«Viele Schwule sind unbewusst überzeugt, weniger wert zu sein»
Die Podcast-Gäste von Peter Fässlacher sprechen über ihre Sorgen und Probleme inner– und ausserhalb der Community
Eine Therapie ermutigte Peter Fässlacher, zu sich selbst zu stehen. In seinem Podcast «Reden ist Gold» wirbt er für mehr Mut, über Gefühle zu sprechen.
Im Jahr 2014 schrieb Peter Fässlacher den vielleicht wichtigsten Artikel seines Lebens, veröffentlichte diesen in der österreichischen Tageszeitung «Die Presse» und legte so seine Identität als schwuler Mann offen. Nach Jahren der Verunsicherung und Geheimniskrämerei sei dies einem massiven Befreiungsschlag gleichgekommen.
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Heute sagt der ORF-III-Moderator, es habe sich damals wie im Märchen «Rumpelstilzchen» angefühlt. In dem Moment, da er benennen konnte, wer und was er war, habe der Schrecken seine Macht verloren. Um anderen Mut zu machen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig es ist, sich selbst – mit oder ohne professionelle Unterstützung – bedingungslos anzunehmen, hat der 33-Jährige den Podcast «Reden ist Gold» ins Leben gerufen. Seit Dezember kann er über Spotify und iTunes abgerufen werden. Jeden Sonntag erscheint eine neue Folge.
Peter, hast du stark mit dir gerungen, deine sexuelle Identität damals offenzulegen? Ja und nein. Interessanterweise haben mir einige Leute davon abgeraten, mich zu outen, weil es schlecht für meine Karriere hätte sein können. Diese kritischen Stimmen haben mich in meiner Entscheidung aber nur bestärkt. Angst ist kein guter Ratgeber. Seit meinem Coming-out bin ich insgesamt viel offener. So etwas spüren meine Gesprächspartner*innen und auch das Publikum.
Inwiefern siehst du dich als Person des öffentlichen Lebens in der Pflicht, die Sichtbarkeit der LGBTIQ-Community zu unterstützen? Ich bin der Meinung, dass man sich nicht auf dem Engagement vergangener Generationen ausruhen darf. Viele Menschen haben für die Rechte der LGBTIQ-Community gekämpft und zum Teil ihr Leben riskiert. Davon profitieren wir bis heute. Im Rahmen meiner Möglichkeiten möchte ich diese Anstrengungen würdigen. Durch meinen öffentlichen Beruf habe ich das Privileg, gehört zu werden.
Findest du, dass der Facettenreichtum der LGBTIQ-Community medial gut abgebildet wird? Als Teenager hätte es mich ermutigt, wenn es damals schon Netflix gegeben hätte. Egal ob «RuPaul’s Dragrace», «Pose», «Modern Family» oder «Blumige Aussichten», diese Formate vermitteln das Gefühl, dass es in Ordnung ist, so zu sein, wie man eben ist. Vielleicht hat mich der Mangel an Vorbildern in meiner Jugend dazu ermutigt, die Leerstelle von damals heute selbst mit ausfüllen zu wollen.
Ist das auch der Grund, der dich dazu bewogen hat, deinen eigenen Podcast zu starten? Ich war auf der Suche nach Gesprächsformaten mit Menschen aus der LGBTIQ-Community und wollte wissen, wie sie leben und lieben, welche Sorgen sie haben, wie sie mit ihrer Homosexualität umgehen und ob sie Therapieerfahrungen mit sich bringen. Leider konnte ich aber nichts finden, das mich zufriedenstellte. Da ich seit zehn Jahren beruflich Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern führe, dachte ich mir dann, dass ich einfach selbst ranmüsse.
«Ich glaube, dass viele schwule Männer die unbewusste Überzeugung in sich tragen, weniger wert zu sein als andere.»
«Schwanz & ehrlich» oder «Stadt.Land.Schwul.» haben bewiesen, dass Podcasts, die die schwule Community ansprechen, durchaus funktionieren und Massen begeistern können. Kannst du diesen Formaten etwas abgewinnen? Absolut! Ich habe die Podcasts selbst abonniert und höre sie mit grosser Begeisterung. Beide Formate haben ihre eigene Sprache gefunden und sind dadurch authentisch und glaubwürdig. Sie strahlen Selbstbewusstsein aus und stehen aus meiner Sicht für eine neue Generation schwuler Männer. Viel zu lange mussten sich Menschen der LGBTIQ-Community verstecken und durften sich in ihrem Sein weder präsentieren noch ihren Gefühlen offen Ausdruck verleihen. Die Kollegen tun aber genau das. Sie zeigen, wie schön ein Leben ohne Angst sein kann.
