«Sicherheit und Selbst­bewusstsein waren auf einmal weg»

Der tödliche Angriff auf Malte C. jährt sich am Samstag

Malte C. (Foto: privat)
Malte C. (Foto: privat)

Vor einem Jahr wurde Malte C. tödlich verletzt (MANNSCHAFT berichtete). Felix Adrian Schäper vom Verein Trans*-Inter*-Münster spricht über die Folgen für den Verein, in dem auch Malte war.

Felix Adrian Schäper, nun ist es ein Jahr her, dass Malte C. auf dem CSD angegriffen wurde, als er versucht hat, mehrere Menschen zu verteidigen, die beleidigt wurden. Malte war Teil ihres Vereins. Wie hat dieser schreckliche Vorfall vor einem Jahr Euer Vereinsleben beeinflusst? Es hat die Arbeit im Verein sehr stark verändert. Man merkt das auch jetzt immer noch im Nachgang: Die Sicherheit und Selbstbewusstsein waren auf einmal weg. Wir haben es in den Gruppen bemerkt, dass dann sehr viel Unsicherheit da war. Und seitdem wir jetzt auch mit unseren Gruppen in neuen Räumen sind, habe ich letztens auch der Polizei Bescheid gesagt und denen mitgeteilt, wann wir da jetzt unsere Gruppen abhalten. Ich habe sie gebeten, dort mal zu patrouillieren. Das war für uns vorher nie ein Gedanke. Das ist halt jetzt so im Kopf drin.

Es ging eigentlich für ihn nur positiv voran. Er war wirklich sehr, sehr glücklich.

An welchem Punkt war Malte für sich persönlich zu dem Zeitpunkt, als der Angriff auf ihn passierte? Zu unserem Trans* Mann-Stammtisch ist er regelmässig gekommen. Dort fühlte er sich sehr, sehr willkommen. Er hat dadurch mehrere Menschen kennengelernt. Im letzten Frühjahr hatte er seine Brust-OP und da war er so glücklich und so stolz darüber, dass er ja sogar mit freiem Oberkörper beim CSD herumgelaufen ist. Er war auch erst seit ein paar Monaten in eine eigene Wohnung gezogen. Es ging eigentlich für ihn nur positiv voran. Er war wirklich sehr, sehr glücklich und es hat ihm auch unheimlich Auftrieb und Kraft gegeben. Bis zu dem Angriff war dieser Tag beim CSD einer der glücklichsten Tage in seinem Leben.

Felix Adrian Schäper von «Trans*-Inter*-MÜNSTER e.V.» (Foto: Privat)
Felix Adrian Schäper von «Trans*-Inter*-MÜNSTER e.V.» (Foto: Privat)

Wie waren nach dem Vorfall die Auswirkungen auf die Menschen, die bis dahin in Ihren Verein gekommen sind, um dort eine Gemeinschaft zu erleben, oder Hilfe zu erhalten? Ich weiss, dass einige danach nicht mehr gekommen sind. Zum Beispiel ein trans Mann, der rausgefunden hatte, dass er genau am gleichen Tag Geburtstag hatte wie Malte. Und dann hatten die vorher im Sommer noch verabredet, gemeinsam Geburtstag zu feiern. Das hat ihn so mitgenommen, dass er dann mehrere Monate überhaupt keinen Kontakt zu uns aufgenommen und sich sehr zurückgezogen hatte. Das war auch bei einigen anderen der Fall, die Malte auch sehr eng kannten und auch zum Beispiel auf der Demo dann mit ihm zusammen gelaufen sind, wo dann auch einige noch ein Foto mit ihm gemacht haben. Die waren danach geplättet und sind es heute noch.

Welche Formen der Solidarität gab es aus der Öffentlichkeit? Es gab in der Stadt sehr viel Mitgefühl. Etwa auf der Kundgebung auf dem Prinzipalmarkt bei der 6500 Leute erschienen sind. Das war am 2. September, als Malte dann ja auch morgens gestorben war. Also das war natürlich etwas, womit ich niemals gerechnet hätte, dass das eine solche  Resonanz haben würde. Und auch vor dem Rathaus lagen dann auch wirklich sehr lange noch Blumen und standen Lichter. Das fand ich schon sehr, sehr toll und sehr berührend.

LGBTIQ
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Gab es auch negative Reaktionen? Ja. In unseren Selbsthilfegruppen ist es danach im Herbst zu Vorfällen gekommen. Dort sind Menschen aufgetaucht, die uns nicht so sehr wohlgesonnen waren oder dann versucht haben, sich in unsere Gruppe einzuschleichen. Dreimal mussten wir die Polizei rufen, damit sie ein Hausverbot bekamen. Es ist auch jemand auf einigen Kundgebungen erschienen, der Gelder eingesammelt hat, sich als Onkel ausgegeben hat und gesagt hat, er will sie der Familie übergeben. Das stimmte aber gar nicht. Den haben wir aber auch angezeigt.



