sich schon immer gewundert habe, warum Mama und Papa zwei getrennte Schlafzimmer hätten. Warum es nie ein «für Pärchen typisches Verhalten» bei ihnen gegeben habe.
Nina und Holger sind noch immer verheiratet, leben mit ihren Kindern unter einem Dach, und die Familie bezeichnet sich selbst als «Happy Rainbow-Family-WG». Einzig Tim definiert sich als heterosexuell.
«Zwei Mütter hat nicht jeder» – Langzeitdoku über Regenbogenfamilie. Wie kommen Familien zurecht, die nicht dem traditionellen Modell Mutter-Vater-Kind(er) folgen? Eine Frankfurter Regisseurin hat zwölf Jahre lang eine besonders ungewöhnliche Konstellation begleitet (MANNSCHAFT berichtete).
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