Was ist der rote Faden, der sich durch die einzelnen Folgen von «Reden ist Gold» zieht? Es ist jeder willkommen, der mit mir über das Leben sprechen möchte. Mein Gegenüber gibt das Thema vor. Ich bin bereit, über alles zu sprechen. Manchmal bringe ich mich stärker ein, manchmal höre ich nur zu. Mal bin ich kritischer, mal sanfter. Das Interessante ist, dass ich mich zwar an die LGBTIQ-Community wende, die Themen aber per se keine queeren sind, sondern jede*n betreffen können. Sei es zum Beispiel die Angst vor Zurückweisung, die Unsicherheiten beim Finden eines Partners oder einer Partnerin, die Sehnsucht nach Zweisamkeit oder der herausfordernde Weg, die Person zu werden, die man sein will.
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Wie rekrutierst du deine Interviewpartner? Da ich mit meinen Gästen teils über sehr private und intime Themen spreche, war meine anfängliche Befürchtung, dass sich kaum jemanden finden würde. Nach einem Aufruf auf meiner Instagram-Seite haben sich am ersten Tag aber über 100 Leute gemeldet. Das hat mich ziemlich überrascht, aber auch sehr motiviert und in meinem Gefühl bestärkt, dass das Bedürfnis nach solchen Gesprächen vorhanden ist.
Wie eng sind die Bande, die du mit deinen Interviewpartnern knüpfst? Mich interessiert, warum die Menschen sind, wie sie sind. Nicht aus Voyeurismus, sondern aus ehrlichem Interesse heraus. Es ist mir wichtig, meinem Gesprächspartner das Gefühl zu geben, dass seine Geschichte bei mir in guten Händen ist. Gerade wenn es um sensible Themen geht.
Du stellst Psychotherapie als Thematik bewusst in den Fokus deines Podcasts. Weshalb? Weil es immer noch viele Berührungsängste gibt und Menschen sich dafür schämen, in Therapie zu sein, beziehungsweise genau aus diesem Grund keine beginnen. Dabei ist Therapie etwas Grossartiges! Sie hat die Kraft, das eigene Leben zum Positiven zu verändern. Man wird zu einem sanfteren Menschen, man denkt zärtlichere Gedanken und lernt, sich selbst mehr zu mögen. Psychotherapie ist gewissermassen wie Versöhnungsarbeit an der eigenen Person. Ich glaube, dass viele schwule Männer die unbewusste Überzeugung in sich tragen, weniger wert zu sein als andere.
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Was entgegnest du, wenn jemand behauptet, eine Psychotherapie zu machen, sei zur Lifestyleerscheinung geworden? Ob Lifestyle oder nicht, entscheidend ist, dass man sich traut, eine Therapie wahrzunehmen. Dafür wäre mir jeder Grund recht. Und vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn man das Gefühl hat, dass es momentan gewissermassen «in» ist, einen Therapeuten oder eine Therapeutin zu haben. Denn dann sinkt gleichzeitig auch die Hemmschwelle, eine*n zu kontaktieren und es einmal auszuprobieren.
Hast du selbst psychotherapeutische Erfahrungen gemacht? Mein Coming-out war das Resultat einer Psychotherapie. Ich war 27, als ich damit begonnen habe. Ein Jahr später habe ich mich geoutet. Zunächst war mir nicht klar, warum ich mich überhaupt in Therapie begeben hatte. Ich wusste nur, dass es mir damals dringend erschien. Es stellte sich dann relativ schnell heraus, dass ich mit meinem Schwulsein nicht so entspannt war, wie ich angenommen hatte. Mein Selbstwert litt damals stark, was mir aber gar nicht so bewusst war. Ich glaube, dass viele schwule Männer die unbewusste Überzeugung in sich tragen, weniger wert zu sein als andere. Um diese Gefühle zu kompensieren, neigen sie dazu, den durchtrainiertesten Körper, die tollste Wohnung, die teuersten Möbel, die besten Ausbildungen, die meisten Eroberungen oder die extravagantesten Freunde haben zu wollen. Erst dann glauben sie, dass sie es wert sind, geliebt zu werden. In der Therapie lernt man auf authentische Art und Weise, dass man so wie man ist, genau richtig ist.
Hast auch du Lust, Gast bei «Reden ist Gold» zu sein und Teil dieser intimen Porträtreihe zu werden? Dann wende dich via Instagram oder Mail ([email protected]) an Peter Fässlacher.
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