Sympathiebekundungen aus der breiten Öffentlichkeit ebben ja oft schnell wieder ab. Gibt es denn etwas, wo Sie sagen, da ist auch dauerhaft mehr Solidarität von aussen entstanden? Also es hat sich ja einiges getan seitdem. So hat uns zum Beispiel die Polizei eingeladen. Dort wurde auch ein Ansprechpartner extra für uns und für queere Fragen benannt. Früher wurde das oft vertuscht oder auch manchmal gar nicht so ernst genommen. Ich glaube, das hat jetzt bei denen dazu geführt, dass jetzt auch diese Themen sehr ernst genommen werden und auch die Polizei dafür sensibilisiert wurde. Das ist auch deswegen wichtig, weil viele queere Menschen hier teilweise bisher auch schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben.

Es ist auch wichtig, dass solche Vorfälle angezeigt werden. Denn je mehr angezeigt wird, desto mehr wird einem auch bewusst, dass es eben solche Übergriffe tatsächlich gibt. Wenn keiner zur Polizei geht und das anzeigt, dann haben wir auch nichts davon.

Gibt es auch seitens der Zivilgesellschaft, etwa von der Stadtgesellschaft, von der Politik, oder in den Schulen ähnliche Reaktionen? Ich weiss, dass die Anfragen an die Initiative Schlau NRW, die Aufklärungs- und Antidiskriminierungsarbeit in Schulen leistet, extrem zugenommen haben. Durch diese Tat ist natürlich auch unser Thema allgemein wieder sehr stark publik geworden in den Medien. Das hat dann denke ich auch so allgemein einfach das Interesse hochgeschraubt. Auch bei Firmen. Da muss man natürlich aufpassen, ob die das wirklich machen, um uns zu unterstützen. Das kann man eigentlich daran erkennen, welche Wörter die benutzen. Dann kann man sehen, ob die sich mit dem Thema wirklich befasst haben.



Es haben sich auch viele Menschen damit beschäftigt, die sonst noch nie was damit zu tun hatten. Bei dem Gerichtsprozess (MANNSCHAFT berichtete) habe ich ein älteres Ehepaar kennengelernt, die meinten, dass sie mit dem Thema Transgeschlechtlichkeit bisher nichts zu tun hatten. Aber dieser Vorfall habe sie so stark berührt, dass sie sich dann damit beschäftigt haben. Und das, finde ich, war natürlich total toll. Das hat sehr geholfen.

Münster
Münster

Wie blicken Sie und ihr Verein denn auf den kommenden CSD in Münster? Also dieser August ist für mich schon eine Zeit, wo ich merke, dass ich ein bisschen zittere. Es ist für mich eine psychische Belastung. Sonst hat man sich mehr drauf gefreut. Dieses Jahr ist bei vielen Beteiligten eher die Stimmung: Okay, das bringen wir dann mal hinter uns. Aber das ist natürlich sehr schade. Und da merkt man natürlich, dass dieses Ganze doch einen sehr heftigen Einfluss auf die Community in Münster hat.



Man stellt sich plötzlich Fragen wie: Was kann ich machen? Was möchte ich machen? Was darf ich machen? Und das war früher nicht so. Man guckt jetzt auch schon irgendwie anders auf irgendwelche Menschen. Es war bisher eigentlich immer so eine Aufbruchsstimmung die letzten Jahre. Alles wurde irgendwie immer besser. Und durch solche Übergriffe wird einem klar: Es gibt doch noch ganz viele Menschen, die das nicht so sehen.

Noch einmal zurück zu Malte. Er hat ja auf dem CSD im vergangenen Jahr einen Mut bewiesen, welchen die meisten Menschen gar nicht aufbringen. Also nicht nur, dass da jemand nach einem bis dahin langem Prozess stolz darauf ist, bei sich selbst angekommen zu sein, und das auch zeigt. Er ist auch eingeschritten, als Menschen beleidigt wurden. Er hat Zivilcourage bewiesen. Dieser Umstand ist, so wirkt es manchmal, nach wie vor nicht bei allen angekommen. Das sehe ich auch so, das wird ja so im Nachhinein auch noch ein bisschen vergessen. Ich habe da mit vielen hinterher drüber gesprochen, die sich die Frage gestellt haben: Hättest du dich das auch getraut, dort einzugreifen und die Menschen vor den Beleidigungen zu schützen? Und dann ist es auch noch gerade beim CSD passiert, in einer Situation, wo Menschen sich sicher fühlen. Und Malte hat sich da an dem Tag auch sehr sicher gefühlt. Aber hinzu kam eben, dass Malte so gehandelt hat, wie er es in seinem Leben gelernt hat: «Wenn jemand da irgendwie Hilfe braucht, dann helfe ich den Menschen.» Das war für ihn selbstverständlich.

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