«Schwule Väter müssen in den Medien die heile Welt zeigen»

Die Forschung von Carole Ammann zeigt Handlungsbedarf auf

Symbolbild (Foto: AdobeStock)
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Sozialanthropologin Carole Ammann forscht über queere Elternschaft in den Niederlanden und in der Schweiz. Dabei geht es um Diversität, Stigmatisierung, den medialen Diskurs und das alltägliche Leben als Eltern.

Die Niederlande und die Schweiz haben historisch gesehen einen unterschiedlichen Umgang mit LGBTIQ-Rechten. Man könnte sogar sagen, dass die Schweiz einen Rückstand von rund 20 Jahren aufzuholen hat – zumindest bei der Ehe ist dies der Fall. Während die Niederlande nämlich bereits 2001 als erster Staat überhaupt die Ehe für alle einführte, dürfen in der Schweiz gleichgeschlechtliche Paare erst ab Juli 2022 heiraten.

Unerforschte queere Väter Dieser Vorsprung macht sich in der Gesellschaft und deren Institutionen bemerkbar. «In den Niederlanden steht aktuell die Debatte zur Mehrelternschaft an», sagt Sozialanthropologin Carole Ammann. Bis zu vier Personen sollen einst zur Elternschaft gehören. Ein Diskurs, der in der Schweiz momentan undenkbar ist.

Carole Ammann hat Geschichte, Politikwissenschaft und Afrikanistik in Bern und Basel studiert und in der Sozialanthropologie promoviert. Während ihres Mobilitätsstipendiums an der Uni Amsterdam wollte sie eigentlich das Thema Elternschaft in den Niederlanden und in Guinea unter die Lupe nehmen. Wegen der Pandemie musste sie dann jedoch auf die Reise nach Westafrika verzichten und vertiefte dafür die Forschung vor Ort.

Ihr sei aufgefallen, dass es generell kaum wissenschaftliche Studien über queere Väter gebe. Für ihr Forschungsprojekt sprach sie deshalb mit knapp zwanzig queeren Eltern, die sich nicht als Frauen identifizieren. Seit ihrer Rückkehr an die Uni Luzern führt sie auch in der Schweiz solche Gespräche. Dabei werden deutliche Unterschiede bemerkbar.

Carole Ammann
Carole Ammann

«In den Niederlanden ist Co-Parenting sichtbarer und verbreiteter», sagt Carole. Regenbogenfamilien (die dort übrigens «pinke Familien» heissen) seien auch stärker institutionalisiert. So gibt es etwa eine etablierte Organisation, die Wunscheltern zusammenführt. Ausserdem sei die rechtliche Situation besser geregelt, wohingegen sich ein queerer Vater in der Schweiz oft in einer vulnerablen Position befände. Zum Beispiel bei der Mehrelternschaft, wenn er zwar der biologische Vater ist, juristisch aber nicht zu den Eltern gehört. Hier zeigt Caroles Forschung also Handlungsbedarf, die rechtliche Situation der gelebten Realität anzupassen.

Mütter im medialen Fokus Mit ihrer Arbeit will sie jedoch auch die Diversität queerer Elternschaft aufzeigen. Realität seien viele verschiedene Kombinationen, inklusive nicht-binärer Personen und trans Menschen. «Die Medien scheinen sich jedoch meist auf Frauenpaare zu fokussieren, wenn es um Regenbogenfamilien geht», sagt Carole, die sich mit entsprechenden Berichterstattungen beschäftigt hat.

Sie hat festgestellt, dass vor allem queere Eltern, die sich nicht als Frauen identifizieren, in den Medien eine heile Welt präsentieren müssen. «Die Aussage zielt oft in die Richtung, dass das Kind nicht leide und dass ihm die Mutter nicht fehle», so Carole. Regenbogeneltern würden generell aus ihrem Umfeld den Druck verspüren, sich auf keinen Fall trennen zu dürfen. Diese Beobachtungen machte sie in beiden Ländern.

«Die Forschung zeigt allerdings, dass es Kindern aus Regenbogenfamilien gleich gut geht wie Kindern von Heteroeltern. Die Beziehungsqualität ist entscheidend, nicht die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität der Eltern.»

Vermeintlicher Safe Space Ein wichtiges Thema in den Gesprächen stellt die Stigmatisierung dar. Oft erleben queere Väter diese in Form von persönlichen Fragen oder gar negativen Reaktionen. Eine weitere Art der erlebten Stigmatisierung, quasi am anderen Ende des Spektrums, sind übertrieben euphorische Reaktionen, wenn die Regenbogenfamilie von jemandem als solche erkannt wird.

«Als noch schlimmer wahrgenommen wird allerdings die Stigmatisierung innerhalb der LGBTIQ-Community», berichtet Carole. Dies würden vor allem Menschen erleben, die sich innerhalb der Minorität wiederum als Minorität fühlen. Diese Diskriminierung sei für die Betroffenen besonders gravierend, da die Community eigentlich als Safe Space dienen sollte. Es sei so ziemlich der letzte Ort, wo sie Stigmatisierung erwarten würden.

Auch schwule Väter, die einst in einer Heterobeziehung waren, würden von Anfeindungen innerhalb der Community berichten. Man akzeptiere sie nicht als «richtige Schwule», weil sie mit einer Frau in einer Beziehung gewesen waren und mit ihr ein Kind gezeugt hatten.

Weitere Gespräche in der Schweiz Carole selbst ist übrigens nicht Teil der LGBTIQ-Community. Sie habe jedoch eine kritische Haltung gegenüber der Norm der heterosexuellen, nuklearen Kleinfamilie. Als sie 2013 selber zum ersten Mal Mutter wurde, habe sich das Interesse am Thema Elternschaft noch vergrössert.

Nun möchte sie in der Schweiz ihre Forschung fortsetzen und sucht dafür weitere Gesprächspartner. Das Schwierige an der Sache: Carole ist vor allem interessiert an Menschen, die schwer zu finden sind. «Personen, die nicht in der Community vernetzt sind und nicht zur Mittelschicht gehören.» Auch mehr Daten zu trans oder non-binären Eltern und queeren Vätern mit Migrationsgeschichte wären wichtig.

Kontakt Carole Ammann: [email protected]

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