«Nur das Patriarchat haben wir immer noch nicht abschaffen können»

Foto: Veronika Reininger
Foto: Veronika Reininger

Wilde Jahre der Selbstermächtigung bis zum Sichtbarkeitstag der Lesben 2022 in Wien: Ein Rückblick auf die Lesbian Visibility Week.

Der lesbische Sichtbarkeitstag am 26. April wurde im Dachfoyer der Wiener Hofburg gefeiert. Mit dem historischen Dokumentationsfilm über die Rebel Dykes im Post-Punk-London der 1980er-Jahre eröffnen die beiden lesbischen Grün-Politikerinnen Ewa Ernst-Dziedzic und Faika El-Nagashi die Veranstaltung. Dabei handelt es sich um die Geschichte einer Gemeinschaft von Lesben, die sich über Kunst, Musik, Politik und Sex kennenlernten und die Welt verändern wollten. Rebel Dykes hatten sich im Friedenscamp Greenham Common kennengelernt und wurden später zu Kunstschaffenden, Performer*innen, Musikschaffenden und Aktivist*innen in London, bis sie letztendlich die Basis für die heutige LGBTIQ-Gemeinschaft schufen.

Im Anschluss an die historisch-nostalgische Erinnerung an die lesbische Zeit der 1980er Jahre auf der Filmleinwand erzählen fünf lesbische Frauen über ihre unterschiedlichen Zugänge zu ihrem eigenen Coming-out, wie sie ihr lesbisches Dasein und Wirken in Wien sichtbar erleben und was sie dazu motiviert und gestärkt hat. Generationenübergreifend wie auch international erstreckt sich ein Spagat über die breite Bandbreite der österreichischen Lesben in Wien: Auf der einen Seite, die österreichische Nationalratsabgeordnete der Grünen Ewa Ernst-Dziedzic, die im Jahr 1980 in Polen geboren und mit neun Jahren nach Wien geflohen ist, sagt, es habe sich schon vieles für die Gleichstellung und Sichtbarkeit der Lesben in Wien getan: Einige haben geheiratet, andere haben mit ihrer Partnerin Kinder bekommen.

«Nur das Patriarchat haben wir immer noch nicht abschaffen können, während die Zahl der Femizide weiter ansteigt oder der Diskriminierungsschutz ausserhalb des Arbeitslebens in Österreich noch zu verbessern gilt», sagt Ernst-Dziedzic. Auch ihre Kollegin und in Ungarn geborene Faika El-Nagashi arbeitet als sichtbar lesbische Abgeordnete zum Nationalrat der Grünen im österreichischen Parlament. Beide lesbische Grün-Politikerinnen haben diesen besonderen Abend über die Sichtbarmachung der Lesben in Wien moderiert. Bereits im Jahr 1982 wurde die Rosa-Lila-Villa, das Haus der Homosexuellenbewegung in Wien zum ersten Mal besetzt, damals habe Angela Schwarz, aus der älteren Lesbengeneration in Wien, noch in Oberösterreich gelebt. Später war sie auch bei der WASt, der Antidiskriminierungsstelle der Stadt, viele Jahre aktiv, wo sie sich auch beruflich für eine lesbisch-queere Sichtbarkeit engagierte.

Es war auch eine etwas sexualisierte Zeit, rund sieben verschiedene Namen für Klitoris haben wir uns überlegt.

«Der Film über die Rebel Dykes berührt mich sehr, weil ich auch viele von den Lesben seit rund 40 Jahren persönlich kenne und auch selbst dort dabei war», sagt Schwarz. Es erinnert sie an die ersten 1990er Jahre, die sie in der Rosa-Lila-Villa erlebt hat, wo schon viel unter Lesben diskutiert, gestritten und geliebt wurde. «Es war auch eine etwas sexualisierte Zeit, rund sieben verschiedene Namen für Klitoris haben wir uns überlegt. Frauen aus verschiedenen Hintergründen sind anwesend gewesen. Es war eine Art der Selbstermächtigung durch Frauenkämpfe, die vor allem lesbisch und politisch gelebt wurden», so Schwarz. Sie habe daraus auch gelernt, dass nicht alle aus derselben Motivation dabei seien, also von der 16-jährigen jungen Punk bis zur 60-jährigen katholischen Lesbe seien sie unterschiedlich motiviert in einer grossartigen gemischten Lesbengruppe dabei.

Auch an gemeinsame Kampagnen der Homosexuellenbewegung gegen die britische Thatcher-Politik im Jahr 1984, die sie auch in Wien gemacht haben, erinnere sich Schwarz bei der Diskussionsrunde im Anschluss der Doku.

Waltraud Riegler, die erste Obfrau des Vereins Homosexuellen Initiative, HOSI-Wien, ist bereits im Jahr 1979 als junge Lesbe aus dem Burgenland nach Wien gekommen. Als sie zwei Jahre später in der Wochenzeitung Falter über die Bildung einer Lesbengruppe las, ist sie Anfang des Jahres 1983 zur damals drei Monate alten Lesbengruppe dazu gestossen. «Ich war erstaunt darüber, dass meine damalige Vorstellung von Lesben nicht bestätigt wurde», sagt Waltraud Riegler, «weil ich ganz normale Frauen wie mich dort getroffen habe».

