«Sie haben mich gelöscht, weil ich offen schwul bin»

Der schwule polnische Lehrer Przemysław (Przemek) Staroń darf sich Hoffnung machen auf den Global Teacher Prize

Przemysław Staroń
(Foto: Oliwia Łysień)
Przemysław Staroń (Foto: Oliwia Łysień)

Seit dem Frühjahr ist bekannt, wer sich Hoffnung machen darf auf den Global Teacher Prize 2020: Auch der offen schwule Przemysław Staroń aus Polen ist nominiert (MANNSCHAFT berichtete). Durch die Corona-Pandemie ist der Zeitplan etwas durcheinander, aber nun geht es weiter: Die ersten vier Top-10-Finalist*innen stehen offiziell fest. Jede Woche soll jetzt ein*e weitere*r Kandidat*in bekanntgegeben werden.



Przemek, hast du als offen schwuler Lehrer jemals Anfeindungen erlebt oder verletzende Sprüche gehört – von Schüler*innen, Eltern oder Kolleg*innen? Vielleicht fange ich mit dieser kurzen Geschichte an. Die Katholische Universität Lublin (KUL), meine Alma Mater, prahlte nach der Gala zum Lehrer des Jahres 2018 mit mir, aber als sie die Information erhielten, dass ich schwul sei, verschwand ich sofort von allen Websites der Universität. Ich dachte: Das ist eine eklatante Diskriminierung. Sie haben mich gelöscht, weil ich offen schwul bin. Wie Hermann Hesse sagte: «Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt.» Also dank der KUL weiss ich, was das Dunkel ist.

War es für dich von Anfang an klar, dass du als Lehrer offen schwul bist? Ich unterrichte seit 10 Jahren, aber mein offizielles Coming-out hatte ich nicht am Anfang meiner Arbeit in der Schule. Ich war zunächst darauf nicht vorbereitet, so ehrlich mit allen zu werden. Ich hatte einfach Angst, dass die anderen mich nicht akzeptieren, so wie ich bin. Zum Glück waren aber meine Ängste nicht begründet.

Vor vier Jahren habe ich mich offiziell auf meinem Facebook-Profil geoutet, weil ich länger nicht ertragen konnte, dass ich meine Sexualität verstecke. Ich habe mich damit so schlecht gefühlt, dass ich mich selbst nicht sein konnte. Der Mensch muss sich gut in eigener Haut fühlen und die anderen sollten das einfach akzeptieren.

Vertrauen sich dir schwule, lesbische oder trans Schüler*innen an? Ja, oft, weil sie wissen, dass ich ihnen immer helfe. Wenn sie es brauchen, unterstütze ich sie immer. Sie wissen, dass sie sich auf mich immer verlassen können. Der Schlüssel zur Zusammenarbeit mit anderen ist, eine unterstützende und sichere Beziehung zu ihm aufbauen. Das wichtigste Werkzeug der Arbeit eines Pädagogen ist seine eigene Persönlichkeit. Dann ist er vollständig.

Dazu kommen Eigenschaften wie Verantwortung, Einfühlungsvermögen, Freundlichkeit, aber auch das Gefühl der Stärke, Stabilität und Ordnung. Schliesslich geben klare Regeln ein Gefühl der Sicherheit.

Ich betone immer, dass in jedem Kind ein unglaubliches Potenzial steckt, Sie brauchen es nur zu sehen und es zu erreichen. Ich wiederhole gerne den Gedanken von Sokrates und Platon: Wir lehren nicht jene, die es wissen. Wir lehren auch nicht diejenigen, die es nicht wissen. Wir lehren diejenigen, die nicht wissen, dass sie wissen.

Im Frühjahr wurde im Parlament ein Gesetz beraten, dass LGBTIQ-Aktivist*innen als Pädophile diffamiert und Sexualkunde verbieten soll (MANNSCHAFT berichtete). Macht es dir deine Arbeit schwer(er)? Meine Arbeit ist die beste Arbeit der Welt. Ich kann den Menschen die Augen öffnen und zeigen, wie  faszinierend die Welt ist. Und die Hindernisse? Das sind die Dummheit, die Abwesenheit von Offenheit und Toleranz. Ich bin daran gewöhnt und versuche, dagegen zu kämpfen und das Gute zu tun! Aber wenn ich die vielen guten, kreativen und klugen Menschen um mich habe, hab ich keine Angst Wie Osho (der indische Philosoph Bhagwan Shree Rajneesh, Anm. der Red.) gesagt hat: «Das Leben beginnt dort wo die Furcht endet.» Dem stimme ich zu.

«LGBT-freie Zonen» in Polen sind «menschlichkeitsfreie Zonen»!

Einmal mehr werden die Schwächen der polnischen Schule deutlich. Das Vermeiden von Themen, die mit Sexualität zu tun haben, wird diese Themen nicht verschwinden lassen. Das Leugnen der Existenz von LGBTIQ wird die Orientierung dieser Menschen nicht ändern. Der einzige Effekt, der erreicht werden kann, ist die Verletzung einer anderen Person. Junge Menschen müssen das Recht haben, verlässliches Wissen auf zivilisierte Weise an einem Ort zu erwerben, an dem Wissen erworben wird – in der Schule.

Ich rate allen auch, sich daran zu erinnern, was Ihnen die Psychologie klar sagt: Wenn Sie über etwas empört sind, das mit Sexualität zu tun hat, etwas, das absolut niemanden schadet, hängen Sie sich ein Stück Papier um den Hals, dass Sie an der Sexualität festhalten, und was Sie tun, sind die Mechanismen der Projektion und der inszenierten Reaktion. Hinzu kommt, dass Homophobie oft das Ergebnis Ihrer eigenen unterdrückten Nicht-Heterosexualität ist.

Die Kreativität entwickelt sich in einer Zeit der Begrenzungen, alles, was verboten ist, brummt nach einiger Zeit. Es wird mich nicht wundern, wenn es die Menschen dazu veranlasst, zu den Höhen der Kreativität aufzusteigen. Ein Verbot der Sexualkunde wird sich gegen die Regierung wenden, da bin ich sicher.

Glaubst du, du kannst mit der Kür zum (potentiellen) Global Teacher 2020 etwas in deiner Heimat bewirken? Ja, ich bin davon überzeugt. Nicht nur in Polen, sondern auch auf der ganzen Welt. In den nächsten 10 Jahren bis 2030 beabsichtige ich, in Polen, Europa und auf der ganzen Welt gemeinsam mit meinem Team die Erziehung zur Weisheit und Güte zu entwickeln, die die Grundlage der Philosophie und das Fundament unseres Ordens des Phönix sind.

Ich bin überzeugt, dass die Philosophie nützliche Werkzeuge beinhaltet, die jedem einzelnen Menschen helfen, ein besseres Leben zu führen. Ich möchte dieses Wissen mit anderen so umfassend und universell wie möglich teilen. Unser Team besteht aus jungen und alten Student*innen, Freund*innen und Gemeindemitgliedern in unserer kleinen Welt in Sopot. Gemeinsam können wir die Welt wirklich verändern! Wenn man zusammen steht und eng zusammenrückt, kann man alles schaffen.

Die Varkey Foundation hat wie jedes Jahr 50 Lehrer*innen aus der ganzen Welt benannt, sie sind Anwärter für den wichtigsten Lehrer*innen-Preis der Welt. Der Global Teacher Pride wird seit 2015 in Kooperation mit der UNESCO vergeben.

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