Nur die wenigsten Hate Crimes kommen zur Anzeige

Eine statistische Erfassung der Hate Crimes in der Schweiz fehlt nach wie vor

Bild: Mercedes Mehling / Unsplash
Bild: Mercedes Mehling / Unsplash

Zum diesjährigen IDAHOBIT erscheint der Hate Crime Bericht 2018/19, der Hassverbrechen in der Schweiz auswertet. Die Ergebnisse sind alarmierend, sagt Roman Heggli von Pink Cross.

Über den Zeitraum von Januar 2018 bis Dezember 2019 wurden bei der LGBT+ Helpline 108 Hate Crimes gemeldet. Obwohl 31% der Meldenden von physischer Gewalt sprachen, wurden nur 18% der Hate Crimes bei der Polizei angezeigt. Ein besorgniserregendes Ergebnis.

Besonders in den Sommermonaten stieg die Anzahl der Meldungen stark an. Vermutlich hänge dies mit der erhöhten Sichtbarkeit während der Pride zusammen, so Roman Heggli. Kann also dieses Jahr von einem Rückgang der Hate Crimes ausgegangen werden? «Das lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen», sagt er. «Zwar gibt es wegen dem Ausfallen der Pride weniger Angriffsfläche, andererseits haben LGBTIQ diesen Sommer auch weniger Rückzugsmöglichkeiten, da die Bars und Clubs noch geschlossen sind.» Die Durchmischung der Bevölkerungsgruppen könne zu einem grösseren Potenzial für Aggressionen führen.

Mehr als die Hälfte der gemeldeten Hate Crimes wurden in Zürich begangen. Obwohl der Community-Hotspot eine tolerantere und offenere Grundstimmung hat, lebe man in Zürich enger und gerate somit auch eher aneinander, erklärt Heggli die hohen Zahlen. Die Hemmschwelle, jemanden beispielsweise zu schlagen, sei in einer anonymen Stadt tiefer als in einem Dorf, wo jeder jeden kennt.

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Die meisten Meldenden erlebten verbale Gewalt wie Beschimpfungen und Beleidigungen. Trotzdem wurden 31% von ihnen auch Opfer körperlicher Gewalt. So auch ein schwules Paar, das in der Silvesternacht in der Zürcher Innenstadt verprügelt wurde. Mehr als die Hälfte der Meldenden gaben zudem an, seit dem Vorfall an psychischen Folgen zu leiden. «Diese Zahl ist alarmierend hoch, vor allem, wenn man beachtet, dass der Grossteil der Meldenden relativ jung ist», steht im Bericht.

roman heggli
roman heggli

Ein Ziel der LGBT+ Helpline ist, dass mehr Hate Crimes zur Anzeige gebracht werden. Mit 18% sei diese Zahl alarmierend tief, auch, weil folglich nicht einmal alle physischen Gewalttaten angezeigt werden. Für dieses Resultat gebe es viele Gründe, darunter Scham, Angst vor den Folgen einer Anzeige sowie schlechte Erfolgschancen, so Heggli. Viele Hate Crimes würden auch nicht gemeldet oder angezeigt, weil der/die Täter*in dem Opfer bekannt ist. Daher geht man von einer hohen Dunkelziffer aus.

Die LGBT+ Helpline motiviert grundsätzlich alle Hate Crimes anzuzeigen. Allerdings müsse die Polizei auch entsprechende Ansprechpersonen bereitstellen, damit es bei der Anzeige nicht auch noch zu zusätzlicher Diskriminierung kommt. Etwa, weil die falschen Pronomen benutzt werden. «Die Empfehlung einer Anzeige bei der Polizei kann nur gemacht werden, wenn sich das Opfer sicher fühlt», sagt Heggli.

Auffallend ist, dass die meisten gemeldeten Hate Crimes an öffentlichen Orten verübt wurden, wo Aussenstehende eingreifen könnten. Laut den Meldungen sei das aber oftmals nicht passiert. «Viele schauen nur zu. Das erstaunt in der Schweiz, wo sich viele als offen und tolerant bezeichnen. Wer sich als LGBTIQ-freundlich bekennt, muss auch aktiv eingreifen», so Heggli.

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LGBTIQ-feindliche Vorfälle können telefonisch oder über ein Onlineformular erfasst werden. Es ist ein standardisiertes Vorgehen, bei dem möglichst viele Angaben gemacht werden. Allerdings ist das Angebot in manchen Teilen der Schweiz, wie der Romandie, noch sehr unbekannt. «Das ist keine optimale Lösung, aber es fehlen Ressourcen, um die Hate Crimes der ganzen Schweiz flächendeckend zu erfassen. Dafür braucht es eine nationale, statistische Erfassung», fordert Heggli.

Am 1. Juli tritt die Erweiterung der Anti-Rassismusstrafnorm auf die sexuelle Orientierung in Kraft (MANNSCHAFT berichtete). Dadurch kann das Strafmass bei homofeindlichen Angriffen höher sein und sich eine Anzeige deshalb eher lohnen. Die oben erwähnten Hindernisse bleiben aber weiterhin.

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