Schliesslich seien in den 1980er Jahren in Wien noch keine Lesben öffentlich sichtbar gewesen, weder als Politikerinnen, Abgeordnete, noch als Schauspielerinnen, die geoutet oder in lesbischen Filmen zu sehen waren, sagt Riegler. Nur über die erste österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal wurde zumindest vermutet, sie sei lesbisch. „Wir hatten uns damals einfach gefreut, an einem Abend gemeinsam den Film ,Mädchen in Uniform‘ ansehen zu dürfen, sonst gab es keine lesbischen Vorbilder, an die wir uns in den 1980er Jahren orientieren konnten», so Riegler.

Auch als erste Obfrau des Vereins HOSI-Wien war es ihr wichtig die anderen Lesben zu motivieren und zu aktivieren, um nicht nur den Männern das Feld in Politik und Medien zu überlassen. Schliesslich habe sie damals noch auf einer mechanischen Schreibmaschine diverse nationale und internationale Zeitungsredaktionen angeschrieben, damit über lesbisches Leben und Wirken öffentlich und sprachlich geschlechtergerecht zu berichten. In weiterer Folge sei es ihr gelungen, ihr politisches Anliegen sogar in der Chicagoer–Zeitung erfolgreich umzusetzen, nach dem Motto: «Lesben sind immer und überall», sagt sie.

Dennoch waren diverse Aktivitäten, die bis zum Jahr 1996 in der Homosexuellen Szene gemacht wurden, sogar verboten, somit habe die Streichung dieser homophoben Paragraphen in den Gesetzestexten, als eines der wichtigen Ziele damals gegolten. Aktionistisch haben sie sich beispielsweise an Zügen angekettet, um auch gegen diese homophobe Gesetzeslage zu protestieren, wie bereits mannschaft.com berichtet. Nach all den politischen Kämpfen für eine geschlechtergerechte Gesellschaft sehe sie es derzeit als besonders wichtig in den verschiedenen gemischtgeschlechtlichen Organisationen, Vereinen und Institutionen weiterhin darauf zu achten, Lesben sichtbar zu machen. Die Grundarbeit dafür sei, Medien dazu zu bewegen, die Sichtbarkeit von Lesben wirklich und selbstverständlich zu erfüllen, sagt Riegler.

Erst im Jahr 1996 war mit Ulrike Lunacek die erste offen lesbisch lebende Abgeordnete im österreichischen Parlament medial sichtbar. Während die im Jahr 1965 geborene Lisa Rücker als ehemalige erste lesbische Vizebürgermeisterin von der Stadt Graz in der Steiermark eigentlich sogar überrascht darüber war und öffentlich wahrgenommen hatte, dass ihr Coming Out lesbisch zu sein niemanden mehr überrascht habe, sagt sie, auch erfreut darüber keine homophoben Aktionen oder Anfeindungen ihr gegenüber aufgrund ihres Coming-outs zu erleben. Beispielsweise auch die Frauenräume nutzen, um zu tanzen und in den Nächten Partys zu machen, sei ihr in Bezug auf ihre Freiheit wichtiger gewesen als im heteronormativen Familienstil zu leben. Im Jahr 2004 als sie sich zum ersten Mal in eine Frau verliebt hatte, war sie bereits Gemeinderätin der Grünen in Graz.

Sie hat sich öffentlich geoutet, obwohl sie es schon früher geahnt hatte, lesbisch leben zu wollen. Damals war sie noch mit dem Vater ihrer beiden Töchter zusammen, so habe sie ihr Outing einerseits unausgesprochen gelebt, andererseits habe sie auf der politischen Ebene aktiv wahrgenommen, endlich politisch als Feministin und Lesbe angekommen zu sein. «Bis heute liebe ich Frauen», sagt Rücker, «vor allem meine Frau», ergänzt sie lachend. Als Spitzenkandidatin der Grünen bei der Grazer Gemeinderatswahl habe sie infolge bewusst ihr privates Coming-out vorher gemacht, auch aus Rücksicht auf ihre Töchter, damit sie es nicht erst aus den öffentlichen Medien erfahren, hatte sie es offen gegenüber ihren Töchtern ausgesprochen. Allerdings erste homophobe, sexualisierte und aggressiv verbale Angriffe habe sie erst später wahrgenommen, als sie als Verkehrsstadträtin in der Stadt Graz politisch aktiv war.

lesbian visibility
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Schliesslich haben die politischen Granden aus Bezirk, Stadt und Bund gemeinsam mit der HOSI-Wien am Freitag im fünften Wiener Gemeindebezirk den neu gestalteten Platz an der Ecke Schönbrunner Strasse, Strobachgasse, bei strahlendem Sonnenschein und in gemütlicher musikalischer Gesellschaft, nach einer der ersten Pionierinnen der österreichischen Frauen- und Lesbenbewegung Helga Pankratz benannt und feierlich geehrt (MANNSCHAFT berichtete).

Nach ein paar Eröffnungsworten von der Wiener Kulturstadträtin, der Referentin der HOSI-Lesbengruppe und der Witwe der verstorbenen lesbischen Pionierin und Gründerin der Lesbengruppe Helga Pankratz (1959 – 2014), folgte die gemeinsame Enthüllung der Gedenktafel.

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