«Shwule Grüsse vom Balkan» (1) – Der shwule «Brate» des türkischen Macho
Coming-out auf Balkanart
Wir möchten dir Aleksandar vorstellen. Vor Kurzem hat er eine Party mit seinem besten Kumpel Can besucht. Da muss ihm Aleksandar einfach sagen, was ihn schon seit einiger Zeit umtreibt.
Es ist ein lauer Samstagabend in einem Nachtclub in Zürich. Der Frühling hat seine Fühler ausgestreckt und die Hormone aus den hintersten Ecken des Winterschlafs aufgeweckt. Drinnen dröhnt der Beat, während Aleksandar und Can draussen eine qualmen. «Hast du die persische Schönheit mit den vollen Lippen und dem heissen Booty gesehen, Alter? Ich werde sie nachher mal ansprechen – sie macht mich ganz schön wuschig», stupft Can seinen besten Kumpel Aleksandar an und grinst ihn mit seinen dunklen und durchdringenden Augen an.
Can ist ein türkischer Macho durch und durch … trainiert. Und ein Charmeur obendrein, dem die Frauen reihenweise zu Füssen liegen. Nicht so sein Spezi Aleksandar – seines Zeichens Jugo, shwul und ungeoutet. Etwas verlegen, aber stumm nickend bejaht er Cans Frage und zieht noch einmal kräftig an der geborgten Marlboro seines Kumpels, bis sich jedes Bronchienästchen seiner Lunge mit Rauch füllt.
«Alter, was ist denn mit dir heute los? Wo bleibt deine slawische Feierwut?», boxt ihn Can kurz an. Aleksandar schweigt weiterhin, zuckt mit den Schultern und blickt auf den Boden. «Ey, was ist los mit dir? Hast Stress mit einer Tussi? Oder mit deinen Alten?»
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Aleksandar schweigt weiter. Doch in ihm brodelt es. Er kann nicht mehr. Er kann sich nicht mehr verstellen. Er kann sein Shwulsein nicht mehr für sich behalten und dabei einen Hetero mimen. Vor allem nicht Can gegenüber. Seinem besten Freund seit der Kindheit. Bloss: Wie soll er sich ihm öffnen? Sein Magen zieht sich völlig zusammen. Sein Herz rast. Seine Gedanken schiessen wie Blitze aus dem Himmel.
‹Tief ein- und ausatmen›, sagt sich Aleksandar, ‹jetzt werde ich es ihm sagen. Schliesslich ist er mein bester Freund, er wird das verstehen und mich nach wie vor als seinen Kumpel akzeptieren. Oder wird er mir seine Faust ins Gesicht schlagen und mir die Freundschaft kündigen?›
‹Ruhig Blut. Can ist nicht von vorgestern. Er hat sich – im Gegensatz zu seinen Fussballfreunden – noch nie abfällig über Shwule geäussert. Er wird damit auch kein Problem haben.› «Can, ich muss dir was anvertrauen, aber du sagst es nicht weiter, ok?» Can zündet sich seinen nächsten Sargnagel an:
Schiess los, Brate, du kannst auf mich zählen.
‹Oh mein Gott, er nennt mich grad Bruder auf Serbo-Kroatisch! Wie soll ich es ihm bloss beichten, dass ich shwul bin?›
Aleksandar kriegt es wieder mit der Angst zu tun. «Na los, ich werde dich schon nicht auffressen, du geiler Jugo!» Can klopft ihm ermutigend auf die Schulter, während Aleksandar vor sich hin stammelt: «Ich … ich bin … was ich sagen will, ist … ich bin …», da reisst die Tür des Nachtclubs auf und eine grölende Gruppe Männer stürmt hinaus. Es sind die Fussballfreunde von Can: «Caaaaaaaan, du geiler Macker, dich hat die kleine Perserin ja mächtig angestarrt – da solltest du dranbleiben, da läuft sicher noch was!» Can klatscht sich mit allen ab und bekräftigt: «Ja, die Kleine werde ich nachher gleich ansprechen – die ist eine Zehn und ich in Bestform.»
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Aleksandar schweigt während des Abklatschrituals und überdenkt derweil seinen Mut, sich bei Can zu outen, als ihn dieser anspricht: «Ey Alter, sorry, du wolltest mir noch was sagen», durchbricht Can Aleksandars Gedankenwelt. «Ja, aber nicht vor denen», entgegnet ihm Aleksandar. «Okay, dann lass uns wieder reingehen und an der Bar weiterquatschen. Ich brauch eh noch meinen Motivationsdrink für meinen Flirtauftritt», reibt sich Can in seine Hände, als würde im Nachtclub ein verborgener Schatz auf ihn warten.
Drinnen angekommen und ein paar Schlucke später fasst Aleksandar Can am Arm: «Can, ich bin shwul. Ich mag keine Bräute – egal, welche Oberweiten, Hüften oder High Heels sie haben. Ich steh auf Männer.» Can schaut Aleksandar etwas verdutzt an, schüttelt sich und nimmt einen grossen Schluck seines Wodka Energys zu sich: «Alter, du und shwul? Du machst wohl Witze!» «Nein, ich bin shwul und steh’ auf Männer, Brate», fasst sich Aleksandar Mut.
«Krass, Alter. Das hätte ich nie gedacht. Aber hey, du bist immer noch mein Bruder. Wir leben im 21. Jahrhundert» Can umarmt Aleksandar und albert mit ihm: «Und? Bist du jeweils die Frau oder der Mann im Bett?»
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Die ersten fünf Folgen sind in Kürze frei verfügbar, alle weiteren Texte danach nur mit MANNSCHAFT+ lesbar.
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